Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.12 FRANCE
II.12.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 12, doc. 259
volume linkBern 1994
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#777* | |
Titre du dossier | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 91 (1938–1938) |
dodis.ch/46519
Nachdem ich nun alle Botschafter (mit Ausnahme des spanischen und russischen) und Gesandten der europäischen Länder und die offiziellen Persönlichkeiten Frankreichs besucht habe, komme ich endlich dazu, Ihnen einige Gesamteindrücke sowie verschiedene interessante Einzelheiten mitzuteilen.
Die hier lebenden Missionschefs betrachten sozusagen ausnahmslos die politische, wirtschaftliche und finanzielle Lage Frankreichs als ausserordentlich schlecht, wenn nicht fast als hoffnungslos. Die aussenpolitische Isolierung ist unmöglich zu übersehen: Der französische Einfluss in Osteuropa besteht lediglich noch einigermassen in der Tschekoslowakei. Mit Polen sind die Beziehungen recht gespannt, mit Belgien ganz wesentlich kühler als früher und auch gegenüber England scheinen verschiedene nicht unwesentliche Friktionen zu bestehen. «Die Stimme Frankreichs im europäischen Konzert ist fast verstummt», sagten verschiedene Vertreter kleinerer Staaten, selbstverständlich mit aufrichtigem Bedauern. Ganz einstimmig ist man in der Feststellung, dass es vor allem aus an führenden Männern fehlt. Man sieht absolut nicht, wer an der Spitze einer «Union nationale» das Land wieder emporheben sollte. Von Blum hat man genug, aber auch die übrigen Namen begegnen fast unübersteiglichen Schwierigkeiten; Daladier (war bei den Unruhen vom 6. Februar zusammengebrochen), Herriot (Russenpakt), Flandin (für die Linke unannehmbar und selbst von einem Teil der Rechten als Verräter bezeichnet), Pétain (viel zu alt), Chautemps (abgenutzter Manövrier), u.s.w. Ich habe tatsächlich nicht einen einzigen Namen gehört, der nicht sofort soviel Kritik herausgefordert hätte, dass eine an ihn geknüpfte Dauerlösung schwer denkbar erscheint.
Und trotzdem kommt in allen Urteilen immer wieder der Glaube zum Ausdruck, dass Frankreich so reich und namentlich in der Provinz gesund sei, dass irgend ein Wunder passieren müsse. Der deutsche Botschafter drückte sich so aus: «Verstandesmässig betrachtet, scheint Frankreich dem sichern Untergang entgegen zu treiben. Ich habe aber die bestimmte gefühlsmässige Empfindung, dass es sich wieder erheben wird.»
Zahlreiche Gespräche drehten sich selbstverständlich um die tschekoslowakische Frage. Die ganz überwiegende Überzeugung der hiesigen Diplomaten geht dahin, dass entgegen allen feierlichen Erklärungen die französische Armee für die Tschekoslowakei nicht marschieren wird. Die Hülfe könnte nur darin bestehen, dass Frankreich die deutsche Armee auf der Rheinlinie angreift. Man gibt sich volle Rechenschaft, welch ausserordentliche Opfer dies kosten müsste, dass während dieser Zeit die Tschekoslowakei doch verloren wäre und namentlich dass ein solcher Angriffskrieg beim französischen Volk kaum je populär gemacht werden könnte. Von einem Botschafter wurde gesagt: «Le seul homme à Paris décidé à marcher pour la Tchécoslovaquie est M. Osusky». Dieser selbst, den ich von Genf her gut kenne und der sich mir gegenüber sehr offen geäussert hat, scheint sich auch keine Illusionen zu machen. Er erklärte spontan, dass die tschechische Regierung in der Behandlung der Sudetendeutschen zweifellos schwere Fehler gemacht habe und heute entschlossen sei, in den Konzessionen gegenüber Henlein bis zur alleräussersten Grenze des Tragbaren zu gehen. Auf irgendwelche russische Hülfe rechne in Prag niemand, da die russische Armee infolge der Massakrierung ihrer Generäle durch Stalin für mindestens zwei Jahre aktionsunfähig geworden sei. Er betrachtet die Lage seines Landes als sehr ernst, glaubt aber, dass Hitler nichts ernsthaftes unternehmen werde, solange beim ganz überwiegenden Teil des tschekoslowakischen Volkes der heutige unbedingte Wille zur Selbsterhaltung aufrecht bleibe. Herr Osusky glaubt im übrigen zwar nicht die französische öffentliche Meinung, wohl aber die französische Armee für aktives Eingreifen im Sinne des französisch-tschekischen Paktes gewonnen zu haben.
