Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 36
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1551#228* | |
Dossier title | A Prato Carlo (1936–1938) | |
File reference archive | A.15.47.11 |
dodis.ch/46296 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Secrétaire général de l’Association suisse pour la Société des Nations, E. Bovet1
Sehr verehrter, lieber Herr Professor,
In Beantwortung Ihres Briefes vom 16. Februar muss ich Ihnen mitteilen, dass ich mir die Sache sehr gründlich überlegt habe, bevor ich die Weisung erteilt habe, die Wegweisungsverfügung des Kantons Genf gegen Herrn A Prato auf das Gebiet der ganzen Schweiz auszudehnen. Ich kann wohl begreifen, dass es Ihnen nicht leicht fällt, diese Massnahme zu verstehen. Leider fehlt mir die Zeit, Ihnen ausführlichen Aufschluss zu erteilen. Ich beschränke mich deshalb darauf, Ihnen so kurz wie möglich meine Auffassung bekannt zu geben:
Sie wissen aus unseren Gesprächen und namentlich aus meinen dem Flüchtlingskomitee gemachten Ausführungen, dass ich der Auffassung bin, ausländische Flüchtlinge hätten sich weder in schweizerische innenpolitische Fragen einzumischen, noch hätten sie dem Ausland gegenüber eine Haltung einzunehmen, die die guten Beziehungen unseres Landes mit einem ändern Staat stören können3. Und zwar gehe ich in dieser Auffassung sehr weit, weil ich überzeugt bin, dass unser Land nur dann durch die politische Krise mit allen Eventualitäten hindurchkommen kann, ohne Schaden an seiner politischen Unabhängigkeit zu nehmen, wenn wir die für uns allein mögliche Haltung einnehmen: Nach aussen strikte Neutralität und innenpolitisch Weiterführung unserer Demokratie, wie sie sich aus unserer Geschichte ergibt, und die nichts zu tun hat mit militantem Antifascismus und anderen internationalen Strömungen. Wenn wir auch unsere Wirtschaft, das Verkehrswesen, ja bis zu einem gewissen Grade auch das kulturelle Leben den Wechselwirkungen öffnen und Anschluss suchen müssen mit der Umwelt: Die innerpolitische Gestaltung unseres Landes ist und bleibt, gerade heute und in nächster Zukunft, immer mehr eine eigene, schweizerische4, mit dem Motto: Ordnung in der Freiheit. Sie ist weltweit verschieden von Fascismus, aber auch von dem, was die militanten Antifascisten Demokratien nennen und was mit Sicherheit ebenfalls in eine Diktatur hineinrennen muss, wenn die Menschen nicht zur Besinnung kommen. Es ist aber für kein Land heute so schwer, die politische Unabhängigkeit zu bewahren wie für die Schweiz. Wir sind nicht eins aus einem Rassenzusammengehörigkeitsgefühl, wir sind nur eins aus dem bewussten Willen5 aller Staatsbürger heraus, der Zusammengehörigkeit aus geschichtlicher Entwicklung, wobei jeder völkisch verschiedene Landesteil, in diesem selbst jeder Kanton, seine Eigenart bewahrt und für sie kämpft. Für fast alle anderen Staaten ist eine gefühlsmässige Selbstverständlichkeit, was für uns bewusstes Wollen ist6, das nur in unserer überlieferten Demokratie seinen Ausdruck finden kann.
Ist es aber heute nicht wieder ähnlich wie während des Weltkrieges, dass fremde, diesmal politisch divergierende Strömungen bewusst zu uns hereingetragen werden, um uns einzufangen? Deren Abwehr ist heute ebenso wichtig wie es die Neutralität den Kriegführenden gegenüber war. Viel schwieriger ist jedoch heute die Lage, weil in allen politischen Parteien und beim einzelnen Bürger Unsicherheit besteht in Bezug auf die Zweckmässigkeit vieler unserer durch die Verfassung gesetzten Einrichtungen und besonders, weil das Vertrauen fehlt in die selbstgewählte Regierung7. Für uns allein, ohne Rücksicht auf das Ausland, können wir zwar ohne jede Ängstlichkeit dieser brodelnden Bewegung gegenüberstehen, denn das Volk ist gesund und wird ohne Zweifel den richtigen schweizerischen Weg finden. Das Ausland sieht aber nur das an der Oberfläche Schwingende und glaubt daraus Schwäche ableiten zu müssen. Dem Auslande gegenüber müssen wir deshalb unsere Selbständigkeit zum Ausdruck bringen8, müssen unseren besonderen Weg manifestieren. Dazu können wir wesentlich dadurch beitragen, dass wir den Ausländern, die unser Gastrecht gemessen, verbieten, sich in unsere politischen Belange einzumischen oder von der Schweiz aus unser Verhältnis zu ändern Ländern zu stören.
