Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.1 ALLEMAGNE
II.1.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 323
volume linkBern 1994
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#123* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 65 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 39 (1938–1938) |
dodis.ch/46583
Dem italienischen Botschafter, bei dem ich am letzten Freitag meine hiesige Besuchstournee begann, konnte ich erklären, dass es mich besonders freue, ihn zuerst aufzusuchen, wie dies den ausgezeichneten Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern entspreche. Herr Attolico empfing mich denn auch überaus freundlich mit der Liebenswürdigkeit eines älteren aufgeklärten Mannes, der, ohne zu patronisieren, dem jüngeren Kollegen mit Wohlwollen entgegentritt. Leider ist er immer noch etwas kränklich. Wie er mir selbst sagte, war er während des Anschlusses von Österreich wegen einer schmerzhaften Phlebitis «vollständig ausgeschaltet». Auch jetzt leidet er noch an den Folgen dieser Krankheit und er bat mich denn auch, sein Bein während unseres Gesprächs auf einen Stuhl legen zu dürfen.
Der italienische Botschafter hatte bereits vom deutschen Aussenminister Kenntnis von den Erklärungen erhalten, die Hitler mir anlässlich meiner Antrittsaudienz betreffend unsere Neutralität gemacht hatte2. Dies gab mir Gelegenheit, auch ihm unsere diesbezüglichen Wünsche auseinanderzusetzen. Es fiel mir auf, dass er sagte, Italien falle es viel leichter als Deutschland eine Anerkennung der Neutralität der Schweiz auszusprechen, da der italienische Regierungschef ja wiederholt durch seine in der Öffentlichkeit abgegebenen Erklärungen über diese Stellungnahme keinen Zweifel gelassen habe; Hitler dagegen habe sich nur einem Privatmann, Herrn Alt Bundesrat Schulthess, gegenüber geäussert. Selbstverständlich suchte ich ihn darüber aufzuklären, dass die Äusserungen des deutschen Staatsoberhauptes an Alt Bundesrat Schulthess ebenfalls für die Öffentlichkeit bestimmt waren und veröffentlicht wurden; ferner dass der Bundesrat sie offiziell verdankt habe und dass jetzt in den offiziellen Ansprachen bei meiner Antrittsaudienz sie wiederum von beiden Seiten erwähnt worden seien. Die Bemerkungen des italienischen Botschafters zeigten mir aber, dass offenbar die Widerstände im Auswärtigen Amt gegen die Anerkennung der Neutralität doch nicht belanglos gewesen sind und dass die günstige Wendung dem Dazwischentreten Hitlers zu verdanken ist. Herr Attolico sagte mir denn auch, dass Hitler sich mit dem Problem der neutralen Staaten persönlich befasst habe und dass seinen diesbezüglichen Äusserungen daher umsomehr Gewicht beizulegen sei.
Wegen der Tschechoslowakei ist der italienische Botschafter besorgt. Er habe der deutschen Regierung klarzumachen versucht, dass Frankreich bei einem militärischen Vorgehen Deutschlands gegen die Tschechoslowakei nicht abseits bleiben werde und dass sich somit das österreichische Wunder - das übrigens gar kein Wunder gewesen sei - nicht wiederholen werde. Die deutsche Regierung habe die Gefahren erkannt, aber die Krise sei noch nicht überwunden. Sie würde im Gegenteil erst ihren Höhepunkt erreichen, wenn das von der Prag er Regierung in Aussicht genommene Autonomiestatut bekannt würde. Das tschechoslowakische Problem sei ohne Zergliederung des Staates überhaupt kaum lösbar, weil die sogenannten Minderheiten fast die Mehrheit hätten im Gegensatz zu den Deutschen in Südtirol, die zwar ohne Italien isierung auch nie staatstreu würden, die aber in Anbetracht der verhältnismässig geringen Zahl für Italien keine Gefahr bedeuteten. Das auf einer jahrhundertalten Entwicklung beruhende Beispiel der Schweiz könne sich in der Tschechoslowakei nicht wiederholen.
Auch der französische Botschafter, der mich noch von meiner früheren Tätigkeit in Berlin her kennt, empfing mich sehr freundlich.
Im Verlauf der Unterhaltung teilte ich ihm mit, dass Hitler mir wertvolle Erklärungen über die Respektierung der schweizerischen Neutralität abgegeben habe. Er antwortete, dass man sich darauf nicht verlassen könne. Hitler habe auch den Locarno-Pakt als eine von Deutschland freiwillig eingegangene Verpflichtung anerkannt. Dem gegenüber machte ich geltend, dass Hitler nach seinen eigenen Darlegungen von dem Wert der schweizerischen Neutralität für Deutschland überzeugt sei, was man eben bei jenen Abmachungen aus der Stresemann-Epoche doch wohl kaum habe annehmen dürfen.
Herr François-Poncet glaubte, mich auch auf die Tätigkeit der deutschen Organisationen in der Schweiz aufmerksam machen zu müssen. Dies gab mir Gelegenheit ihm zu sagen, dass diese Tätigkeit gemäss Abmachung und auf Grund unserer Wahrnehmungen sich nur auf die deutschen Staatsangehörigen erstrecke und dass diese Organisationen auch in Frankreich unbeanstandet seien. Allerdings werde dadurch die Assimilierung der Fremden bei uns erschwert, aber die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass der Einfluss des Gastlandes der stärkere sei. Jedenfalls könnte die Schweiz bei ihrer geographischen Lage zwischen Deutschland und Italien nicht in gleicher Weise vorgehen wie gewisse südamerikanische Einwanderungsländer.