Während der ersten 10 Tage nach dem Anschluss war man im Quai d’Orsay, wie ich schon berichtet habe, ganz ausserordentlich pessimistisch, fast hysterisch. Herr Léger hat mir einen einstündigen Vortrag über die Beurteilung der politischen Lage durch die französische Regierung gehalten, den ich wie folgt resümieren möchte.
Nach den französischen Wahlen von 1936, die eine starke Volksfrontmehrheit ergaben, war Hitler überzeugt, dass Frankreich dem Bolschewismus verfallen und damit tatsächlich vollkommen isoliert sei. Eine günstigere Plattform für einen Krieg gegen Frankreich, der ihn in den Augen der Welt als Befreier von dem Bolschewismus erscheinen liesse, könne er nicht finden. Er engagiert sich deshalb gemeinsam mit Mussolini in Spanien und hofft auf einen günstigen Moment zum Losschlagen. Hitler sieht sich in seinen Erwartungen getäuscht, indem Frankreich nicht bolschewisiert wird, sich nicht selber aufgibt und die englische Freundschaft nicht verliert. Er betrachtet deshalb einen Krieg nicht für günstig und zieht sich trotz des heftigsten Sträubens Mussolinis langsam aus Spanien zurück, um sich Mittel- und Osteuropa zuzuwenden. Von diesem Augenblick an weiss Mussolini, dass Deutschland an den Brenner kommen wird, hat aber von diesem die Zusicherung, dass es ihn im Mittelmeergebiet unterstütze. Mussolini hat in dieser Hinsicht von Hitler einen Blancoscheck. Frankreich und England können nicht hoffen, Mussolini von Berlin zu entfremden und zu sich hinüberzuziehen, da sie ihm nichts zu bieten haben, was nicht auf ihre eigenen Kosten ginge. Sie wollen deshalb von Mussolini positive Zusicherungen, dass er sich im Mittelmeergebiet ruhig verhält und namentlich nicht in Spanien und auf den Balearen festsetzt. Das ist der Zweck der englischitalienischen Verhandlungen. Der Preis für diese Zusicherungen liegt in der Anerkennung der italienischen Oberhoheit über Abessinien, Anerkennung, die von England und Frankreich gleichzeitig auszusprechen wäre. Die Schwierigkeit liegt darin, von Italien so wertvolle und dauernde Zusicherungen zu erhalten, dass diese Anerkennung, die einen positiven und dauernden Charakter hat, einen genügenden Gegenposten findet.
Die Situation ist für England und Frankreich momentan nicht ungünstig, fügt Léger bei, weil in Abessinien sehr ernsthafte Unruhen ausgebrochen sind, welche alle Verkehrswege, namentlich auch die Eisenbahnen, stark gefährden. Mussolini hat deshalb dort sehr grosse Sorgen und viele Truppen, von denen man glaubte, sie seien für Spanien bestimmt, haben effektiv den Suezkanal passiert. Die Aufstände brechen zusammen, sobald die Oberhoheit durch Frankreich und England anerkannt werde. Daher dringt Mussolini stark auf diese Anerkennung. Das ist aber auch der Grund, weshalb Frankreich und England finden, sie hätten keinen Anlass, ihm allzu rasch und ohne genügende Gegenleistung zu helfen. Zu einer Einigung werde man aber mit Sicherheit kommen, da beide Parteien ihr Prestige zu stark engagiert hätten, um einen Fehlschlag riskieren zu können.