Sie werden sagen, A Prato habe als Völkerbundsjournalist für eine in der Völkerbundsstadt Genf gegründete Zeitung gearbeitet, die nur die Gegner des Völkerbundes bekämpft habe. Ich muss das dem Passus Ihres Schreibens entnehmen, in dem Sie sagen, die Kampagne sei nicht nur gegen Herrn A Prato, sondern gegen das «Journal des Nations» gerichtet, und im letzten Grunde gegen den Völkerbund selber. Ist das «Journal des Nations» wirklich eine derartige Völkerbundszeitung?9 Ist es nicht vielmehr das Organ einiger Völkerbundsstaaten, die damit ihren eigenen Zielen10 dienen wollen, für die sie allerdings den Völkerbund vorschieben? Zugegeben, dass A Prato und seine Kollegen bis zu einem gewissen Grade geglaubt haben, dem Völkerbund förderlich zu sein. Sind sie es aber wirklich gewesen? Ist nicht bei A Prato der kombattive Antifascismus11 so weit gediehen, dass er ruhiger, vernünftiger Abwägung der Völkerbundsinteressen nicht mehr zugänglich ist? Die ganze Tendenz der Artikel ist so ausgesprochen einseitig12, ihre Form, wenn auch geschickt, doch so einseitig angriffig13, dass auch der begeisterte Anhänger des Völkerbundsgedankens in ihm nicht mehr den Freund sieht, sondern den Gegner empfinden muss. Dazu ist A Prato ein Emigrant14, der aus politischer Gegnerschaft systematisch die Regierung seines Landes bekämpft. Und Spanien? Ist der Bürgerkrieg in Spanien ein Kampf der vom Volk gewollten Regierung gegen Rebellen? Ist er heute nicht der Austrag des Kampfes des militanten Fascismus und des militanten Antifascismus in Europa auf dem Rücken des bedauernswerten spanischen Volkes?15 Und die blinde Parteinahme für eine Partei wiederum ein Eingreifen in diesen Kampf, eine Tätigkeit, von der die Schweiz sich fernhalten muss? Ich weiss nicht, ob ich mich deutlich genug habe ausdrücken können. Sollten Sie mich nicht verstehen können, so müssen wir einmal ausführlich darüber reden.
Für Herrn A Prato, dem eine Toleranzbewilligung erteilt wurde unter der ausdrücklichen Bedingung, sich in unserem Lande jeder politischen Tätigkeit zu enthalten, die die Beziehungen der Schweiz zu ändern Staaten stören könnte, ergibt sich aus dem Gesagten, dass er sich nicht an diese Bedingung gehalten hat16. Wenn ich bei einem Freunde zu Gaste bin, vermeide ich alles, was ihm Ungclegenheiten bereiten könnte. Kann ich das aus irgend einem Grunde nicht tun, so verlasse ich das gastliche Haus. Ganz so ist die Stellung des Ausländers in unserem Lande, namentlich des Ausländers, der aus politischen Gründen seinem eigenen Lande fernbleiben muss und dessen Schutz nicht mehr geniesst. Nur in diesem Rahmen kann Asyl angerufen werden. Wer sich nicht daran hält, muss die Konsequenzen ziehen.
Ich bin überzeugt, dass die Kritik an unserem Entscheid auch im Ausland und namentlich in Völkerbundskreisen der vernünftigen Überlegung weichen wird17. Entscheidend für die Beurteilung sind letzten Endes nicht die Journalisten, sondern die Staatsmänner18. Viele Journalisten sehen in der Pressefreiheit ein Feld für ungezügelte und unverantwortliche Tätigkeit. Dies ist allen Staatsmännern bekannt. Dem Völkerbund wird der Fall A Prato letzten Endes sicher keinen Schaden, sondern gegenteils Gewinn bringen. Die Schweiz wird verstanden werden.
Nehmen Sie bitte diese Ausführungen als das auf, was sie sein wollen: Eine persönliche Erklärung des Schweizers und verantwortlichen Beamten seinem schweizerischen Freund gegenüber19, den er als überzeugten Schweizer schätzt und als loyalen Menschen ehrt. Sie sollen nur Ihnen persönlich sagen, welche Sorgen um das Wohl unseres Landes mich plagen und welche innere Grundlage mich zur Fällung des Entscheides geführt hat. Ich hoffe sehr, es werde mir wieder einmal vergönnt sein, mich mit Ihnen ausreden zu können. Wenn mich der Weg wieder einmal nach Lausanne führt, werde ich mich gerne im Languedoc melden, vielleicht an einem schönen Frühlingstag.
Lesen Sie das aus diesem Brief, was wirklich gemeint ist und seien Sie sehr herzlich gegrüsst von Ihrem ergebenenP.S. Noch ein Faktum, das nicht unwichtig ist: Bevor der Fall A Prato akut wurde, haben wir einem Weissrussen, der eine gegen das heutige russische Régime gerichtete Zeitung in Genf gründen wollte, dies untersagt.
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