Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
11. France
11.3. Questions de travail
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 375
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1534#955* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1534 55 | |
Dossier title | Reglement betr. Ein- und Auswanderung, I (1929–1933) | |
File reference archive | B.31.01.05 • Additional component: Frankreich |
dodis.ch/45917 Le Chef du Département politique, G. Motta, au Ministre de Suisse à Paris, A. Dunant1
[...]
Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten der Schweizer in Frankreich haben wir uns selbst wiederholt gefragt, ob es nicht möglich und angezeigt sei, den Versuch zu unternehmen, durch eine direkte Aussprache mit den zuständigen französischen Instanzen die drohenden Gefahren abzuwenden. Diese Möglichkeit ins Auge zu fassen, lag umso mehr nahe, als es im vergangenen Frühjahr gelungen ist, mit der deutschen Regierung Abreden zu treffen, die es erlaubten, auch unter denkbar schwierigen Umständen die Schweizer in Deutschland in wirksamer Weise zu schützen, und deren Anwendung im allgemeinen durchaus befriedigende Ergebnisse zeitigte2. Es ist aber nicht zu vergessen, dass wir uns gegenüber Deutschland deshalb in einer sehr günstigen Lage befanden, weil den ca. 40000 Schweizern in Deutschland etwa 135 000 Deutsche in der Schweiz gegenüberstehen, von denen nahezu 80000 erwerbstätig sind. Auf diese Sachlage konnte bei den Verhandlungen immer wieder hingewiesen werden und ihr ist es wohl vor allem zu verdanken, dass die Deutschen ein verhältnismässig recht weitgehendes Entgegenkommen zeigten. Gegenüber Frankreich ist die Lage gerade umgekehrt. Gegenüber einer Schweizerkolonie in Frankreich von rund 137 000 Köpfen betrug die Zahl der Franzosen in der Schweiz, die seit 1920 erheblich zurückgegangen ist, nach der Volkszählung von 1930, wie Sie selbst erwähnen, nur noch 37 000. Gegenüber diesen absoluten Zahlen lässt sich mit dem Hinweis auf das Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht viel ausrichten. Wir mussten uns bereits mit dem Justiz- und Polizeidepartement davon überzeugen, dass wir nur in seltenen Fällen in der Lage wären, Gegenmassnahmen gegen französische Staatsangehörige zu ergreifen und dass wir in einem Konflikt unvermeidlich die Leidtragenden wären. Wenn auch Frankreich einen grossen Teil unserer Mitbürger wegen ihrer besondern Kenntnisse und Tüchtigkeit nicht entbehren könnte, so wäre es doch für die französischen Behörden ein leichtes, Schweizer in grosser Zahl ohne grossen Nachteil für die französische Volkswirtschaft zu verdrängen. Dass die französische Regierung bis jetzt nicht für nötig befunden hat, auf die wiederholten Vorwürfe wegen Verletzung des Niederlassungsvertrages zu antworten, lässt darauf schliessen, dass sie sich der Stärke ihrer tatsächlichen Stellung uns gegenüber bewusst und gewillt ist, daraus Nutzen zu ziehen.
Die Lage einer schweizerischen Delegation wäre deshalb eine recht heikle. Sie würde, abgesehen vom Hinweis auf die Handelsbilanz, kaum neue Argumente für die bis jetzt von Ihrer Gesandtschaft erfolglos vorgebrachten Forderungen geltend machen können, sähe sich aber umgekehrt wohl allen möglichen französischen Wünschen gegenüber. Eine noch günstigere Behandlung der französischen Staatsangehörigen als bisher Hessen die Lage des Arbeitsmarktes und die zu befürchtenden Rückwirkungen mit Bezug auf den Zustrom aus ändern Ländern, die wenigstens zum Teil Anspruch auf die Meistbegünstigung für ihre Staatsangehörigen haben, schweizerischerseits kaum zu.
Bei den Verhandlungen mit Deutschland bestand von vornherein Einmütigkeit darüber, dass die bestehenden Verträge (Niederlassungsvertrag von 19093 und Rechtsverhältnissevertrag von 19104)bestehen bleiben sollen und dass es sich nur darum handle, Zusatzvereinbarungen zu treffen über die Anwendung der nach dem Kriege in den beiden Ländern erlassenen Vorschriften über Fremdenpolizei und Arbeitsmarkt im Rahmen der bestehenden Abmachungen.
Im Falle von Verhandlungen mit Frankreich müsste damit gerechnet werden, dass die französische Regierung die Revision des Niederlassungsvertrages von 1882 fordert5. Verhandlungen über einen neuen Niederlassungsvertrag unter den heutigen Umständen und bei der gegenwärtig in Frankreich herrschenden Mentalität könnte aber nur zu einem ungünstigeren Vertrag führen und müssen darum wenn irgend möglich vermieden werden.
