Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 275
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4001B#1970/187#35* | |
Old classification | CH-BAR E 4001(B)1970/187 2 | |
Dossier title | Flüchtlinge und Emigranten: Flüchtlingsprobleme (1935–1940) | |
File reference archive | 022.06 |
dodis.ch/46196 Notice de la Division de la Police du Département de Justice et Police1 Ausweisung von Flüchtlingen
Wir stellen auf dem Standpunkt: Wen wir nicht haben wollen, schicken wir fort. Geht er nicht gutwillig, dann wird er ausgewiesen. Leistet er der Ausweisung keine Folge, dann wird er interniert, bis er gerne geht.
Menschlich gesehen ist das oft sehr hart. Es wird immer härter, je mehr der Grenzverschluss dicht wird und andere Länder ebenso verfahren. Früher konnte man den Leuten mit Recht entgegenhalten, es fehle nur an ihrem guten Willen, und sie wollen einfach sich aufzwingen. Seit sie aber auch in Frankreich nicht mehr Unterkommen können, wird das langsam zu einer Phrase. Ich habe diese Entwicklung seit dem Marseiller Attentat2 kommen sehen. Es ist misslich, dass wir heute auf die Behauptung des Ausländers, legal könne er nicht ausreisen, nichts Rechtes mehr erwidern können, und eigentlich sagen müssen, dann solle er es illegal tun. Es könnte aber bald dazu kommen, dass auch illegale Ausreise in der Regel nur mit einer Rückschiebung endet. Dieses Tennisspiel mit Menschen ist eine sinnlose Grausamkeit. – Ich will aber nicht übertreiben. Natürlich war es immer nur in vereinzelten Fällen so. Sie nehmen aber ziemlich fühlbar zu.
Trotz Überfremdung und Arbeitsmarkt könnte man gewiss in vereinzelten Fällen einmal nachgeben. Dann entsteht aber vor allem die Gefahr, dass es nicht bei solchen Einzelfällen bleibt, und dass uns jedes bekanntwerdende Nachgeben mit dem Zufluss neuer Flüchtlinge bedroht. In den Nachbarstaaten wird mit Vorliebe nach der Schweiz abgeschoben. Die Leute lassen sich gerne zu uns abschieben und es geht leicht, weil unsere Grenze locker bewacht ist. Ausserdem ist es vielfach am billigsten. Von innen wirkt im gleichen Sinne das Bemühen unserer Linksparteien. Jedes Nachgeben wird von ihnen öffentlich als ein Sieg über die Regierung ausgeschlachtet und bewirkt damit ohne Weiteres neuen Zuzug. Auch das ist in meinen Augen eine sinnlose Grausamkeit. Zehntausende – wenig gesagt – «spannen» ob es den Sozialdemokraten oder Kommunisten gelingen werde, «den Bundesrat zur Anerkennung des Asylrechts zu zwingen». Sobald es nur einigermassen den Anschein hätte, dass dies irgend einen Erfolg haben könnte, setzt vermehrter Zuzug ein und für den einen Fall, in dem wir «weich» wurden, müssen wir dann in hunderten wieder um so härter werden.
Ich übersehe den Jammer nicht, der unser fremdenpolizeilich Wirken begleitet. Trotzdem müssen wir darin fest bleiben, dass wir nicht «durch die Finger sehen», d. h. dulden können, dass der tatsächliche Zustand dem rechtlichen nicht entspricht. Wenn sich eine Ausweisung nicht vollstrecken lässt, muss sie daher suspendiert oder aufgehoben werden.
Abgeholfen werden kann dem Flüchtlingselend mit einiger Aussicht auf Wirkung sicher nur auf internationalem Boden. Der Völkerbund, d.h. das Office International Nansen3, hat das Verdienst das zu sehen. Aber es kann zurzeit nichts machen, als Kreisschreiben von der Art des vorliegenden zu erlassen. Da damit m. E. nichts getan ist und das Hemd uns näher liegt als der Rock, sollten wir uns zunächst mit der nationalen Seite der Frage beschäftigen. Leider ist sie beinahe ebenso trostlos.
