dodis.ch/46611 Le Ministre de Suisse à
Berlin, H. Frölicher, au Chef du Département politique,
G. Motta1
Vertraulich Berlin, 27. Juli 1938
Bezüglich der Mission des Lord Runciman sagte der englische Botschafter gestern nach einem Frühstück auf der italienischen Botschaft, dass damit England einen Beitrag zur friedlichen Lösung des tschechoslowakischen Problems leiste. Runciman sei ein durchaus objektiv denkender Mann und werde daher sich ein richtiges Bild über die Verhältnisse machen können. Er werde aber auch voraussichtlich in der Lage sein eine Lösung anzuregen, die für beide Teile, jedenfalls für die nächste Zukunft, annehmbar sei. Die tschechische Regierung begrüsse die Entsendung. Mit Henlein könne man sprechen2. Er habe den Eindruck, dass bei gutem Willen man sich mit ihm verständigen könne.
Wenn nur 10% Aussicht sei, dass ein Kompromiss sich finden lasse, so müsse man diesen Versuch machen. Wenn dann die Zukunft zeige, dass es auch mit diesem Kompromiss nicht gehe, dann müsse man nach neuen Möglichkeiten suchen.
Durch die Entsendung Runcimans als privater Vermittler sei erreicht worden, dass das von der tschechischen Regierung in Aussicht genommene Nationalitätenstatut, das ganz unannehmbar gewesen sei, dem Parlament nicht vorgelegt wurde. Die tschechische Regierung wisse jetzt, dass sie eine Verständigung mit Henlein suchen müsse.
Chamberlain mache auch in der Tschechenfrage eine mutige Politik. Er werde von den Juden und allen denjenigen bekämpft, die bei einer allgemeinen Unordnung ihre Geschäfte machen3. Das englische Volk habe zur Zeit für die Politik Chamberlains noch wenig Verständnis, es sei sentimental und sehe nur das grosse deutsche Volk, das das kleine tschechische bedränge. In dieser Geistesverfassung sei die öffentliche Meinung in England ungerecht, weil für sie der Wille der V/i Millionen Sudetendeutschen überhaupt nicht existiere. Mit der Zeit werde man aber auch in England einsehen, dass es nicht angehe einen Weltkrieg zu starten, damit die Tschechen ihre Vorherrschaft über die nichttschechischen Volksteile weiter aufrechterhalten können.
Wenn auch heute eine gewisse Entspannung eingetreten sei, so würden die Gefahren für den allgemeinen Frieden trotzdem weiter bestehen. Hitler könne sich bei seinem Temperament zu verhängnisvollen Entschlüssen plötzlich hinreissen lassen. Gewisse Persönlichkeiten in der NSDAP seien für eine forsche Politik und nicht nur in der Tschechoslowakei und in Russland, sondern selbst in England seien einflussreiche Kreise am Werk, welche es jetzt kaltblütig auf eine Kraftprobe ankommen lassen wollen. Obwohl er glaube, dass Deutschland in einem allgemeinen Krieg schon nach sechs Monaten besiegt wäre - hier dürfte Henderson irren -, wäre im Ergebnis nur das bolschewistische Russland der Nutzniesser dieser Katastrophe.