Bezüglich der Tschechoslowakei sprach sich der französische Botschafter ebenfalls sehr besorgt aus. Am 21. Mai sei der Weltfriede in Frage gestellt gewesen3. Göring habe tatsächlich marschieren wollen, Hitler habe sich im letzten Moment für den Frieden entschlossen. Ob auf deutscher Seite tatsächlich mobilisiert worden sei, könne man nicht feststellen. Aber heute könnten diese Vorbereitungen für grosse Verbände unbemerkt vorgenommen werden. Jeden Moment könne sich wieder die gleiche Situation wie damals einstellen. Die Hetze, die in der deutschen Presse weitergeht, zeige, dass man sich in Deutschland für die Auflösung der Tschechoslowakei entschlossen habe. Die in Prag in Aussicht genommene Autonomielösung sei voraussichtlich für die Sudeten deutschen unbefriedigend. Sie sehe nur eine Autonomie der Gemeinden vor, während für die staatliche Polizei und das Heer es beim alten bleibe. Heute würden die sudetendeutschen Soldaten in der Slowakei verwendet und auf je drei Tschechen in einem solchen Regiment käme ein Sudeten deutscher. Vielleicht könnte eine Lösung gefunden werden, die das Fortbestehen der Tschechoslowakei in ihren bisherigen Grenzen ermöglichen würde, wenn die Tschechoslowakei ihre Aussenpolitik umstellen und nach dem Muster der Schweiz ein neutraler Staat würde. Auf meine Zwischenfrage, ob sich denn die französische Regierung mit einer solchen Lösung abfinden könnte, antwortete François-Poncet, dass dies nur eine persönliche Idee von ihm sei.
Vom Völkerbund werde man bei einem allgemeinen Konflikt nicht das Geringste erwarten können. An dem Fiasko dieser Institution sei das Sekretariat nicht unschuldig. Schon der erste Generalsekretär sei eben mehr ein «Paperassier» gewesen, aber die Aera Avenol habe sich mit ihrer antiitalienischen Politik geradezu katastrophal ausgewirkt.
Der französische Botschafter sprach sich dann sehr lobend über die Stabilität der innerpolitischen Verhältnisse in der Schweiz aus. In der Schweiz hätten wir eine Landesregierung, die zwar das Vertrauen des Parlamentes besitze, aber vom Parlament nicht gestürzt werden könne und die auch im Stande sei, in kritischen Momenten autoritär zu regieren. In seinem Lande sei dies leider nicht so; es werde erst besser werden, wenn Frankreich einmal eine «autoritäre Demokratie» sei. Das französische Volk sei aber zu leichtlebig, sehe die Gefahren nicht und er fürchte, dass es ohne Blutvergiessen zu keiner Änderung komme.
Ebenso interessant waren die Ausführungen des Botschafters über die deutschen wirtschaftlichen Verhältnisse. Die französische Botschaft schätzt die innere Verschuldung Deutschlands auf 60 Milliarden. Das deutsche Wirtschaftsexperiment könne zwar noch längere Zeit weitergeführt werden, aber in einigen Jahren müsse die Katastrophe kommen. Es werde einen Krach à la Kreuger geben. Ich sagte, dass man gewiss dieser Beurteilung beipflichten müsse, wenn man die bisherigen Lehren der Wirtschaftsgeschichte berücksichtige; das überaus interessante deutsche Experiment sei aber etwas Neues und man müsse sich fragen, ob in einer streng kontrollierten Wirtschaft, die hauptsächlich eine Binnenwirtschaft sei, das Rätsel nicht dadurch gelöst werden könne, dass die Produktion der Güter mit der Geldinflation Schritt hält. Herr François-Poncet glaubt dies schon deshalb nicht, weil man in Deutschland auch in dieser Hinsicht jedes Mass und Ziel verloren zu haben scheine. Die Aufrüstung, der Ausbau der Städte, die Ausgaben für die Partei, die Autobahnen usw. würden immer mehr Mittel verschlingen und seit dem Abgang Schachts treibe man auch ohne Krieg der wirtschaftlichen Katastrophe, die aber noch längere Zeit nicht zu kommen brauche, unhaltbar entgegen. Darüber, ob dieser Beurteilung zuzustimmen sei, möchte ich mich nicht äussern. Es liegt auf der Hand, dass dieser Frage, deren Beantwortung auch für die Schweiz grosse Bedeutung zukommt, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
Beim Abschied sagte ich dem französischen Botschafter, dass er zwar meine hiesige Aufgabe sei, die deutsch-schweizerische Freundschaft zu vertiefen, dass ich mich aber genügend mit der schweizerischen Aussenpolitik befasst hätte, um zu wissen, dass die Pflege dieser Freundschaft nie auf Kosten anderer uns ebenso wichtiger Freundschaften erfolgen dürfe.
- 1
- E 2300 Berlin, Archiv. Nr. 39. En tête du document figure l’annotation manuscrite de Motta: In Zirkulation, 15.6.38, M. D’une autre écriture: Zurück am 26.6.38.↩
- 2
- Cf. No 318.↩
- 3
- Se croyant sous la menace d’une intervention militaire allemande imminente, le Gouvernement tchécoslovaque avait décidé la mobilisation partielle. Des incidents avaient fait deux victimes sudètes.↩
Tags