Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.3 AUTRICHE
II.3.1 QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 73
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1263* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 523 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 52 (1937–1937) |
dodis.ch/46333
Über die Venediger Konferenz Mussolini-Schuschnigg ist Vielerlei geschrieben worden, Richtiges und Falsches. Auch nach Ausschöpfung der mir zur Verfügung stehenden Quellen sind mir Widersprüche und Zweideutigkeiten zurückgeblieben, die ich sobald als möglich durch eine persönliche Rücksprache abklären wollte an kompetenter Stelle des Bundeskanzleramtes, die mir freundschaftlich das Privileg des jederzeitigen politischen Vorspracherechts eingeräumt hat.
Der Zweck des Besuches des österreichischen Bundeskanzlers war, persönlich bei Mussolini festzustellen, ob Italien noch für die Unabhängigkeit Österreichs einstehe. Dass in dieser kapitalen Frage solche Zweifel auf österreichischer Seite bestanden, die eine direkte und persönliche Kontaktnahme erforderten, zeigt Ihnen den Ernst der Situation. Mussolini scheint die österreichischen Staatsmänner in positivem Sinn von seinem unveränderten Willen, für die Unabhängigkeit Österreichs einzutreten, überzeugt zu haben. Dafür lägen wiederholte formelle Erklärungen Mussolinis vor in verschiedenen Variationen. Der Duce habe gesagt, dass er auch Göring gegenüber anlässlich dessen bevorstehenden Besuches diese seine Stellungnahme betonen werde.
Auf dieses aufrechte Ergebnis der Venediger Zusammenkunft hat nun allerdings der Artikel Gaydas, der von einer Einschaltung der illegalen österreichischen Nazi in das Regime und gar von ihrer Regierungsbeteiligung zu sprechen wusste, einen dunklen Schatten geworfen. Mussolini und Ciano hätten sich von diesem Artikel distanziert und erklärt, dass sie nichts mit ihm zu tun hätten. Dagegen besteht die Meinung, dass hinter Gayda und seinem Artikel Drahtzieher stecken, die mit dem Propaganda-Ministerium in Berlin in Verbindung stehen. Von Gayda hat man den Eindruck, dass er nicht ein Journalist von persönlich grossem Format, sondern dass er lediglich als Instrument Anderer zur Bedeutung gekommen sei. (Das macht den Mann natürlich keineswegs weniger gefährlich. Es wird darauf ankommen, wer diese «Anderen» sind.) Dieser neuerliche Artikel Gaydas habe übrigens Anlass gegeben zu der bekannten Vernehmlassung und Klarstellung durch Bundeskanzler Schuschnigg persönlich, der jedes Paktieren mit den illegalen österreichischen Nazi ausschliesst und lediglich die schon in seiner grossen Rede vor den Amtswaltern der «Vaterländischen Front» bekanntgegebene Bereitwilligkeit betont, die legalen gutgesinnten, wenn auch national betonten Österreicher zur Mitarbeit in der «Vaterländischen Front» zuzulassen. In dieser Hinsicht habe der sonst bedauerliche Artikel Gaydas sein Gutes gehabt, dass nämlich in dieser Frage unzweideutige Klarheit geschaffen worden sei.
Im übrigen müsse ja zugegeben werden, dass heute die allgemeine politische Situation Italiens auf Deutschland hinweise. Das ergäbe sich aus der Lage in Spanien, wo noch 60000 Mann italienischer Truppen sich befänden; das ergäbe sich aus der Mittelmeer- und Äthiopien-Stellung Italiens gegenüber England. In ähnlicher Weise sei heute Deutschland auf die Schützenhilfe Italiens angewiesen. Diese ganze politische Konstellation könne und werde sich ändern, wenn einmal der Krieg in Spanien liquidiert und eine Verständigung Italiens mit England-Frankreich erfolgt sein werde.
Sehr vorsichtig äusserte sich mein Gewährsmann über die Versuche von österreichischer Seite, mit Mussolini über die Tschechoslowakei ins Gespräch zu kommen im Hinblick auf eine nähere Zusammenarbeit mit diesem Staate und demzufolge mit der Kleinen Entente und Frankreich-England. Mussolini verhalte sich gegenüber der Tschechoslowakei durchaus ablehnend. Auch habe sich aus der Unterhaltung mit dem Duce ergeben, dass er befürchte, England werde noch nach links abrücken, wie es schon mit Frankreich geschehen sei.
