Classement thématique série 1848–1945:
I. SOCIÉTÉ DES NATIONS
4. Conflit italo-éthiopien, sanctions; venue du Négus en Suisse; manifestation de journalistes italiens à la SdN; reconnaissance de l’Ethiopie italienne
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 161
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E6100A-14#1000/1914#47* | |
Dossier title | Finanzsanktionen gegenüber Italien; Clearingabkommen (Dossier Nr. 681) (1935–1936) | |
File reference archive | F.01-88 |
dodis.ch/46082
Betrifft: Verkehr mit Italien – Sanktionenfrage.
Mit Ihrem geehrten Schreiben vom 16. ds.3 wünschen Sie von uns über die gegenseitigen italienisch-schweizerischen Finanzbeziehungen orientiert zu werden. Im weitern möchten Sie erfahren, wie die massgebenden Industrie-, Handels- und Bankkreise und die Nationalbank selbst die Sanktionsfrage beurteilen. Wir beehren uns, Ihnen im nachfolgenden über diese beiden Punkte zu berichten:
1. Was die finanziellen Beziehungen Schweiz–Italienanbetrifft, so möchten wir vorausschicken, dass umfassende Erhebungen über die Guthaben der Schweiz in Italien und umgekehrt über die italienischen Guthaben in der Schweiz bekanntlich bis jetzt nicht durchgeführt wurden, sodass es an absolut zuverlässigen und vollständigen Daten gebricht. Immerhin stehen uns die Halbjahresbilanzen der Banken per Ende Juni a. c. zur Verfügung, sowie die Ergebnisse von im Zusammenhang mit diesen Halbjahresbilanzen bei 65 der bedeutendsten Banken durchgeführten besondern Erhebungen, und einer im Juni seitens der Schweizerischen Bankiervereinigung und der Nationalbank durchgeführten Enquête über die Guthaben in Italien.
A) Guthaben in Italien
Über diese Guthaben hat die Schweizerische Bankiervereinigung zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank im Juni d.J. die vorerwähnte Enquête durchgeführt, in welche ausser den der Schweizerischen Bankiervereinigung angeschlossenen rund 550 Bankinstituten 41 schweizerische Finanz- und Holdinggesellschaften einbezogen wurden und die folgendes Ergebnis gezeitigt hat:
[...]4
Es ergibt dies einen monatlichen Zinsen- und Dividendenanspruch von rund 2,1 Millionen Franken.
Wie sich aus diesen Angaben ergibt, handelt es sich dabei um keine vollständige Enquête5, da davon die ausserhalb der Bankiervereinigung stehenden, in diesem Zusammenhang aber kaum in erheblichem Masse in Betracht kommenden Kleinbanken, und auch nicht alle Finanzgesellschaften erfasst wurden, sowie die schweizerischen Handels- und Industriefirmen, Privatpersonen, usw. unberücksichtigt blieben. De facto muss somit nach Ansicht der beteiligten Kreise mit einem erheblich grösseren Betrag schweizerischer Interessen in Italien gerechnet werden, sodass jedenfalls die vorgenannten 401,2 Millionen Franken als ein Minimum zu betrachten sind.
B) Italienische Guthaben in der Schweiz
Wir haben dieser Tage noch eine summarische Enquête über solche Guthaben bei 18 unserer bedeutendsten Kreditinstitute (Grossbanken, 9 Kantonalbanken, 2 Tessiner Privatbanken und Nationalbank) durchgeführt und dieses Ergebnis in Relation gebracht zu den Angaben in den eingangs genannten Halbjahresbilanzen der Banken Ende Juni a. c., sowie zum Ergebnis der im Zusammenhang mit diesen Halbjahresbilanzen bei 65 Banken durchgeführten Juni-Enquête. Dabei konnte u. a. festgestellt werden, dass die italienischen Guthaben bei unsern Banken seit Ende Juni einen Rückgang um rund 25 % aufzuweisen haben. Im übrigen hat sich gestützt auf diese Ermittlungen folgendes ergeben:
Guthaben (Konto-Korrent, Checkrechnungen) von in
Italien domizilierten Firmen und Privaten bei 65 schweizerischen Banken per Mitte Oktober, gemäss Enquête bei 18 der wichtigsten dieser Banken per Mitte Oktober und unter Hinzurechnung von 75% der auf die übrigen Banken per 30. Juni entfallenden Beträge,
schätzungsweise Fr. 58 Mill.
