dodis.ch/46163
Notice sur la reconnaissance de l’URSS et la neutralité suisse
1
Vertraulich
Bern, 30.Mai 1936
Die Anerkennung Russlands im gegenwärtigen Zeitpunkt muss hauptsächlich im Hinblick auf die schweizerische Neutralitätspolitik zu Bedenken Anlass geben.
Seit seinem Bündnis mit Frankreich und dem Eintritt in den Völkerbund hat Russland sich aktiv in die europäische Politik eingeführt. Entsprechend seinem Grundsatz von der Unteilbarkeit des Friedens wird es sich an einem kontinentalen kriegerischen Konflikt beteiligen. Zur Zeit verfolgt es eine ausgesprochen antideutsche Linie.
Man muss nach den bisherigen Erfahrungen befürchten, dass Russland seine Vertretungen in der Schweiz auch gegen Deutschland und Italien benützen wird und dass uns daraus Zwischenfälle und Schwierigkeiten mit den betreffenden Staaten erwachsen.
Ferner aber hat es Russland mit seiner propagandistischen Organisation in der Hand, einen verhängnisvollen Einfluss auf unsere Volksmeinung zu erlangen und diese in einem unneutralen Sinne zu beeinflussen. Schon jetzt ist unsere Volksmeinung in bedenklicher Weise gegen Deutschland und Italien eingestellt. Mit der Errichtung von russischen Vertretungen in der Schweiz wird sich diese Beeinflussung verstärken und zu einer direkten Gefährdung für unsere Neutralität auswachsen.
Diese Gefahren bestehen hauptsächlich heute, wo die Sanktionsfrage2 noch ungelöst ist und über die Wege und Ziele der deutschen Aussenpolitik noch Unklarheit herrscht. Jedenfalls sollte man abwarten, bis die politische Lage sich in Europa wieder beruhigt hat und keine unmittelbaren Gefahren für eine kriegerische Verwicklung und damit auch für unsere Neutralität bestehen.