Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
A. AVEC LES ÉTATS LIMITROPHES
2. France
2.2. Affaires économiques
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 106
volume linkBern 1991
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Archival classification | Vgl. Edition |
Dossier title |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.41-04#1000/1682#1513* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.41-04(-)1000/1682 38 | |
Dossier title | Négociations commerciale franco-suisse (1939–1939) | |
File reference archive | XI.D.3 |
dodis.ch/46863
Besten Dank für Ihr Schreiben vom 12. Juni2 betreffend Kontingentsverhandlungen mit Frankreich. Dem Wunsche von Herrn Bundesrat Obrecht entsprechend, habe ich heute den Vorstoss beim französischen Handelsminister unternommen und mit ihm eine sehr eingehende und sehr ernste Unterhaltung gehabt. Ich habe dabei etwa folgendes ausgeführt:
Als die französische Regierung im September 1936 ihren Wirtschaftsminister Spinasse nach Bern schickte, um dem Bundesrat nahezulegen, gemeinsam mit Frankreich und Holland eine Abwertung der Währung der drei Länder um circa 30% vorzunehmen, ging man in Bern und namentlich unmittelbar darauf in Genf vom Gedanken aus, diese gemeinsame Abwertung sollte zu einer spürbaren Erleichterung der französisch-schweizerischen Handelsbeziehungen werden und insbesondere schon damals das als hoch empfundene Defizit zu Lasten der Schweiz vermindern. Vom gleichen Gedanken gingen aus die französischschweizerischen Kontingentsverhandlungen des Jahres 1937 und die damaligen Vereinbarungen. Die seitherigen Ziffern der Handelsstatistik beweisen, dass der Zweck nicht erreicht wurde, indem sich das Defizit nicht verminderte, sondern erhöhte. Es ist dies wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass nach der gemeinsamen Abwertung der Schweizerfranken stabil blieb, der französische Franken dagegen in verschiedenen Etappen neue und wesentliche Senkungen erfuhr. Dagegen wurden die gegenseitigen Konkurrenzverhältnisse zum Nachteil der Schweiz sehr spürbar verändert. Die Ziffern der gegenseitigen Handelsbilanz sind nun, namentlich in den letzten Monaten so geworden, dass die Weiterdauer dieser Verhältnisse für die Schweiz absolut untragbar wird. In aller Freundschaft, aber mit der grössten Bestimmtheit muss sie heute Frankreich erklären, dass die bestehenden Verträge nur dann aufrecht erhalten werden können, wenn uns Frankreich in den Kontingentierungsfragen ganz wesentlich mehr entgegenkommt als bisher. Es geht bei dieser allgemeinen Situation nicht mehr an, dass untergeordnete französische Stellen schweizerischerseits gewünschte Zusatzkontingente ohne zwingende Not ablehnen oder sie nur gegen entsprechende Gegenkonzessionen zugestehen wollen. Die Haltung der «Direction des Accords Commerciaux» und der «Direction du Commerce» anlässlich der letzten hier geführten Besprechungen zeigt ausserordentlich wenig Verständnis für die allgemeine Lage und muss geradezu als wenig freundschaftlich bezeichnet werden. Wir sind unter keinen Umständen gesonnen, uns ein solches Verhalten weiter gefallen zu lassen.