Wertschriftendepots von in Italien domizilierten
Firmen und Privaten bei den 18 genannten schweizerischen Banken rund Fr. 166 Mill.
Danach ergibt sich ein Totalguthaben von in Italien domizilierten Gläubigern bei den hiefür hauptsächlich in Betracht kommenden schweizerischen Banken von schätzungsweise 220 Millionen, was ebenfalls als ein Minimum zu betrachten ist, da nicht alle Banken sowie auch nicht die Handels- und Industriefirmen und Private bei der Ermittlung berücksichtigt wurden. Nicht berücksichtigt bei dieser Ermittlung sind somit: allfällige italienische Guthaben bei kleinern Lokalbanken, Wertschriftendepots bei den kleinern Kantonalbanken und den Lokalbanken und Vermögensverwaltern, die in den schweizerischen Safes liegenden Wertschriften, italienische Guthaben bei schweizerischen Holding- und Finanzgesellschaften, Handels- und Industriefirmen und Privatpersonen. Über alle diese weiter in Betracht kommenden Verpflichtungen gegenüber Italien besitzt die Nationalbank keine Anhaltspunkte; sie dürften allerdings kaum sehr hoch zu veranschlagen sein, um wirklich grössere Beträge könnte es sich unseres Erachtens nur bei den im Safes liegenden Wertschriften handeln.
Stellt man auf den oben genannten Totalbetrag von rund 220 Millionen Franken italienischer Guthaben ab, und legt man für diese einen eher hoch gegriffenen Zinsfuss von durchschnittlich 4% zugrunde, so ergäbe sich ein jährliches Zinsbetreffnis von ca. 8,5 Millionen oder 0,7 Millionen Franken pro Monat.
Zu diesen Guthaben ist ferner zu bemerken, dass sich darunter, speziell was die Wertschriftendepots anbetrifft, zum grossen Teil sogen. Fluchtkapitalien befinden, die dem italienischen Fiskus bisher nicht gemeldet waren und die wahrscheinlich auch bei der kürzlich in Italien durchgeführten Zwangskonversion den italienischen Behörden nicht angeboten worden sind. Es handelt sich um Deponenten, die sich offenbar auf das in der Schweiz bisher streng gewahrte Bankgeheimnis verlassen. Über das Verhältnis der in Italien angemeldeten und nun an den italienischen Staat übergegangenen Guthaben zum genannten Totalbestand von 220 Millionen fehlen bestimmte Anhaltspunkte. Es wird indessen angenommen, das der weit überwiegende Teil dieser Guthaben als Fluchtkapital zu betrachten ist. Nimmt man an, dass ungefähr ein Viertel des Totalguthabens von 220 Millionen, also 50 Millionen, in Italien angemeldet und infolgedessen zwangsweise konvertiert worden sind, so ergäbe sich daraus ein jährlicher Zinsbetrag von ca. 2 Millionen Franken, d. h. ein monatliches Betreffnis von 160000 Franken oder rund 200000 Franken, das für die Einbeziehung in ein Clearing in Betracht kommen könnte, falls man zu einer bezüglichen Verständigung mit Italien kommen sollte6.
Einem monatlichen italienischen Zinsguthaben in der Schweiz von rund 200000 Franken würde somit ein monatliches schweizerisches Zins- und Dividendenguthaben in Italien von rund 2,1 Millionen gegenüberstehen. Obwohl es sich bei diesen Beträgen mehr nur um schätzungsweise Angaben handelt, dürfte doch daraus ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass das Hereinbringen der schweizerischen Zins- und Dividendenforderungen gegenüber Italien nur vermittelst des Warenclearing, d. h. nur durch entsprechende Steigerung des italienischen Warenexports nach der Schweiz zwecks Erzielung eines beträchtlichen Überschusses über unsern Export nach Italien möglich sei. Und was die Kapitalforderungen als solche anbetrifft, so würden auch diese sich gegenseitig nicht kompensieren lassen, da die schweizerischen Guthaben in Italien bedeutend höher, als die italienischen in der Schweiz zu veranschlagen sind, ganz abgesehen von der durchaus unterschiedlichen Natur dieser Guthaben. Während es sich nämlich bei den italienischen Guthaben in der Schweiz zur Hauptsache um Wertschriftendepots und Guthaben bei Banken handelt, d. h. um mobile, in kurzer Zeit liquidierbare Guthaben, machen bei den schweizerischen Guthaben in Italien die festen Beteiligungen bei Industrie- und Handelsunternehmungen in Form von Aktienbesitz, Syndikatskrediten usw. den weit überwiegenden Teil aus, dessen Liquidierung nur mit Schwierigkeiten und z. Zt. teilweise wohl überhaupt nicht möglich wäre.