Was uns gegenüber Frankreich not tut, ist überhaupt nicht so sehr eine neue Vereinbarung, sondern die Achtung der bestehenden Abkommen durch Frankreich. Unser Niederlassungsvertrag von 1882 sichert unsern Landsleuten die Gleichbehandlung bei der Ausübung von Handel und Gewerbe zu. Durch die Anwendung der Dekrete über die prozentuale Beschränkung der ausländischen Arbeitnehmer auf unsere Landsleute wird dieser Vertrag verletzt. In einem neuen Vertrag würde Frankreich einen Vorbehalt für diese Vorschriften verlangen. Auch bietet der geltende Niederlassungsvertrag uns eine rechtliche Grundlage, um die Erhebung einer Sondersteuer für die Beschäftigung schweizerischer Arbeitnehmer anzufechten und die Gleichbehandlung der schweizerischen Architekten mit ihren französischen Kollegen zu beanspruchen. Die Gleichbehandlung der Schweizer in der Arbeitslosenunterstützung ist bereits vertraglich vereinbart. Mit Bezug auf die Ausstellung der Identitätskarte für Arbeitnehmer ist durch den Notenwechsel vom 9. Juni 19336 das Erreichbare an vertraglichen Zusicherungen wohl verwirklicht.
Es hat wenig Sinn, neue Abmachungen mit Frankreich zu treffen, solange die bestehenden nicht respektiert werden. Zudem ist zu befürchten, dass ein neues Abkommen angesichts der herrschenden Mentalität - wir verweisen besonders auf den uns von Ihnen übermittelten Resolutionsentwurf, der am 14. November der französischen Deputiertenkammer unterbreitet wurde (Nr. 2513)7 und wo auf Seite 4 ganz offen eine möglichste Verschleppung der Ratifikation der getroffenen Abmachungen empfohlen wird - Monate oder sogar Jahre auf die Ratifikation warten müsste.
Es ist allerdings zuzugeben, dass der alte Niederlassungsvertrag durch die Nachkriegspraxis in beiden Ländern teilweise derogiert worden ist und dass es wünschbar wäre, einmal genau abzuklären, in welchem Umfang er heute noch uneingeschränkt gilt. Bei uns ist es klar. Er gilt vollinhaltlich für die Franzosen mit Niederlassungsbewilligung und für die übrigen im Rahmen der geltenden fremdenpolizeilichen Vorschriften. In Frankreich ist dies weniger klar. Es wäre wünschbar, deutlich festzulegen, dass die seit fünf Jahren in Frankreich ansässigen Schweizer Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung haben und hinsichtlich aller Vorschriften über den Arbeitsmarkt wie Franzosen zu behandeln sind. Eine solche Vereinbarung würde aber ohne Zweifel, selbst wenn die französische Regierung dazu bereit wäre, in absehbarer Zeit vom französischen Parlament nicht ratifiziert werden. Wir möchten es daher lieber bei der zugegebenermassen unvollkommenen Lösung im Notenaustausch vom 9. Juni 1933 bewenden lassen.
Eine andere Frage ist die, ob die bisher trotz allen sehr verdankenswerten Anstrengungen erfolglos gebliebenen Schritte der Gesandtschaft in den erörterten Fragen vielleicht durch die Entsendung einer Delegation aus Bern und eine direkte Aussprache mit den zuständigen französischen Instanzen in wirksamer Weise ergänzt und zu einem erfolgreichen Ende geführt werden könnten. Durch direkte Verhandlungen würde in der Tat die französische Regierung gezwungen, aus ihrem beharrlichen Stillschweigen herauszutreten und endlich zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Allerdings bestehen auch in diesem Falle die eingangs erörterten Bedenken. Es muss damit gerechnet werden, dass diese Stellungnahme negativ ausfällt, dass unerfüllbare Gegenforderungen gestellt werden. Solche Verhandlungen bergen darum das nicht zu unterschätzende Risiko in sich, dass daraus statt einer Verbesserung eine Verschlechterung der Lage resultiert. Es ist klar, dass nötigenfalls trotzdem dieser Versuch gewagt werden muss und diese äusserste Anstrengung im Interesse der Schweizer in Frankreich nicht gescheut werden darf, selbst auf die Gefahr eines Misserfolges hin, eher als dass wir uns von vornherein mit einer schweren Schädigung der auf dem Spiele stehenden Interessen abfinden. Wir fragen uns aber, ob die Dinge so weit gediehen sind und dass es sich rechtfertigt, diese letzte Karte auszuspielen. Sie sind gerade hinsichtlich dieser Frage am besten in der Lage, ein massgebendes Urteil zu fällen, und wir möchten gerne noch Ihre nähere Ansicht hierüber hören.