dodis.ch/46391 Le Chargé d’Affaires ad interim de la Légation de Suisse à
Berlin,
F. Kappeler, au Président de la Confédération,
G. Motta1
Vertraulich Berlin, 22. September 1937
Im Nachgang zu meinem Bericht vom 20. dieses Monats2 beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass ich Gelegenheit hatte, das vom «Bund» verbreitete Gerücht über angebliche Verhandlungen, die der österreichische Staatssekretär des Äussern in Berlin über die Frage eines deutsch-italienischen Truppendurchzugsrechts durch Österreich geführt haben soll, auch gegenüber dem Politischen Direktor im Auswärtigen Amte zu erwähnen. Dieser sagte mir, dass ihm absolut nichts davon bekannt sei, dass diese Frage überhaupt erörtert worden wäre. Übrigens habe er auf seinem neuen Posten Gelegenheit gehabt, mit der Einstellung des österreichischen Staatssekretärs und der österreichischen Regierung sich genügend vertraut zu machen, um sagen zu können, dass es vollständig ausgeschlossen sei, dass Herr Guido Schmidt zu Verhandlungen über eine solche Frage nach Berlin gekommen wäre.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs äusserte sich Freiherr von Weizsäcker dahin, dass, wenn man schon vom schweizerischen Standpunkte aus die Situation in Betracht ziehe, die sich aus einem Konflikt zwischen Deutschland und Italien einerseits und Frankreich und England andererseits ergeben könnte, wozu übrigens die derzeitige tatsächliche Lage seines Erachtens durchaus keinen Anlass biete, so könnte es für die Schweiz nur erwünscht sein, wenn Österreich auf der deutsch-italienischen Seite und nicht etwa auf der französischen Seite stehe, denn im letzteren Falle würde die Schweiz im Schnittpunkt zweier einander feindselig gegenüberstehender Achsen liegen und es ergäbe sich für sie viel eher die Gefahr, ähnlich wie zur Zeit Napoleons, zum Schauplatz der Auseinandersetzungen zu werden.
Was den Besuch Mussolinis betrifft, so verneinte auch Freiherr von Weizsäcker, dass der Abschluss eines Bündnisvertrages beabsichtigt sei. Jedenfalls sei ihm von derartigen Absichten nichts bekannt und es bestehe seines Erachtens auch keinerlei Bedürfnis nach einen solchen Bündnis. Das deutsch-italienische Verhältnis beruhe auf der Parallelität der Interessen. Allerdings glaube er sagen zu können, dass es auch falsch wäre, auf eine Änderung des Kurses der beiden Mächte zu spekulieren. Es dürfte kaum so leicht gelingen, Italien von seiner freundschaftlichen Einstellung gegenüber Deutschland abzubringen.
Trotz den zahlreichen beunruhigenden Vorfällen, die sich in der letzten Zeit zugetragen haben, legte Freiherr von Weizsäcker einen auffallenden Optimismus an den Tag, wozu vermutlich beigetragen hat, dass er bereits davon Kenntnis hatte, dass Italien sich der Mittelmeerkontrolle anschliessen werde. Er äusserte sich ferner dahin, dass ihm die Gefahr eines bewaffneten Konflikts in Europa völlig ausgeschlossen scheine. Vor 1914 hätten derartige Vorfälle zweifellos zu einem Krieg geführt, heute sei ein solcher deswegen nicht zu befürchten, weil im Grunde genommen keine Macht zu einem solchen bereit sei. Er sei überzeugt, dass mindestens für zwei Jahre, d.h. solange man überhaupt die Entwicklung der Dinge einigermassen Voraussagen könne, ein Krieg nicht zu befürchten sei. Das sei nicht nur eine diplomatische Äusserung, sondern wirklich seine Überzeugung. Übrigens werde er selbst an seinem Posten alles tun, um zu verhüten, dass etwas derartiges Vorkommen könnte.
Erwähnenswert ist noch eine Bemerkung zu Hitlers Schlussrede am Parteitag. Sein Hinweis auf das europäische Gleichgewicht sei wohl im Ausland meistens falsch verstanden worden. Er habe mit diesem Hinweis nicht von einer balance of power sprechen wollen, sondern die Auffassung vertreten, dass ein weiteres Umsichgreifen des Kommunismus in Europa von Deutschland nicht hingenommen werden könnte. Das sei aber etwas ganz anderes als der Grundsatz des Gleichgewichts der europäischen Mächte.