2. Was den weitern in Ihrem Schreiben geäusserten Wunsch betrifft, über die Beurteilung der Sanktionsfrage in den massgebenden Industrie-, Handels- und Bankkreisen orientiert zu werden, so nehmen wir Bezug auf die am 18. ds. unter dem Vorsitz des Erstunterzeichneten7 in Zürich stattgefundene Konferenz, an der ausser Ihrem Departement (Herr Dr. Kellenberger) und der Nationalbank (Herren Präsident Bachmann, Vizepräsident Schnyder und Direktor Schwab) vertreten waren: das Politische Departement (Herr Dr. Feldscher), das VolksWirtschaftsdepartement (Herr Legationsrat Dr. Vieli), einige Grossbanken (Herren Dr. Jöhr, Dreyfus, Jaberg und Dr. Zoelly) und der Vorort des Handels- und Industrie-Vereins (Herr Dr. Wetter). Wir gestatten uns, das Ergebnis dieser Aussprache, die ergeben hat, dass sich die Auffassungen der vertretenen Departemente und Kreise im wesentlichen vollständig decken, wie folgt zusammenzufas
Einleitend wurde daraufhingewiesen, dass der Völkerbund die Sanktionen auf Grund von Art. 16 des Völkerbundspaktes in finanzielle und wirtschaftliche trenne8, dass er die finanziellen Sanktionen bereits formuliert hat und dass die Schweiz als Völkerbundsmitglied und unter Berufung auf die Londoner Erklärung vom 13. Februar 1920 ihnen grundsätzlich zuzustimmen geneigt sei, dass aber die Formulierung der wirtschaftlichen Sanktionen in Genf noch ausstehe.
Die Diskussion am Freitag erging sich anfänglich von einzelnen Seiten aus in der Richtung der Unmöglichkeit einer Trennung von finanziellen und wirtschaftlichen Sanktionen, indem betont wurde, jede finanzielle Massnahme habe auch eine wirtschaftliche Zweckbestimmung und jedes wirtschaftliche Vorgehen bedürfe der finanziellen Mittel. Die nähere Betrachtung der vom Völkerbund auf gestellten finanziellen Sanktionen führte im Verlaufe der Aussprache zu der allgemein geteilten Auffassung, dass die Sanktionen9 1 und 2, Darlehen (Anleihen) und Kredite für den italienischen Staat, die Sanktionen 3 und 4, Darlehen (Anleihen) und Kredite für alle anderen italienischen Darlehens- oder Kreditnehmer, als der italienische Staat, betreffen; Sanktion 5 schliesslich beschlage die Aktien- oder andere Gesellschaftsbeteiligung an italienische öffentliche Körperschaften oder private Unternehmungen. Auf Grund dieser Auffassung ergab sich, dass bei allen diesen Sanktionen eine Geldhingabe oder Kreditgewährung verstanden ist, bei der nicht der Geber, sondern erst der Empfänger über die Verwendung der Mittel entscheidet, m. a. W., dass es sich um ein reines Finanzgeschäft von Seiten dessen handelt, der als schweizerischer Geldgeber auftritt, während erst der italienische Geldempfänger die wirtschaftliche Verwendung bestimmen wird. Es sind dies somit alles Finanzoperationen in der Art, wie sie in Art. 8 des Bankengesetzes10 vorgesehen sind. Die schweizerischen Banken, die sozusagen für diese Geschäfte allein in Betracht kommen, sind deshalb schon heute für die Durchführung dieser Geschäfte von der Nationalbank (bzw. den Bundesdepartementen) abhängig. Es ist auch ohne weiteres gegeben, dass sie heute keine solche Darlehen (Anleihen) und Kreditgeschäfte nach Italien tätigen werden, auch nicht Kreditgeschäfte von weniger als zwölf Monaten. Immerhin ist verstanden, dass Kredite, die heute bereits von schweizerischen Banken und Finanzgesellschaften an italienische Banken, Finanzgesellschaften oder andere Unternehmungen gewährt sind, im heutigen Umfange aufrecht erhalten werden können, so gut wie die bereits für italienische öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Körperschaften in der Schweiz aufgelegten Anleihen oder für privatrechtliche Körperschaften vorgenommenen Aktienemissionen bestehen bleiben.
