Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.12 FRANCE
II.12.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 12, doc. 434
volume linkBern 1994
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#777* | |
Titre du dossier | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 91 (1938–1938) |
dodis.ch/46694
Der Presse haben Sie entnommen, dass von der weitgehenden Änderung im französischen diplomatischen Corps auch der bisherige Leiter der politischen und handelspolitischen Abteilung im Quai d’Orsay berührt wird. Herr Massigli ist zum französischen Botschafter in der Türkei ernannt worden. Obschon zur Stunde die Ernennung insofern noch nicht offiziell ist, als das Agrement der türkischen Regierung noch aussteht, so kann die Tatsache doch als feststehend betrachtet werden.
Ich habe Herrn Massigli Ende letzter Woche aufgesucht, um ihm zur Beförderung zum Botschafter zu gratulieren. Er hat mir kein Hehl daraus gemacht, dass er den Posten nicht gewünscht hat und eigentlich gegen seinen Willen «wegbefördert» worden ist. Die Tatsache, dass er Botschafter und zwar der jüngste Botschafter Frankreichs geworden ist, scheint ihn nicht vollständig zu trösten, obwohl er zugibt, dass ihm in Ankara eine grosse und für Frankreich äusserst wichtige Aufgabe gestellt ist. Man hört hier etwa die Behauptung, es handle sich um eine Strafmassnahme, weil Massigli zu den Kriegshetzern gehört habe. Aus zahlreichen Besprechungen, die ich mit ihm während der kritischen Zeit gehabt habe, hatte ich diesen Eindruck nicht. Dagegen hat er zweifellos die französische Haltung Hitler gegenüber öfters als wenig würdevoll empfunden und den gewaltigen Zuwachs an Prestige und materiellem Einfluss in Mittel- und Osteuropa, den das dritte Reich davongetragen hat, schwer verwinden können. Er scheint sich in dieser Hinsicht mehrfach in ausgesprochenem Gegensatz zu Herrn Bonnet gestellt zu haben, der dann auch seine Entfernung durchsetzte.
Ich glaube nicht, dass wir aus dieser Mutation etwas zu gewinnen haben. Herr Massigli hat sich in allen Fragen, die ich seit meiner Ankunft mit ihm zu behandeln hatte (Neutralität, Wirtschaftsfragen, Fremdenpolizei, etc.) ausnahmslos für uns eingesetzt und mich in den kritischen Tagen der grossen Krise offen und zuverlässig informiert. Dazu kommt, dass sein Nachfolger, Herr Minister Charvériat, ausserordentlich verschlossen ist, man nennt ihn im diplomatischen Corps «le constipé du Quai d’Orsay». Er wird sehr viel schwieriger zu behandeln sein, da man nie weiss, woran man ist und er seine Hauptaufgabe darin sieht, sich in geheimnisvolles Schweigen zu hüllen.
Die politische Lage beurteilte Massigli in kurzen Zügen wie folgt: Da Frankreich die Partie in Mittel- und Osteuropa verloren hat und dem «Drang nach Osten» keinen ernsthaften Widerstand mehr entgegenstellen kann, so ist der Konfliktstoff zwischen Frankreich und Deutschland für die nächste Zeit klein geworden und es scheint in dieser Hinsicht ein gewisser, von seinem Standpunkt aus bitterer Optimismus gerechtfertigt.
