dodis.ch/46510
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 28 mars 1938
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515. Kleine Anfrage Musy betr. Auslieferung Grosowska
Justiz- und Polizeidepartement. Antrag vom 28. März 1938
Am 10. Februar d. J. reichte Herr Nationalrat Musyeine kleine Anfrage ein betr. die Freilassung und die Flucht der Lydia Grosowska, die durch den Mord von Chamblandes schwer belastet wurde.
Aus den Akten ergibt sich u. a. folgendes:
Mitte Dezember 1937 verlangten die waadtländischen Behörden unmittelbar bei der Pariser Polizei die Verhaftung der russischen Staatsangehörigen Lydia Grosowska, geb. 1912, die der Mitschuld an der Ermordung des Ignaz Reiss bei Chamblandes2, Kt. Waadt, beschuldigt wird. Die Verhaftung erfolgte wahrscheinlich am 17. Dezember. Den waadtländischen Behörden kam aber bald die Nachricht zu, die Grosowska sei durch die Anklagekammer des Appellhofes von Paris wieder auf freien Fuss gesetzt worden. Das Finanz- u. Zolldepartement erhielt diese Nachricht am 31. Dezember.
Das Auslieferungsbegehren des Kantons Waadt, das sich auf einen Haftbefehl des kantonalen Untersuchungsrichters stützte, kam dem Departement am 28. Dezember zu. Da es sich als nötig erwies, den Haftbefehl sachlich noch abzuändern, konnte das Auslieferungsbegehren der schweizer. Gesandtschaft in Paris erst am 4. Januar 1938 übersandt werden, die es sofort an das französische Aussenministerium weiterleitete. Immerhin wies das Departement die Gesandschaft am 29. Dezember telegraphisch an, die Weiterdauer der Haft der Grosowska zu beantragen. Gleichzeitig mit der Stellung des Auslieferungsbegehrens wurde die Gesandtschaft in Paris eingeladen, sich zu erkundigen, ob es zutreffe, dass die Grosowska freigelassen worden sei, und allenfalls aus welchen Gründen die Freilassung erfolgte. Es ist klar, dass das Auslieferungsbegehren ein neues Verlangen auf Verhaftung der Grosowska in sich schloss.
Ein Teil der französischen Presse sprach unverblümt davon, dass die Freilassung der Grosowska allein dem Einfluss der russischen Botschaft in Paris, bei der die Grosowska angestellt gewesen sei, zugeschrieben werden müsse; in eingeweihten Kreisen sei der Fall als «Skandal» bezeichnet worden.
Nach der Auffassung des Justiz- u. Polizeidepartements, die sich mit derjenigen der Gesandtschaft in Paris deckt, ist kaum daran zu zweifeln, dass die Freilassung der Grosowska tatsächlich sovietrussischen Einflüssen zuzuschreiben ist. Anderseits war nicht zu erwarten, dass die französische Regierung dies zugeben konnte. Sie hat die ihr von der Gesandtschaft gestellten Auskunftbegehren beantwortet, und wenn auch für die Freilassung der Grosowska etwas fadenscheinige Gründe angegeben wurden, so muss man sich mit der Tatsache der Flucht der Angeschuldigten abfinden. Dagegen erscheint es dem Departement angebracht zu sein, dem französischen Aussenministerium noch zur Kenntnis bringen zu lassen, dass die Behandlung des Falles mit den Vorschriften des Auslieferungsvertrages nicht in Übereinstimmung zu bringen sei, an welche sich auch die in Frankreich gesetzlich zuständigen Gerichtsbehörden zu halten hätten. Nach diesen Vorschriften hätte die Grosowska sofort nach Eingang des auf dem diplomatischen Weg gestellten Verhaftsbegehrens wieder verhaftet werden müssen.
In Übereinstimmung mit dem Politischen Departement beantragt das Justizu. Polizeidepartement und der Rat beschliesst:
1. Die kleine Anfrage Musy3 wird gemäss vorgelegtem Entwurf4 beantwortet.
2. Das Justiz- u. Polizeidepartement wird durch Vermittlung der schweizer. Gesandtschaft in Paris dem französischen Ministerium des Auswärtigen die am Schluss der obenstehenden Erwägungen empfohlene Mitteilung zukommen lassen.