Es konnte somit hinsichtlich der finanziellen Sanktionen auf Grund der zum Ausdruck gelangten Auffassung am Freitag eine volle Übereinstimmung der Ansichten der Vertreter des Bundes und der privaten Wirtschaft festgestellt werden, dahingehend, dass der Befolgung dieser Sanktionen durch unsere Banken keine grundsätzlichen Hindernisse im Wege stehen, und dass sie schweizerischer - seits ohne erhebliche direkte Nachteile für unsere Wirtschaft mitgemacht werden können, immerhin mit einem Vorbehalte zugunsten der in Italien investierten schweizerischen Interessen (Tochtergesellschaften schweizerischer Unternehmen, Beteiligung an schweizerische industrielle Unternehmen etc.) über deren Berücksichtigung von Fall zu Fall entschieden werden müsste. Anderseits waren die Meinungen über die Möglichkeiten einer Befolgung der noch kommenden wirtschaftlichen Sanktionen nicht einheitlich. Es ist auch nicht möglich, über solche wirtschaftliche Sanktionen im heutigen Zeitpunkt sich irgendwie massgeblich zu äussern. Der Gedanke, dass die wirtschaftlichen Sanktionen sich im Rahmen des Kompensationsverkehrs werden verwirklichen müssen, begegnete hinsichtlich des Warenverkehrs keiner Einwendung. Mit Bezug auf den Kapitalverkehr wurde auf die starke Ungleichheit im Betrage der schweizerischen und italienischen Forderungen verwiesen, sowie auf den Umstand, dass die der italienischen Regierung nicht angemeldeten italienischen Forderungen auf die Schweiz ausserhalb des Clearings bleiben müssten. Auch wurde betont, dass tunlichst auf einen beidseitigen, d. h. vertraglichen Clearing hingewirkt werde, indem ein einseitiger, sogen. Zwangsclearing den schweizerischen Warenexporteuren, noch weniger den schweizerischen Finanzgläubigern dienen könnte. Von Seiten der Banken wurde befürchtet, dass es seitens Italiens zu einer eigentlichen Zahlungssperre führen würde. Das der gegenseitige Zinsendienst in den Clearing einbezogen werde, wurde grundsätzlich gebilligt; Schwierigkeiten müsste jedoch die Durchführung dieses Zinsenclearings und erst recht der Einbezug des Kapitalverkehrs bereiten.
Wir gestatten uns zu bemerken, dass die im gegenwärtigen Schreiben enthaltenen ziffermässigen Angaben, insbesondere was die italienischen Guthaben in der Schweiz anbelangt, als vertraulich behandelt werden sollten, da hier bekanntlich die Vermutung besteht, dass ein grosser Teil dieser Guthaben den italienischen Behörden nicht angemeldet wurden bzw. dass es sich hier um eigentliches Fluchtkapital handelt.
- 1
- Lettre signée par G. Bachmann et E. Weber.↩
- 2
- Lettre: E 6100 (A), Archiv-Nr. 681.↩
- 3
- Non retrouvé.↩
- 4
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/46082. Pour le tableau, cf. dodis.ch/46082. For the table, cf. dodis.ch/46082. Per la tabella, cf. dodis.ch/46082.↩
- 6
- Un accord de clearing avec l’Italie serafinalement conclu le 3 décembre 1935. Cf. annexeaun0 190.↩
- 7
- G. Bachmann.↩
- 8
- Les sanctions financières faisant l’objet de la proposition 11 du Comité de Coordination; celles de nature économique étant énumérées dans les propositions III et IV. Cf. no 160, n. 2 et n. 6.↩
- 9
- Il est fait allusion ici aux différents paragraphes de la proposition II du Comité de Coordination.↩
- 10
- Loi fédérale sur les banques et les caisses d’épargne, du 8 novembre 1934, entrée en vigueur le 1er mars 1935 (RO, 1935, vol. 51, pp. 121–141). Le chiffre 1 de l’article 8 de cette loi a la teneur suivante: Les banques, ainsi que les sociétés financières à caractère bancaire qui ne font pas appel au public pour obtenir des dépôts de fonds, sont tenues d’informer la banque nationale avant de conclure, pour dix millions de francs au moins, une des opérations énumérées au 2e alinéa[emprunts en faveur de l’étranger, achat et émission d’actions de sociétés étrangères, crédits et placements à l’étranger], ou de participer pour un montant équivalent à de telles opérations. Si la situation du marché de l’argent ou les conditions économiques paraissent le justifier, la banque nationale peut exiger que les opérations d’un montant inférieur à dix millions de francs lui soient également soumises.↩