Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.1 ALLEMAGNE
II.1.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 12, Dok. 430
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#123* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 65 | |
Dossiertitel | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 39 (1938–1938) |
dodis.ch/46690
Als ich am letzten Montag aus dem Urlaub zurückkehrte, rief mich Freiherr von Weizsäcker an, um mir mitzuteilen, dass er sich schon Ende der letzten Woche mit mir in Verbindung setzen wollte, um eine Zusammenkunft zu vereinbaren, damit er mir gewisse Aufschlüsse über die letzten Ereignisse geben könne. Er möchte mich nun zu einem Frühstück im kleinen Kreis einladen, wo dann Gelegenheit wäre über diese Dinge zu sprechen.
Das Frühstück fand gestern im Hause von Herrn von Weizsäcker statt. Es nahmen daran teil die Prinzessin von Hessen, Botschafter Ritter, der frühere deutsche Botschafter in Rio de Janeiro, der sich nun mit Wirtschaftsfragen in der Tschechoslowakei befasst, der ehemalige Gesandte in Brüssel, Herr von Richthofen, der deutsches Mitglied der deutsch-tschechischen Kommission ist, und der Oberbürgermeister von Stuttgart, Herr Strölin. Wenn ich diese gesellschaftlichen Einzelheiten erwähne, so tue ich es nur deshalb, um zu zeigen, dass offenbar Herr von Weizsäcker mir eine besondere Aufmerksamkeit erweisen wollte.
Der Staatssekretär sagte mir nun, nachdem wir uns nach dem Essen zu einer vertraulichen Aussprache zurückgezogen hatten, ungefähr Folgendes:
Man habe es deutscherseits als Zeichen eines berechtigten Vertrauens begrüsst, dass die Schweiz keine besonderen militärischen Massnahmen ergriffen habe. In der Tat habe auch Deutschland keine irgendwelchen militärischen Vorbereitungen an der Schweizergrenze getroffen. Vielleicht sei es mir aufgefallen, dass der Führer in seiner Rede in Saarbrücken ausgeführt habe, dass Deutschland gezwungen sei seine Befestigungslinie hinter der belgischen Grenze weiterzuführen; hinter der schweizerischen Grenze halte man es demnach nicht für nötig militärische Werke zu errichten. Deutschland rechne mit der Neutralität der Schweiz als einer feststehenden dauernden Tatsache, auf die es sich verlassen könne. Er könne mich überhaupt noch einmal versichern, dass heute nach der Erledigung des tschechoslowakischen Problems die Einstellung der deutschen Politik gegenüber unserem Lande die gleiche bleibe. Deutschland habe nach wie vor weder politische noch militärische Absichten und werde auch keine Vorbereitungen treffen. Es genüge Deutschland, wenn es die Gewissheit habe, dass sich die Schweiz einem allfälligen Durchmarschversuch von Westen her, der aber aus strategischen Gründen nicht sehr wahrscheinlich sei, zur Wehr setzen würde.
Nachdem ich dem Staatssekretär für diese erfreulichen Eröffnungen gedankt habe, benützte ich die Gelegenheit, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass ich in der Frage der Versorgung der Schweiz mit lebenswichtigen Gütern in Kriegszeiten noch keine schriftliche Antwort erhalten habe2. Herr von Weizsäcker erwiderte, dass er geglaubt habe, die Überwindung der Krise mache eine Antwort auf meine diesbezügliche Demarche nicht mehr nötig. Dem gegenüber machte ich aber geltend, dass wir es lebhaft begrüssen würden, wenn die grundsätzliche Bereitschaft zur Belieferung der Schweiz in einer Erklärung zum Ausdruck gebracht würde, da sich diese Haltung aus der deutschen Anerkennung der schweizerischen Neutralität ergebe und somit nicht an eine bestimmte Kriegsgefahr gebunden sei. Ich fügte auch bei, dass die französische Regierung, wie ich von Herrn Minister Stucki in Paris wüsste, eine solche grundsätzliche Erklärung abgegeben habe3 und dass es daher für den Bundesrat von Wichtigkeit sei, auch vom nördlichen Nachbar eine entsprechende Zusicherung, aus der sich der gleiche Wille zur Beachtung der Neutralität ergebe, zu erhalten. Herr von Weizsäcker nahm von meinen Wünschen gern Vormerk und glaubte keine Einwendungen machen zu müssen. Er versprach, die Frage sofort wieder behandeln zu lassen und mir später dann eine Antwort zu geben.