Es gibt Fälle wo wir dem Mann eine Bleibe bei uns verschaffen könnten, wenn er in der Landwirtschaft zu brauchen ist, wo wir immer noch etwas auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind. Unter «meinen» Internierten waren ab und zu Burschen, aus denen man vielleicht mit harter Schule Bauernknechte hätte machen können. Ich habe da und dort durchblicken lassen, im Falle der Bewährung könnte an spätere Toleranz unter der Bedingung der Beschäftigung in der Landwirtschaft gedacht werden. Nur zweimal stellte sich diese Frage so ernstlich, dass ich bereit war, auf sie einzutreten. Der eine Jüngling zog aber im letzten Moment doch vor, nach Ungarn zu gehen, und der andere brannte durch. Es kann sich bei dieser Idee nur um eine ganz seltene Möglichkeit handeln, die zahlenmässig nicht ins Gewicht fällt. Sie hat nur die gute Seite, dass wir gelegentlich zeigen könnten, dass wir menschlich sein wollen, wo wir dürfen.
Sonst sehe ich nichts Wirksames womit wir dem Übel begegnen könnten. Letzten Endes ist eben die Ausweisung der Eckstein unseres ganzen fremdenpolizeilichen Wirkens. Auf freiwilligen Gehorsam allein kann nicht abgestellt werden, und ebensowenig auf die Wirkung von Strafen, ganz abgesehen davon, dass uns die Gerichte vielfach im Stiche lassen. Viele Ausländer würden sich noch so gern mit einer Strafe den Aufenthalt verdienen. Die Fremdenpolizei steht und fällt mit dem Bewusstsein, dass die Behörden zu nichts gezwungen werden können. Schon eine leichte Lockerung dieses Bewusstseins müssten wir teuer bezahlen; die ohnedies grossen Schwierigkeiten, die Ausländer wieder wegzubringen, würden sofort stark zunehmen.
Die Ausweisung, d.h. ihr Beschluss, ist an sich immer noch eine papierne Massnahme. Ernst wird es erst mit ihrer Vollstreckung. Meist ist dazu keine Gewaltanwendung nötig, immer häufiger kommt es aber doch dazu. Dann erfolgt Ausschaffung oder Internierung. Letzteres «wenn die Ausschaffung nicht durchführbar ist» (BG. Art. 14, Abs. 2)4. Als nicht durchführbar haben wir immer die Ausschaffung auch dann behandelt, wo zu erwarten ist, dass der Ausgewiesene einfach zum ändern Loch wieder herein käme. – In der Regel wird nur bei beschlossener Ausweisung interniert. (W O 5 Art. 17 Abs. 6)5. Zu beachten ist noch der Schlusssatz von Art. 14, Abs. 2 des Gesetzes.
Wenn ein Ausgewiesener die Ausweisung nicht respektiert, haben wir keine grosse Auswahl. Ich bin nicht auf Internierung versessen, auch der Kosten halber nicht. Aber es steht nicht in unserer Macht, die Zahl der Internierungen wesentlich zu beeinflussen. Gelegentlich können wir verlangen, dass der Kanton es zuerst einmal – oder noch einmal – mit Ausschaffung versucht. Meist aber können wir nicht anders als internieren, weil bei Verweigerung der Internierung die Kantone diese Leute nur einander zuschieben würden – wie es jetzt schon geschieht! – statt sie auszuweisen. Wir können die Internierung nur in bestimmten Fällen verweigern, und zwar nicht wesentlich öfter als es bisher schon geschah. Es werden überhaupt nur Leute interniert die schon 4, 5 oder mehrmals wegen Bannbruchs bestraft sind, oder dann solche, bei denen man sicher ist, dass man sie anders nicht wegbringt, d. h. hauptsächlich solche, die zum Vornherein erklären, sich nicht an die Ausweisung halten zu wollen.
Warum kommt es zur Internierung?
1 ) Entweder weil die Leute überhaupt auf gedrucktes und geschriebenes Recht pfeifen, solange man sie nicht am Ohr nimmt,
2) oder wenn sie es im Einzelfall auf eine Kraftprobe ankommen lassen wollen,
3) oder weil sehr starke Hemmungen dem Verlassen des Landes entgegenwirken.
