Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 11, Dok. 207
volume linkBern 1989
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001D#1000/1553#459* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 40 | |
Dossiertitel | Landes- u. Kreisleitungen der NSDAP in der Schweiz. Verbot durch BRB vom 18. Februar 1936 (1932–1945) | |
Aktenzeichen Archiv | A.45.21 • Zusatzkomponente: Deutschland |
dodis.ch/46128
Hierdurch beehren wir uns, Ihnen über die Auswirkungen der Ermordung von Wilhelm Gustloff sowie über die Frage der Einstellung der schweizerischen Behörden zu den in der Schweiz bestehenden nationalsozialistischen Organisationen3 nachstehenden Bericht zukommen zu lassen. Wilhelm Gustloff hat sein Parteiamt als «Landesleiter Schweiz der N.S.D.A.P.» bekanntlich bereits geraume Zeit vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus angetreten. Wie Herr Bundesrat Baumann im vergangenen Herbst im Nationalrat anlässlich der Interpellation Canova4 ausführte, war seine Einstellung den Gesetzen und Einrichtungen der Schweiz gegenüber stets durchaus korrekt. Seine Ausweisung ist indessen, wie Sie aus der Presse ersehen haben werden, gerade während der letzten Wochen von gewisser Seite mit vermehrter Heftigkeit gefordert worden. Es lag jedoch kein Grund zu einer solchen Massnahme vor, da Wilhelm Gustloff nach wie vor in allen wesentlichen Fragen dem schweizerischen Gastland gegenüber eine loyale Haltung einnahm. Sein oben genannter offizieller Parteititel mag wohl einigermassen unangenehm berühren. Glücklich gewählt ist dieser Ausdruck jedenfalls nicht. Indessen darf nicht vergessen werden, dass der Titel in allen Ländern der Welt, wo nationalsozialistische Organisationen der deutschen Kolonie bestehen – und es wird dies mit Ausnahme von Österreich und Sowjetrussland so ziemlich überall der Fall sein – der gleiche ist und uns somit nicht mit besonderer Beunruhigung erfüllen muss.
Über den Hergang des Attentats sind Sie bereits durch die Presse unterrichtet worden. Der 26jährige Mörder, David Frankfurter, jugoslawischer Staatsangehöriger, Jude und Student der Medizin an der Universität Bern, hat allem Anschein nach keine Komplizen. Eine politische Betätigung konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Auch revolutionäre oder überhaupt politische Literatur ist in seiner Wohnung in Bern nicht gefunden worden. Seiner Behauptung, er habe die Tat nicht aus parteipolitischen oder persönlichen Motiven, sondern nur darum begangen, um seine im Dritten Reich unterdrückten Rassengenossen zu rächen, darf somit vorderhand wohl geglaubt werden. Die Untersuchung wird durch Verhörrichter Dr. Dedual in Chur geführt. Graubünden hat keine Geschworenengerichte. Für die Aburteilung des Mörders ist in einziger Instanz das Kantonsgericht zuständig5. Es mag erwähnt werden, dass nach den uns vorliegenden Ergebnissen der Untersuchung Gustloff in letzter Zeit polizeilicher Schutz angeboten wurde, den er jedoch mit dem Bemerken zurückwies, es könne ihm nichts geschehen.
Mag es sich auch bei der Tat von David Frankfurter strafrechtlich um ein «gemeines» Verbrechen handeln, bei dem eine Stellungnahme der Landesregierung sonst nicht üblich ist, so darf doch nicht übersehen werden, dass die Motive der Tat politische waren und sich gegen eine Regierung richteten, mit der die Schweiz gute Beziehungen unterhält. Der Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements hat demzufolge dem deutschen Gesandten in Bern am Morgen nach dem Attentat, d. h. am 5. Februar d. J. schriftlich sein Bedauern über das Vorgefallene ausgesprochen und auch die schweizerische Gesandtschaft in Berlin mit einem analogen Schritt beim deutschen Auswärtigen Amt beauftragt6.