Diese Ausführungen Légers scheinen mir nicht vollständig überzeugend zu sein und sie sind nicht ohne Widersprüche. Der belgische Botschafter, der hier seine Abschiedsbesuche macht und vor einigen Tagen aus Rom zurückgekehrt ist, hat mir bestätigt, dass Léger ihm seit längerer Zeit genau gleich gesprochen hätte. Er habe sich dadurch auch beeinflussen lassen und Brüssel entsprechend informiert. Heute, nach seinen zahlreichen und eingehenden Besprechungen in Rom, sei er vollkommen überzeugt, dass diese ganze französische Auffassung unzutreffend sei. In Rom sei man, ohne es zu zeigen, über den Anschluss sehr beunruhigt und fürchte sich vor Deutschland. Mussolini denke nicht daran, im Mittelmeergebiet irgend etwas Gefährliches zu unternehmen, auch nicht, sich in Spanien oder den Balearen festzusetzen. Entgegen der These Léger liege die Gefahr für Europa keineswegs bei Mussolini, sondern in der tschechischen Frage.
Heute nachmittag erhielt ich die Gegenbesuche des Nunzius und des Kammerpräsidenten Herriot, der über eine Stunde bei mir blieb. Der Nunzius, mit dem ich bei meinem ersten Besuch über politische Fragen nicht gesprochen hatte, äusserte sich über die innerpolitischen Verhältnisse Frankreichs - er gilt als einer der besten Kenner derselben - sehr eingehend und bestätigte in allen Teilen meine oben gemachten allgemeinen Darlegungen.
Herr Herriot, der mir übrigens zu meiner Überraschung weder das letzte Mal noch heute von seinem Lyoner Projekt gesprochen hat, war von einer verblüffenden Offenheit. Aus seinen Ausführungen sprach nicht nur, wie das letzte Mal, der Hass gegen Deutschland, sondern auch ein kaum geringerer Hass gegen die französische Sozialdemokratie! Dagegen lobte er, mehr noch als schon der Präsident des Senats dies getan hatte, die Kommunisten, die heute äusserst national eingestellt und von Moskau ziemlich unabhängig seien! Selbstverständlich sang er auch ein Loblied auf die friedliche Gesinnung Russlands und erklärte, Europa sei von dieser Seite in keiner Weise, von Hitler jedoch auf das schwerste bedroht. Die letzten Taten von Stalin vermochte er nicht zu entschuldigen, war aber in seiner Verurteilung weniger scharf, als vor circa drei Wochen Léon Blum in seinem Leitartikel im «Populaire». Ohne sich für Franco auszusprechen, nahm er gegen die «Anarchistenregierung» von Valencia scharf Stellung. Es war ein, übrigens sehr einseitiges Gespräch von grösstem Interesse aber von kaum erklärlichen Widersprüchen. Herriot sieht, entgegen dem Quai d’Orsay, die europäische Gefahr ebenfalls ausschliesslich bei Hitler und namentlich der Tschechenfrage, keineswegs bei Mussolini. Er liess deutlich durchblicken, dass auch er nicht glaube, dass Frankreich bei einem deutschen Angriff auf die Tschekoslowakei Deutschland an der Rheinlinie angreifen werde.
Ich fragte ihn ganz direkt, ob er bereit wäre, die Regierung der «Union nationale» zu übernehmen. Er bejahte dies glatt und erklärte nur, die Bedingung zu stellen, dass auch die Kommunisten eingeschlossen würden. Dafür würde er rechts über Louis Marin hinausgehen und selbst vor der Beteiligung der Royalisten nicht zurückschrecken.
Seine Absichten betreffend Regierungsbildung erklären vielleicht das auf die Kommunisten gesungene Loblied.
Den Kommentar zu diesen Darlegungen und namentlich auch zu der Persönlichkeit des Herrn Herriot muss ich Ihnen, Herr Bundesrat, überlassen.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Paris, Archiv-Nr. 91.↩
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