Was die Restaurationsfrage betreffe, so habe die Regierung die legitimistische Propaganda zu stark in die Halme schiessen lassen. Die Rede des Kanzlers im Burgenland zur Restaurationsfrage habe Mussolinis ganze Billigung erfahren. Es handle sich um eine Frage zweiter Ordnung. An erster Stelle stehe die Existenz, die Unabhängigkeit des Landes. Erst dann könne die Frage der Form, vielleicht der schöneren Form, in Erwägung gezogen werden. Es sei den Legitimisten vor Augen geführt worden, dass sie mit der Rückkehr Ottos leicht einen bewaffneten Zusammenstoss hervorrufen könnten. Dann stehe die Gefahr der Intervention des Auslandes und damit des Endes der Existenz vor der Türe. Mussolini habe sich mit diesen Erläuterungen zufrieden gegeben und habe keinerlei weitere Erklärung zu der Restaurationsfrage verlangt.
In diesem Zusammenhange konnte ich betreffend die Formel, die im Venediger offiziellen Communiqué davon spricht, dass die Systematisierung des Donaubeckens nicht ohne Mitwirkung Deutschlands stattfinden könne, erfahren, dass an der letzten Konferenz der Teilnehmer der Römischen Protokolle die Ungarn eine ähnliche Klausel ins Protokoll aufzunehmen verlangten. Sie mussten aber vor dem Widerstand Mussolinis von ihrem Antrag zurückstehen. In Venedig nun habe Mussolini selbst die Formel aufgesetzt und deren Festlegung verlangt.
Aus diesem Verhalten Mussolinis sei aber nicht etwa zu schliessen, dass dem Duce das Gebaren der Nazi in Österreich und in Ungarn unbekannt sei, oder dass er die Gefahren dieses Gebarens unterschätze. Es scheine, dass in Südtirol die Nazi sich selbst durch ihre Praktiken genügend bei Mussolini empfehlen, der aber zurzeit nicht gegen sie einschreiten könne und wolle. Bei dieser Gelegenheit fiel die Bemerkung, dass man am Ballhausplatz von der sogenannten «Wacht am Brenner» wenig halte, da im Ernstfall die deutsche Bevölkerung des Südtirols gegen den deutschen Soldaten nicht zu haben sei. Aber auch ohne sofortigen Sukkurs von aussen könne Österreich heute von Deutschland nicht mehr einfach überrannt werden. Ein drei- bis viertägiges Aufhalten einer deutschen Invasionsarmee sei durch die österreichische Aufrüstung heute gewährleistet. Die «Schnelle Division», über 300 Flugzeuge und mehr als genug Artillerie verbürgten die Parierung des ersten Schocks. Diese düsteren Erwägungen hat mein Gesprächspartner etwas aufzuheitern versucht mit der Bemerkung, dass übrigens heute mit dem offiziellen Deutschland ganz gut zu verkehren sei. Dagegen sei es schwierig, mit der Partei, der NSDAP, auszukommen, die im heutigen Deutschland leider eine zweite Regierung darstelle.
Da sei der Verkehr mit dem südlichen Nachbar eine andere Sache. Das sei den österreichischen Staatsmännern in die Augen gesprungen, Regierung und Partei eine Einheit unter dem Duce. Da wisse man, woran man sei. Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie Mussolini auch auf die Österreicher zu wirken versteht. Sie rühmen sein kulturelles Niveau. Er stehe hoch über der jungen Generation, die ihn umgebe. Er wisse zum Beispiel genau, was während der ganzen Saison an der Wiener Oper gespielt werde, welche Dirigenten, welche Solisten auftreten, wie die Inszenierung gewesen. Mussolini weiss damit die Österreicher zu überzeugen, dass er auch innerlich Anteil nehme an der Existenz Österreichs, was man von seinen jungen Begleitern nicht sagen könne, die nur über sogenannte real-politische Gegebenheiten zu sprechen vermöchten und denen, im Gegensatz zu ihrem Meister, die Bedeutung der Imponderabilien entgehe.
- 1
- E 2300 Wien, Archiv-Nr. 52.↩