Noch am Abend des 5. Februar sprach im Politischen Departement der deutsche Gesandte, Freiherr von Weizsäcker, vor, um seinen Dank für das vorerwähnte Schreiben zu bekunden7. Er bezichtigte dabei keineswegs, wie in gewissen schweizerischen Zeitungen behauptet wurde, die schweizerische Presse der Verantwortlichkeit an der Ermordung von Wilhelm Gustloff. Dagegen machte er geltend, dass die durch gewisse Blätter gegen den Verstorbenen gerichteten hemmungslosen persönlichen Angriffe mit dazu beitragen konnten, die psychologischen Voraussetzungen für eine Tat zu schaffen, wie sie durch David Frankfurter begangen worden ist. Der Vorsteher des Eidgenössischen Politischen Departements nahm von dieser Erklärung Kenntnis, liess jedoch gleichzeitig keinen Zweifel darüber bestehen, dass die schweizerischen Behörden jede Konstruierung eines Kausalzusammenhanges zwischen der Haltung der Schweizerpresse und der Mordtat eines ausländischen Fanatikers als unstichhaltig ablehnen müssten. Auch Herr von Bülow, Staatssekretär des deutschen Auswärtigen Amtes, wies anlässlich einer Unterredung mit Herrn Minister Dinichert darauf hin, dass die heftige Schreibweise eines Teils unserer Presse mit ein Element für bedauerliche Reaktionen sein konnte, wie wir sie nunmehr in der Tat von David Frankfurter vor uns haben8. Es liegen daneben auch andere Äusserungen offizieller deutscher Persönlichkeiten vor, wonach die Schweiz keine Verantwortung für das Vorgefallene treffen kann.
In gewissen schweizerischen Linksblättern ist dieser Tage behauptet worden, der Bundesrat habe sich durch die Haltung der deutschen Behörden einschüchtern lassen und beabsichtige nunmehr, unter deutschem Druck, eine Einschränkung der Pressefreiheit. In diesem Zusammenhang darf unserseits festgestellt werden, dass die beabsichtigte strengere Handhabung des Pressenotrechtes, wie es im Bundesratsbeschluss vom 26. März 19349 niedergelegt ist, durch den Bundesrat, entgegen anderslautenden Behauptungen besonders sozialistischer Zeitungen, schon vor dem Attentat gegen Wilhelm Gustloff ins Auge gefasst worden war. Die unsachliche und zügellose Schreibweise, die leider gewisse Schweizerblätter bei der Beurteilung ausländischer und vor allem deutscher Verhältnisse zur Anwendung bringen und die hie und da sogar die Grenzen der verfassungsmässigen Pressefreiheit überschreitet, erschwert in erheblichem Masse die Neutralitätspolitik des Bundesrates und muss darum als höchst nachteilig und gefährlich für das schweizerische Landesinteresse bezeichnet werden. Unsere Neutralitätspolitik, über deren Aufrechterhaltung jedermann in der Schweiz einig ist, setzt eine öffentliche Meinung voraus, die es dem Bundesrat nicht unmöglich macht, die guten Beziehungen mit den Nachbarstaaten zu bewahren.
Das Vorgefallene stellt die Frage der Duldung der nationalsozialistischen Organisationen in der Schweiz erneut zur Diskussion. Die zuständigen Bundesstellen vertreten in dieser Hinsicht nach wie vor die Auffassung, es könne den in der Schweiz niedergelassenen deutschen Staatsangehörigen nicht verwehrt werden, im eigenen Kreise, d. h. unter Ausschluss der schweizerischen Öffentlichkeit ihre nationale und politische Gesinnung zu pflegen. Dabei wird auch in Zukunft scharf darauf geachtet werden müssen, dass diese Betätigung nicht den Charakter einer unzulässigen Propaganda annimmt. Durch den verstorbenen Führer der Landesgruppe Schweiz der NSDAP, Herrn Wilhelm Gustloff, sind diesbezüglich mehrfach Versicherungen abgegeben worden, wonach die Gesetze des Gastlandes geachtet und alle Handlungen vermieden werden sollen, die irgend wie geeignet sein könnten, den Anschein einer Proselytenmacherei oder einer Einmischung in schweizerische Verhältnisse zu erwecken.
