Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
A. AVEC LES ÉTATS LIMITROPHES
1. Allemagne
1.1. Affaires politiques et militaires
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 5
volume linkBern 1991
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#24* | |
Dossier title | Beilagen 1 bis 269 gem. Inhaltsverzeichnis (1939–1945) | |
File reference archive | A.15.40.1 |
dodis.ch/46762
Gestern besuchte ich Herrn von Weizsäcker wegen des Artikels von Dr. jur. Ernst Hermann Bockhoff in den Nationalsozialistischen Monatsheften2.
Der Staatssekretär antwortete mir auf meine Ausführungen, dass er den Artikel nicht gelesen habe, und dass ihm der Verfasser eine unbekannte Grösse sei. Er könne mir aber jetzt schon sagen, dass für die Auslegung der Neutralitätserklärungen der deutschen Regierung und des deutschen Reichskanzlers nicht Herr Bockhoff sondern die deutsche Regierung und in erster Linie Hitler selbst zuständig seien.
Herr von Weizsäcker versicherte, dass die deutsche Regierung nichts anderes wünsche, als weiterhin mit der Schweiz freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten, und er wiederholte, was er mir schon früher gesagt hatte, dass Hitler sich nach den Ereignissen des Herbstes mit aller Deutlichkeit und Entschiedenheit in diesem Sinne ausgesprochen habe.
Allerdings verhehlte mir Herr von Weizsäcker nicht, dass die Einstellung der Schweiz Deutschland gegenüber zu Bedenken Anlass gegeben habe. Man habe sich vor den Ereignissen im Herbst gefragt, ob bei der deutschfeindlichen Einstellung der schweizerischen Presse nicht eine Lage geschaffen werden könnte, die im Falle einer Neutralitätsverletzung Frankreichs es der schweizerischen Regierung schwer machen würde, die schweizerische Neutralität mit der Waffe zu verteidigen. Aber man anerkenne durchaus die Neutralitätspolitik des Bundesrates und seine Bemühungen, Verständnis dafür im Schweizervolk zu schaffen.
Es sei nun im nationalsozialistischen Staate schwierig, solche mehr theoretischen Ausführungen, wie sie im Artikel von Bockhoff enthalten seien, öffentlich zu desavouieren, aber er könne mich nochmals versichern, dass durch den Artikel von Bockhoff die gegebenen Zusicherungen keineswegs in Frage gestellt seien.
Ich antwortete, dass die Ausführungen Bockhoffs immerhin in einer repräsentativen nationalsozialistischen Zeitschrift erschienen seien, die zudem von einem Reichsleiter3 herausgegeben werde. Ich betonte, dass ich in dieser Angelegenheit zwar noch keine Instruktionen erhalten habe, aber ich möchte doch darum bitten, dass die Reichsregierung dafür sorge, dass diese Kampagne gegen die schweizerische Neutralität, wie sie im Völkischen Beobachter eingeleitet und in den süddeutschen Zeitungen und jetzt in den Nationalsozialistischen Monatsblättern weitergeführt werde, aufhöre. Ferner wäre ich dankbar, wenn das Auswärtige Amt später, wenn es von dem Artikel Bockhoffs Kenntnis genommen habe, zum mindesten zu Händen des Bundesrates zu den Ausführungen Stellung nehmen würde und davon abrücke. Auf Grund der Besprechung, die ich mit Ihnen im Dezember hatte, hielt ich mich auch für ermächtigt zu erklären, dass der Bundesrat entschlossen sei, seine bisherigen Bemühungen fortzusetzen, um die öffentliche Meinung in der Schweiz in Übereinstimmung mit seiner Neutralitätspolitik zu bringen.
Ich sehe also Ihren Weisungen entgegen und werde dann erneut mit Herrn von Weizsäcker Rücksprache nehmen. Hitler hält in der Reichstagssitzung Ende Januar eine grosse politische Ansprache. Es frägt sich, ob dem Auswärtigen Amt eine Anregung gemacht werden sollte, die Anerkennung der Neutralität zu erwähnen und damit implizite von den Ausführungen Bockhoffs sich zu distanzieren.