Bei der geschilderten allgemeinen Lage müssten wir eigentlich verlangen, dass unserem Export nach Frankreich die Möglichkeit gegeben werde, sich um Hunderte von Millionen zu verbessern. Wir sehen aber wohl ein, dass wir dies nicht auf einmal erreichen können und wir stehen auch keineswegs auf dem Standpunkt, dass das Defizit der Handelsbilanz zum Verschwinden gebracht werden müsse. Was wir aber mit allem Nachdruck verlangen müssen, ist, dass uns Zusatzkontingente im jährlichen Wert von circa 50 Millionen franz. Franken zugebilligt werden und zwar grundsätzlich ohne Gegenleistungen unsererseits. Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht dem oder jenem französischen Wunsche ebenfalls entgegenkommen wollen. Was wir aber nicht zugestehen können, ist die Erhöhung von Kontingenten in manchen Fällen, wie Wollgarne und Wollgewebe, wo wir dies unserer eigenen schwer kämpfenden Industrie einfach nicht zuzumuten in der Lage sind. Im weitern müssen wir verlangen, dass bei Vergebung öffentlicher Aufträge, insbesondere für die französische Aviatik und die französische Marine, die Schweiz ganz anders berücksichtigt wird als bisher. Es hat keinen Sinn, mit solchen Begehren an untergeordnete Stellen in den verschiedenen Ministerien zu gelangen. Es scheint mir eine noble und wichtige Aufgabe des Handelsministers zu sein, die Gesamtheit der schweizerisch-französischen Wirtschaftsbeziehungen bei nächster Gelegenheit im Ministerrat vorzubringen und dort zu bewirken, dass alle in Betracht kommenden Ministerien angewiesen werden, die Schweiz bei Vergebung von Bestellungen weitgehend zu berücksichtigen, da dies auch wirtschaftlich sowohl wie politisch im Interesse Frankreichs liegt. In dieser Hinsicht ist darauf aufmerksam zu machen, dass Deutschland schon versucht hat, die schweizerische Industrie zu einer gemeinsamen Wirtschaftsarbeit in Osteuropa zu veranlassen und dass deutsche Anstrengungen unverkennbar sind, eine solche Zusammenarbeit für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Spaniens herbeizuführen. Es wäre eine kluge Politik Frankreichs, der schweizerischen Industrie französische Aufträge zuzuweisen, statt sie zu zwingen, auf eine solche nicht ungefährliche Zusammenarbeit mit ändern Nachbarn einzutreten. Auch ist zu betonen, dass die national-sozialistische und die fascistische Propaganda in der Schweiz nur dann und erst dann gefährlich werden könnte, wenn sie sich an eine grosse Masse von Arbeitslosen richtet. Auch von diesem Gesichtspunkte aus liegt es im direkten Interesse Frankreichs, unsere Wirtschaft nach Möglichkeit zu stützen.
Wenn man, so führe ich weiter aus, von französischer Seite geltend macht, das Defizit in der Handelsbilanz werde ausgeglichen durch aktive Posten bei den übrigen Faktoren der Zahlungsbilanz, so ist diese Rechnung falsch. Infolge der Entwicklung der beidseitigen WährungsVerhältnisse sind wir auch im Reiseverkehr mit Frankreich passiv geworden. Die schweizerische Statistik zeigt, dass die Besucherzahl der französichen Touristen in die Schweiz seit 1937 rapid zurückgegangen ist, während umgekehrt immer mehr schweizerische Touristen nach Frankreich kommen, einmal der vorteilhaften Währung wegen und sodann, weil die Anziehungskraft der übrigen Nachbarn der Schweiz aus naheliegenden Gründen wesentlich nachgelassen hat. Ein allfälliges schweizerisches Aktivum im Versicherungsverkehr wird mehr als ausgeglichen durch die grossen schweizerischen Zahlungen, die an französische Schiffs- und Eisenbahngesellschaften und an französische Häfen gemacht werden. Infolge der französischen Fremdengesetzgebung geht die Zahl der in Frankreich lebenden Schweizer und damit auch deren Ersparnisse, die nach der Heimat gesandt werden können, ständig und stark zurück. Lediglich den Ertrag der schweizerischen Kapitalien in Frankreich bedeutet für uns noch einen spürbaren Aktivposten. Er kann aber nur einen Bruchteil des Defizites in der Handelsbilanz ausgleichen. Es kann deshalb ernsthaft nicht bestritten werden, dass auch die Zahlungsbilanz mit Frankreich für die Schweiz stark passiv geworden
Herr Minister Gentin hat meine Darlegungen ausserordentlich wohlwollend und verständnisvoll aufgenommen und hat nicht einmal den Versuch gemacht, die wichtigsten Argumente zu entkräften. Er erklärte, für unsere Situation volles Verständnis zu haben und einzusehen, dass Frankreich einen «effort» machen müsse, um die vorteilhaften Handelsbeziehungen mit der Schweiz aufrecht zu erhalten. Er sei auch fest entschlossen, dies zu tun, werde seinen Entschluss auch gegen den Widerstand der eigenen Industrie und seiner eigenen Mitarbeiter durchsetzen und ihn anlässlich der bevorstehenden Reise in die Schweiz dem Bundesrat zur Kenntnis bringen3.
Ich glaube sagen zu dürfen, dass das Terrain durch unsere monatelange Propaganda, durch meine verschiedenen Besprechungen mit einflussreichen Parlamentariern und durch die heutige Unterredung gut vorbereitet ist. Wenn die Regie in Bern, Zürich und St. Gallen klappt, so bin ich überzeugt, dass wir eine spürbare Verbesserung herausholen werden4.
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