Vielfach sind diese drei Gründe nebeneinander vorhanden, aber meist liegt einer von ihnen vor. Typisch für die erste Gruppe sind die eigentlichen internationalen Landstreicher; vielfach Vorbestrafte, ferner die Chinesen und andere Exoten, die sich um keinen Staat, keine Grenzen und keine Vorschriften kümmern. Weiter die paar x-mal vorbestraften Dirnen, die wir als einzige Frauen bisher internieren mussten. Dieser Gruppe gehört die Mehrzahl der Internierten an. Die zweite Gruppe ist nicht sehr zahlreich, aber gibt meistens mehr zu tun. Der Grund, warum sie es auf eine Machtprobe ankommen lassen wollen, ist meist ein politischer. Manche von diesen Leuten verlangen direkt interniert zu werden, natürlich unter dem Einfluss politischer Freunde (oder der Ligue pour le droit de l’homme [sic]), die ihnen sagen, es könne ja nicht lang dauern bis sie wieder befreit würden. Es hat bisher auch nie lang gedauert, bis die Leute sich unterwarfen und gingen. Wir sind alle los geworden. – Zuweilen lassen die Leute (besonders Juden, z. B. Rosowsky) es darauf ankommen, weil sie meinen, uns sicher noch «herumbringen» zu können. – Die wirklichen oder vorgeschobenen Hemmungen, das Land zu verlassen, die bei der dritten Gruppe eine Rolle spielen, bestehen entweder in Verbundenheit mit der Schweiz oder Hindernissen im Ausland. So setzen sich stark mit der Schweiz verbundene und an der Grenze wohnende Ausländer zuweilen über die Ausweisung hinweg. Vom Ausland kommen die Hemmungen bei den Deserteuren und Refraktären, den mit ihrem Heimatstaat Zerfallenen, denen, die anderswo mit Grund strafrechtliche Verfolgung zu gewärtigen haben. Hieher gehört auch die nicht geringe Zahl der Schriften- und Heimatlosen, die nicht wissen, wohin und wo aus.
Die Wahl des Internierungsortes wird dem Fall angepasst. Wenn nichts Besonderes vorliegt, kommen hauptsächlich landwirtschaftliche Anstalten, wie Witzwil und Bellechasse in Betracht. Auf alte Sünder und Dickhäuter machen aber diese sehr humanen Anstalten keinen Eindruck. Sie kommen in ein Zuchthaus, wie Thorberg, Liestal, St. Gallen u. s. w. Regensdorf steht ungefähr in der Mitte zwischen Witzwil und Thorberg. Die Hartnäckigen, und die eine Machtprobe riskieren, dürfen wir natürlich nicht verwöhnen. Bei der Auswahl des Internierungsortes kommen auch andere Faktoren in Betracht: Charakter, Gesundheit, Alter, Nähe der Grenze, über die sie verschoben werden. Ferner sieht man darauf, dass die Internierten etwas gleichmässig auf die verschiedenen Anstalten verteilt werden. Es ist schon vorgekommen, dass schlechtes Verhalten mit Versetzung in eine strengere Anstalt geahndet werden musste.
Die Dauer der Internierung richtet sich nach dem Zweck, und zum Teil auch nach der Möglichkeit, die Leute loszuwerden. Wo es angeht, versuchen wir Ausweispapiere oder dergleichen für sie zu erhalten. Am kürzesten dauert die Internierung erfahrungsgemäss bei den Renitenten, die offenbar bloss nicht gehen wollen, am längsten bei den Gleichgültigen, bei denen man warten muss, bis der Zug nach der Landstrasse übermächtig wird.
Viel ändern lässt sich zur Zeit kaum. Wir haben wenig Wahl denn nicht wzVweisen ja die Leute aus. Den Kantonen können wir auch nicht ansinnen, dass sie weniger ausweisen sollen. Von Art. 14, Abs. 2 Schlusssatz des Bundesgesetzes können wir nur sehr selten Gebrauch machen; es handelt sich vielfach um Leute, die kein Kanton «während längerer Zeit» geduldet hat.