Aus Kreisen des Kriegsministeriums hatte der Militârattaché unserer Gesandschaft letzte Woche erfahren, der Abschluss eines deutsch-französischen Nichtangriffpaktes sei unmittelbar bevorstehend. Die Quelle schien mir zu wenig zuverlässig zu sein, um Ihnen eine Mitteilung zu machen. Herr Massigli, den ich darüber sondierte, bezeichnete die Nachricht als stark verfrüht. Er gab zu, dass seit dem Abschiedsbesuch des Herrn François-Poncet in Berchtersgaden darüber intensiv verhandelt wird, dass die Aussichten nicht schlecht seien und dass Frankreich ein Interesse habe, auf die deutschen Bestrebungen, zwischen Frankreich und England einen Keil zu treiben, zu antworten. Der Abschluss eines solchen Paktes sei deshalb wohl zu erwarten, aber nicht für die allernächsten Tage. Es scheint mir übrigens nicht ausgeschlossen zu sein, dass der französische Ministerpräsident sich selber nicht allzusehr beeilt, da die ohnehin dürftige nationale Einigkeit in Frankreich sofort wieder erschüttert würde, wenn durch Abschluss eines Nichtsangriffpaktes mit Deutschland die aussenpolitische Gefahr in den Hintergrund tritt.
Sehr viel unerfreulicher sind nach M. die Beziehungen mit Italien und die Aussicht für eine wesentliche und dauernde Entspannung. Trotzdem Frankreich nun einen Botschafter in Rom ernannt hat und damit die Eroberung Abessiniens anerkennt und trotzdem Frankreich an Italien keinerlei Forderungen stellt, ist der Ton der italienischen Presse Frankreich gegenüber kaum besser geworden. Man hat den Eindruck, sagt Massigli, dass Mussolini im italienischen Volk feindselige Gefühle gegen Frankreich aufrecht erhalten will, um zu gegebener Zeit gewisse weitgehende Forderungen (Tunis, Djibouti) zu rechtfertigen. Nach seinen Andeutungen soll sich denn auch Herr François-Poncet mit sehr gemischten Gefühlen und mit wenig Optimismus auf seinen neuen Posten begeben.
Der langjährige Pariserkorrespondent des «Bund» und jetzige Professor der Geschichte an der Eidg. Technischen Hochschule, Herr Professor von Salis, war letzte Woche für einige Tage hier. Er hat beim Aussenminister, Herrn Bonnet, um ein Interview nachgesucht und wurde von ihm, fast wider Erwarten, kurz empfangen. Herr Bonnet hat allerdings betont, dass er keinerlei für die Presse bestimmten Mitteilungen machen könne, sondern nur bereit sei, dem «professeur d’histoire» einige Fragen vertraulich zu beantworten. Herr von Salis hat mir unmittelbar nachher berichtet. Darnach soll Herr Bonnet die Beziehungen zu Deutschland als befriedigend bezeichnet haben. Eine weitere Annäherung zwischen den beiden Ländern, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiet, sei wahrscheinlich. Bezüglich eines Nichtangriffpaktes hat er keinerlei Andeutung gemacht, dagegen mehrfach und mit aller Bestimmtheit betont, es sei weder in Berchtersgaden, noch in Godesberg, noch in München, von den deutschen Kolonialforderungen auch nur ein Wort gesprochen worden und es sei nicht anzunehmen, dass sich in absehbarer Zeit dieser Kolonialfrage wegen eine neue französisch-deutsche Spannung bilden werde. Sehr viel reservierter sei Herr Bonnet gewesen mit Bezug auf Italien. Er habe lediglich erklärt, Frankreich lege grössten Wert auf Beseitigung der jetzigen Spannung und habe dies ja vor der ganzen Welt eindeutig bewiesen. Man müsse nun abwarten, was Herr François-Poncet in Rom ausrichten werde.
Herr von Salis, der Herrn Bonnet zum ersten Male gesehen hat, fasste sein Urteil über ihn dahin zusammen: «ce n’est pas un Monsieur»2, ein Urteil, das ich seit der Konferenz von Stresa teilte und heute noch teile. Interessant ist, was er mir weiter und aus zuverlässigen Quellen berichtete, dass auch Herr de Monzie, den man in der hiesigen Presse als eifrigste Stütze des Herrn Bonnet während der letzten Wochen bezeichnete, persönlich in gleicher Weise über Herrn Bonnet urteile.
Tags