Scherzhaft fragte mich dann der Staatssekretär, welche Kriegsgefahr wir denn schon wieder vermuten. Ich entgegnete, in ähnlichem Sinne, dass er wohl besser in der Lage sei mich zu belehren, weshalb in der Welt die Aufrüstung fortgesetzt werde.
Wir kamen dann auf die Verhältnisse im Mittelmeer zu sprechen. Herr von Weizsäcker meinte, dass Italien hier keine weiteren Aspirationen habe. Auch in Spanien wolle es nichts anderes als die Gründung eines anti-italienischen Staates verhindern. Franco werde, wenn es ihm gelinge, die Herrschaft über ganz Spanien zu erringen, eine unabhängige Politik betreiben, von der auch die Westmächte nichts zu befürchten hätten. Er glaube nicht, dass man in der spanischen Frage eine Wendung befürchten müsste, die den allgemeinen Frieden gefährden könnte.
Die Verzögerung des Inkrafttretens der italienisch-englischen Vereinbarungen sei wirklich nur darauf zurückzuführen, dass die englische Regierung nicht noch einmal ohne Zustimmung des Parlaments Entscheidungen von solcher Tragweite treffen wollte; es sei nicht zutreffend, wenn behauptet werde, dass es die Absicht Englands sei, noch andere Bedingungen für das Inkrafttreten der Vereinbarungen zu stellen. Auch die Bemerkungen Hitlers in Saarbrücken an die Adresse Englands seien nicht als eine Sekundierung Italiens in dieser Frage aufzufassen. Er sei vielmehr in der Lage das Geheimnis zu lüften, weshalb sich der Führer so ungehalten über gewisse englische Einmischungen geäussert habe. Kurz vor der Rede habe nämlich der Reichskanzler einen Bericht der deutschen Botschaft in London gelesen, wo ausführlich dargelegt wurde, wie englische Persönlichkeiten und Organisationen sich erlaubten indiskrete Fragen über das Schicksal von Österreichern und Deutschen zu stellen.
Wenn somit auch keine Kriegsgefahr wegen der Verhältnisse im Mittelmeer befürchtet werden müsse, so möchte er doch feststellen, dass die italienischdeutsche Achse sich als eine Realität erwiesen habe, die auch in Zukunft fortbestehen werde. Er müsse heute eine falsche Ansicht richtigstellen, die er vor einigen Jahren Herrn Bundesrat Minger gegenüber bei einer Einladung in Schüpfen geäussert habe4. Damals habe er die Auffassung vertreten, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Italien kaum von Dauer sein werde. Diese Prognose habe sich als irrtümlich erwiesen und er lege Wert darauf, dies heute richtigzustellen.
Zum tschechoslowakischen Problem übergehend sagte Herr von Weizsäcker, dass sich die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete ohne Zwischenfall vollzogen habe. Die internationale Kommission, deren Vorsitz er führte, habe gestern ihre Arbeiten, ohne dass Schwierigkeiten entstanden wären, beendet. Plebiszite fänden nun keine statt. Er persönlich sei zwar in einer früheren Phase der Auffassung gewesen, dass man die Bevölkerung abstimmen lassen müsse. Er sei auch heute noch überzeugt, dass die Grenzen für Deutschland günstiger gestaltet werden könnten, wenn man in den gemischten Gebieten es auf eine Abstimmung ankommen lassen würde. Nachdem nun aber die Tschechoslowakei ihre Aussenpolitik geändert habe, - der tschechoslowakische Aussenminister sei heute nachmittag nach seinem gestrigen Besuch bei von Ribbentrop nunmehr in Berchtesgaden beim Führer - so liege kein Grund vor, an den weitergehenden an sich nicht unberechtigten Forderungen festzuhalten. Bezüglich der Slowakei hoffe er, dass die ungarischen Ansprüche in gerechter Weise und im Verhandlungswege berücksichtigt werden. Was den Wunsch Polens und Ungarns nach einer gemeinsamen Grenze in Karpathorussland anbetreffe, so sei Deutschland an dieser Frage nicht interessiert. Deutschland müsse lediglich verlangen, dass das Selbstbestimmungsrecht der Karpathorussen beachtet werde. Er glaube nicht, dass die dortige ukrainische Bevölkerung grosse Lust habe, es von neuem wieder mit Ungarn zu versuchen; denn wenn auch Ungarn heute der ausgesprochene Freund Deutschlands sei, so müsse er doch sagen, dass sich dieses Land in der Behandlung der Minoritäten bisher keine besonderen Verdienste erworben habe.