Was endlich die an unsern Hochschulen studierenden deutschen nationalsozialistischen Studenten anbelangt, so sind dieselben bis jetzt in einem Bund, genannt «Deutsche Studentenschaft in der Schweiz» zusammengeschlossen, im Hinblick auf den wir dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement dieser Tage die Erteilung besonderer Richtlinien10 vorgeschlagen haben, die unseres Erachtens mutadis mutandis überhaupt für alle nationalsozialistischen Verbände in der Schweiz zu gelten hätten. Darnach dürften als Mitglieder des deutschen Studentenverbandes keine Nichtstudierende aufgenommen werden. Dem Verband dürften nur Reichsdeutsche angehören. Verboten und strafbar wäre jede Tätigkeit, die unter die Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 21. Juni 1935 (Spitzelgesetz)11 fiele. Verboten wäre jede politische Propaganda, die sich direkt oder indirekt gegen die schweizerischen Einrichtungen oder diejenigen eines dritten Staates richten würde. Zu unterbleiben hätte auch jeder wirtschaftliche und persönliche Auskunftsdienst. Verboten wären sodann Schulungskurse, insoweit es sich nicht nur um staatsbürgerlichen Unterricht für Reichsdeutsche handelt. Es wäre überdies den betreffenden Verbänden und Organisationen gegenüber die Erwartung auszudrücken, dass sie durch taktvolles Auftreten auf die öffentliche Meinung in der Schweiz Rücksicht nehmen und alles vermeiden, was irgend wie zu Zwischenfällen Anlass geben könnte.
Solange diese Richtlinien befolgt werden, glauben wir, eine Auflösung der betreffenden Verbände und Organisationen nicht ins Auge fassen zu sollen12
. Eine solche würde deren Tätigkeit, die jetzt kontrolliert und auf dem Wege über die deutsche Gesandtschaft, sofern notwendig, auch jederzeit in die gewünschten Bahnen geleitet werden kann, sehr wahrscheinlich nicht unterbinden, sondern bloss aus der Öffentlichkeit in die Illegalität unterirdischer Machenschaften und Wühlereien verweisen. Soweit uns bekannt ist, nimmt übrigens die erdrückende Mehrheit der übrigen Staaten in dieser Hinsicht den nämlichen Standpunkt ein.
Wir wären Ihnen indessen dankbar, wenn Sie uns Ihrerseits, soweit dies nicht bereits geschehen ist, einen eingehenden Bericht über die Einstellung der Behörden des Landes, in dem Sie akkreditiert sind, zu den dortigen nationalsozialistischen Organisationen zukommen lassen wollten. Ihren diesbezüglichen Mitteilungen sehen wir mit grossem Interesse entgegen.
- 1
- Lettre (circulaire): E 2001(D)3/40. Paraphe: KN.↩
- 2
- ;Cf. no 204.↩
- 3
- Cf. no 209.↩
- 4
- Cf. no 205, n. 5.↩
- 5
- Cf. no 205, n. 6.↩
- 6
- Cf. no 205, n. 1.↩
- 7
- Cf. no 205.↩
- 8
- B. von Bülow s’en prend surtout à la presse de gauche: Er behauptete sogar, unsere Linkspresse habe gelegentlich in kaum verblümter Weise zu Gewalttätigkeiten gegen Gustloff aufgereizt. Hiezu konnte ich[P. Dinichert]nur sagen, ich habe nie so etwas weder gelesen noch gehört ( lettre de P. Dinichert à G. Motta du 6 février 1936 in E 2001 (C) 4/94).↩
- 9
- Cf. no 23.↩
- 10
- Cf. no 210, n. 3.↩
- 11
- Arrêté fédéral tendant à garantir la sûreté de la Confédération (du 21 juin 1935) in RO, 1935, vol. 51, pp495ss. Cf. aussi Message du Conseil fédéral à l’Assemblée fédérale à l’appui d’un projet d’arrêté fédéral tendant à garantir la sûreté de la Confédération et renforçant le ministère public fédéral (du 29 avril 1935) in FF, 1935, I, pp. 745ss.↩
- 12
- Cf. no 210, n 1.↩
Tags
Deutsches Reich (Andere)
Gustloff-Affäre (1936)