Mit der Ausweisung hängt das Flüchtlings- und Emigrantenproblem aufs Engste zusammen. Wesentliche Möglichkeiten, es innerstaatlich anders als bisher zu behandeln, gibt es wohl nicht. Wir sind auf alle Fälle nicht aufnahmefähiger geworden. Ich bleibe dabei, dass wirksame Massnahmen nur durch internationale Verständigung ermöglicht werden könnten. Diese müsste dafür sorgen, dass die internationale Zu- und Herumschieberei einmal aufhörte oder wenigstens eingedämmt würde. Mit dem völkerbundlichen Drumrumreden ist nichts getan. Mir erscheint es lächerlich, die Regel aufzustellen, kein Staat sollte Leute ausweisen, «avant qu’ils n’aient obtenu des visas d’entrée pour un pays limitrophe». Das ist der Typus einer formelhaften Scheinlösung wie sie der Völkerbund jeweilen bevorzugt. In Wirklichkeit ist es so: Gewisse Staaten schaffen mit grösster Ungeniertheit Emigranten, Staaten- und Schriftenlose en masse [aus]. Das Übel kommt ja nicht vom Himmel aber man wagt nicht einmal diese Staaten (Deutschland, Italien, Polen, Balkanstaaten, Türkei) mit Namen zu nennen. Die ändern Staaten mögen sehen, wie sie mit den Ausgestossenen fertig werden. Die Regel, dass nur beim Bestehen eines Visums ausgewiesen werden soll, heisst praktisch und faktisch folgendes: Jeder Staat kann Leute ausstossen, niemand muckt dagegen. Aber die ändern Staaten können solche Leute überhaupt nicht ausweisen, (denn wer gibt ein Visum?), d. h. aber in Wirklichkeit nichts anderes, als derjenige Staat, dem sich diese Leute zuwenden oder zugeschoben werden, sie behalten muss. Man wird einwenden: Dann hat er wenigstens das davon, dass auch die ändern sie behalten müssen. Ich sage aber: Nur wenn sie wollen, und sie wollen meist nicht. Gerade für die Staaten, die an dem Übel schuld sind, ist es ein Kinderspiel die Leute ohne formelle Ausweisung loszuwerden und sie auf uns loszulassen. Praktisch heisst darum die Formel: keine Ausweisung ohne Visum: Dem Strom der Flüchtlinge wird ein Bett gegraben, nach den Ländern zu, wohin sie gerne gehen und deren Grenzen weniger gut bewacht sind. Also besonders nach der Schweiz und nach Frankreich. Die ganze Unehrlichkeit und Ungerechtigkeit dieser Formel kommt darin zum Vorschein, dass nach ihr am besten dastehen: Deutschland, Italien u. s. w., und am schlechtesten: die Schweiz und Frankreich!
Wenn der Völkerbund vor einem Übel stand, dem abzuhelfen über seine Macht ging, hat er nicht nur eine elende Quaksalberei getrieben, mit dem «Erfolg», dass ein grosser Aufwand unnütz vertan wurde und dass der Kredit bald auch bei den letzten Gläubigen geschwunden ist. Es wird gewiss ungeheur schwer sein, auch nur die bescheidensten tatsächlichen Erfolge zu erreichen. Ich habe aber schon in einer früheren Vernehmlassung darauf hingewiesen, dass erst Erfordernis dazu ist, unerbittlich alle schwindelhaften Formallösungen und Scheinhilfen abzulehnen, die Tatsachen zu sehen und zu nehmen wie sie sind, und Schritt für Schritt und Fall für Fall das Mögliche zu tun. Dazu können wir sozusagen nichts beitragen, weshalb wir uns m. E. der grössern Reserve befleissen sollten.
- 1
- E 4001 (B) 170/187/2. La dénomination Abteilungschef figure en-tête de cette notice. Elle est paraphée: Ruth.↩
- 2
- Assassinat de L. Barthouet du roi de Yougoslavie, Alexandrei, à Marseille le 9 octobre 1934.↩
- 4
- Cf. Loi fédérale sur le séjour et l’établissement des étrangers, du 26 mars 1931 (RO, 1933, vol. 49, pp. 279ss.): L’étranger dont le refoulement est impossible peut être interné. La durée de cet internement ne peut dépasser deux ans. L’autorité fédérale peut toutefois, si l’internement ne lui paraît pas indiqué ou ne pas devoir durer plus longtemps, obliger le dernier canton qui a toléré la présence de l’étranger pendant un temps relativement long, à le reprendre et à le tolérer ultérieurement.↩
- 5
- Cf. Ordonnance d’exécution de la loi fédérale sur le séjour et l’établissement des étrangers, du 5 mai 1933 (RO, 1933, vol. 49, pp. 289ss.): En règle générale, seuls les étrangers expulsés de Suisse doivent être internés.↩