Zurückblickend auf die vergangenen Ereignisse meinte Herr von Weizsäcker, dass eigentlich mit den englischen Zugeständnissen in Berchtesgaden die aktuelle Kriegsgefahr hätte als beseitigt angesehen werden können. Wenn trotzdem später bei der praktischen Durchführung dieser Vorschläge die Kriegsgefahr ihren Höhepunkt erreichte, so sei dies einem technischen Regiefehler zuzuschreiben, den man in Godesberg gemacht habe. Man hätte in diesem Stadium der Besprechungen ein technisches Organ einschieben sollen, das zunächst die Durchführung der Vorschläge von Berchtesgaden bearbeitet hätte, statt die Regelung dieser Einzelfragen sofort den grossen Staatsmännern zu überlassen. Am kritischen Mittwoch sei er in der Reichskanzlei beim Führer gewesen, als der Vorschlag Mussolinis vorlag, zu einer Besprechung nach Berlin zu kommen. Hitler habe sich - also entgegen meinen Informationen aus einer journalistischen Quelle - sofort mit dieser Idee einverstanden erklärt und die Anregung gemacht, die Konferenz nach München einzuberufen, damit Mussolini nicht gezwungen sei, bei der Vereisungsgefahr in den Alpen das Flugzeug zu benutzen. Diese Zustimmung Hitlers zu dem Vorschlag der Viererkonferenz sei ca. um 12.30 Uhr erfolgt, und er habe damals schon den Eindruck gehabt, dass damit die Gefahr eines Krieges beseitigt sei.
Schliesslich kamen wir noch einmal auf die deutsch-schweizerischen Beziehungen zu sprechen. Herr von Weizsäcker sagte, dass er sich darüber gefreut habe, dass der Bundesrat eine Verbotsmassnahme gegen das «Journal des Nations» erliess5. Mit Interesse habe er auch davon gehört, dass man sich über die Tendenz der schweizerischen Depeschenagentur und ihre Anlehnung an die Agentur Havas aufhalte. Ich sagte ihm, dass diese Einseitigkeit schon lange beim Politischen Departement Anstoss erweckt habe. Ich brauchte Herrn von Weizsäcker nicht darüber zu belehren, dass die Depeschenagentur weder organisatorisch noch finanziell vom Bundesrat abhängig ist und dass daher gewisse Schwierigkeiten bestehen, diese Zustände zu ändern. Mit Recht bemerkte Herr von Weiszsäcker, dass in solchen Fällen eine befriedigende Lösung meistens davon abhänge, welche Persönlichkeit ein solches Unternehmen leite.
Auf die Pressefrage eingehend sagte Herr von Weizsäcker, dass er sich bewusst sei, dass auch in Deutschland in dieser Hinsicht nicht alles klappe, obwohl die Regierung die Möglichkeit habe die Presse zu dirigieren. Er kenne ja die Einstellung des Bundesrates zur Genüge und sei überzeugt, dass es seinem Einfluss schliesslich gelingen werde, auch die schweizerische öffentliche Meinung von der Notwendigkeit gegenseitiger freundschaftlicher Beziehungen mit dem Deutschen Reich zu überzeugen.
- 1
- E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 39. En tête du document, annotation manuscrite de Motta: Sehr interessant! In Zirkulation, 19.10.38, M. D’une autre écriture non identifiée: Zurück am 24.X.↩
- 2
- Cf. No 390.↩
- 3
- Cf. No 398 et surtout E 2200 Paris 11/5.↩
- 4
- En marge de cette phrase, annotation manuscrite de Motta: für Herrn Bundesrat Minger!M. Weizsäcker a été ministre d’Allemagne en Suisse de 1933 à 1937.↩
- 5
- Cf. No 420.↩
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