Bei der Besprechung mit Herrn von Weizsäcker erhielt ich den bestimmten Eindruck, dass die deutsche Aussenpolitik keineswegs darauf abzielt, ihre Zusicherungen hinsichtlich der Neutralität in Frage zu stellen. Die politische Aktivität Deutschlands geht nach dem Südosten und nach dem Osten, und zu diesem Zweck will das Deutsche Reich im Westen Ruhe haben. Herr von Weizsäcker sagte mir denn auch, dass seines Erachtens die Lage der Schweiz durch die Ereignisse des Jahres 1938 im Gegensatz zu dem, was man im allgemeinen in der Schweiz glaube, eine gesicherte geworden sei. Solange Frankreich im Osten engagiert gewesen sei, habe die Schweiz geographisch auch im Schnittpunkt der verschiedenen unterschiedlichen Interessen gelegen. Heute, nachdem sich Frankreich auf sein ausgedehntes Kolonialreich beschränke, müsse Deutschland auch nicht mehr mit der Möglichkeit eines französischen Durchmarsches durch die Schweiz rechnen. Die jetzt zwischen Deutschland und Frankreich getroffene Verständigung müsse sich auch für die Schweiz beruhigend auswirken. An diesen Ausführungen ist jedenfalls zutreffend, dass Deutschland auch zu unserm Vorteil im Westen den Status quo aufrechterhalten will. Wie mir der französische Botschafter heute sagte, hat ihm Hitler bei der Übergabe des Beglaubigungsschreibens mit Vehemenz erklärt, dass das Deutsche Reich endgültig auf Elsass-Lothringen verzichtet habe, weil er das deutsche Volk nicht wegen dieser Frage den Lasten und Schrecken eines Krieges mit Frankreich aussetzen könne.
Sowenig man daher zu befürchten braucht, dass Deutschland etwas gegen die Integrität oder gegen die Neutralität der Schweiz plant, so sehr muss man im Auge behalten, dass das nationalsozialistische Deutschland bezüglich seines Ansehens sehr empflindlich und vielleicht überempfindlich ist, und dass es sich auf die Dauer nicht gefallen lässt, dass ein kleiner Nachbar dieses Ansehen zu verkleinern sucht. Die Kampagne in der nationalsozialistischen Parteipresse ist ein Beweis dafür, wenn es überhaupt dafür eines Beweises bedarf.
Es wäre unklug, unsere an sich nicht ungünstige aussenpolitische Lage durch eine unvorsichtige Journalistik weiterhin zu unserem eigenen Nachteil zu ändern.
- 1
- Lettre: E 2001 (E) 1/5. Paraphe: IV. Remarque manuscrite de Motta dans la marge: Dem Bundesrat mitgeteilt. 24.1.39.↩
- 2
- Il s’agit d’un article intitulé Neutralität und Demokratie im 20. Jahrhundert paru dans les Nationalsozialistische Monatshefte. Zentrale politische und kulturelle Zeitschrift der NSDAP, No 106, janvier 1939, p. 46 ss. L’auteur soutenait que la véritable neutralité englobe non seulement la neutralité de l’Etat, mais aussi celle des particuliers. Ce texte s’oppose aux conceptions de Dietrich Schindler et fustige te droit d’asile. Cf. la lettre de D. Schindler à Motta du 17 janvier 1939 (E 2001 (D) 3/304). Le Chef du Département politique s’entretient de cette affaire avec le Ministre d’Allemagne à Berne et von Bibra, en soulignant le fait que cet article contrecarre l’effort que fait le Conseil fédéral pour arriver à ce que la presse suisse montre plus de modération (lettre du 19 janvier 1939 de Motta à Frölicher, non reproduite).↩
- 3
- Les Nationalsozialistische Monatshefte était un organe officiel de la NSDAP. L’éditeur du mensuel était Alfred Rosenberg.↩