Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 10, doc. 357
volume linkBern 1982
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#118* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Titre du dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 34 (1933–1933) |
dodis.ch/45899
Eine Berichterstattung meinerseits über den grossen Wahltag vom 12. November2 an sich und dessen unmittelbare Ergebnisse dürfte sich erübrigen; denn die Vorbereitungen dazu, die bedeutendsten in der Fülle der Wahlreden, die bemerkenswerten Wahl- und Abstimmungszahlen und die darauf folgenden amtlichen Kundgebungen sind Ihnen in den Einzelheiten durch die Presse vermittelt worden.
Wenige Stunden, nachdem die Abstimmungsergebnisse bekannt geworden waren, bot sich mir Gelegenheit, mich mit einem der Reichsminister zu unterhalten. Ich hatte keinen Grund, durch ihn die Reichsregierung nicht zum Ausgang ihrer Wahlaktion zu beglückwünschen; damit war noch kein persönliches Werturteil insbesondere über die Völkerbundpolitik Deutschlands verbunden. Der Reichsminister erwiderte sehr offen, die Ergebnisse überträfen in der Tat alle Erwartungen der Regierung, nicht etwa wegen der bisher unerhörten Beteiligung, denn dafür habe gebührender Zwang gesorgt, sondern wegen der 95% und 92% bejahenden Stimmen, da die Grundbedingung der geheimen Stimmabgabe allgemein gewährleistet gewesen sei. Dazu erzählte mir der Reichsminister sogar folgendes persönliches Erlebnis, an dessen Richtigkeit ich nicht zu zweifeln habe. Er habe das Wahllokal gemeinsam mit seiner zwanzigjährigen Tochter, die zum ersten Mal von dem Stimmrechte Gebrauch machte, betreten und habe das jasagende Kreuz in den dazu bestimmten Kreis des Wahlzettels eintragen wollen, indem er das Papier auf den Rücken seiner Tochter legte. Da habe ihn ein Wahlaufseher sogleich darauf aufmerksam gemacht, dass diese Eintragung erst in der geschlossenen Wahlkabine erfolgen dürfe. - Von Schweizer Journalisten, denen auf Empfehlung des Propagandaministeriums der Zutritt zu den Wahllokalen Berlins ausnahmsweise gestattet worden war, wird mir bestätigt, dass die Geheimhaltung des Wahlgeschäftes, soweit ihre Beobachtungen gingen, gesichert worden sei.
Aber nicht minder richtig ist der überall ausgeübte Druck und Zwang hinsichtlich der Ausübung des Wahlrechtes. Von persönlichen Bekannten erfuhr ich, dass z.B. ein Schwerkranker liegend getragen von zwei Wärtern und begleitet von zwei Krankenschwestern ins Wahllokal befördert wurde, dass die Köchin einer Diplomatenfamilie viermal im Lokal ihrer Berufstätigkeit aufgesucht wurde, ehe sie in das ihrer Bürgerpflichtserfüllung geführt werden konnte, dass ein junger Schweizer mehrmals in der Strassenbahn aufgefordert wurde, sich über die Ausübung des - ihm nicht zustehenden - Stimmrechtes auszuweisen.
Kann also die Wahlbeteiligung ohne weiteres der meistergültigen und lückenlosen Organisation zugeschrieben werden, so mag doch die einmütige Zustimmung zur Aussenpolitik der Regierung und mehr noch zur nationalsozialistischen Reichstagswahlliste einigermassen überraschen. Hier nach den Gründen suchen und sie aufzählen zu wollen, wäre ein weitläufiges und überdies unsicheres Unterfangen. Die Furcht vor der Entdeckung eines Verneinens wird trotz des Wahlgeheimnisses vielerorts mitgespielt haben. Die Masse des Volkes hat indessen bewusst bejaht, weil es die «deutsche Ehre» wirklich zu verteidigen glaubte, die ungleiche Abrüstung als unerträglich empfindet, dem Völkerbund überhaupt nie zugetan war, aber auch weil, nach meiner Überzeugung, die sehr grosse Mehrheit nun einmal ihre Hoffnung auf bessere Zeiten in Hitler gesetzt hat, den sie als den Retter aus politischer, sozialer und wirtschaftlicher Not ansieht.
Das sozusagen unbeschränkte Vertrauen in den «Führer» hat sich in den letzten Monaten zweifelsohne auf weitere Volkskreise erstreckt. Überall, in allen Schichten der Bevölkerung, trifft man ihm vollkommen ergebene, in tiefster Verehrung zu ihm aufblickende Leute. Er scheint mir zur Zeit gewissermassen allein dazustehen. Alle ändern sind die von ihm Geführten; er könnte sich heute von einem jeden trennen, ohne Schaden zu leiden oder im geringsten gefährdet zu sein. Ich sage aber ausdrücklich: jetzt und in der nächsten Zeit. Was später kommen mag, wird auch hier vom Erfolge, von der Erfüllung wenigstens eines Teiles der weitgehenden Erwartungen abhängen.
Ein Reichsminister - und nicht etwa einer der leidenschaftlichsten - sagte mir noch kürzlich, man mache sich bei den Aussenstehenden gar keinen richtigen Begriff von der überzeugenden Autorität, die der Reichskanzler auf alle Mitglieder seines Kabinetts ausübt. Er leite dessen Verhandlungen überlegen, sei stets verbindlich, einfach, ohne Pose, rede wenig, befehle sozusagen nie, gebe gerne seine Zustimmung, sofern auch er eine Lösung als richtig betrachte, bringe aber das entscheidende, mitreissende Argument, wenn er nicht einverstanden sei, gelegentlich gegen mehrere seiner Minister. Der, der mit mir sprach, mag sich immerhin etwas haben hinreissen lassen, wenn er mir sagte: Mussolini ist zweifelsohne ein hochbegabter Staatsmann: aber unser Hitler ist doch noch ein ganz anderer Mann3. - Sie ersehen aus diesem Ausschnitt aus dem gelegentlichen Gespräche mit einer besonnenen und erfahrenen Persönlichkeit, welch’ tägliche Aufgabe es für uns bedeutet, all’das, was wir hören, ohne es etwa systematisch verwerfen zu wollen, auf ein richtiges Mass zurückzuführen.
Un nun die Antwort oder besser die Antworten auf die allgemeine Frage: Was wird jetzt nach dem Wahltriumph vom vergangenen Sonntag auf diesem und jenem Gebiete geschehen?
Zwar werden allerlei Mutmassungen gemacht und Gerüchte herumgeboten. Ich glaube aber sagen zu können, dass in der Hauptsache noch keine endgültigen Entscheidungen getroffen sind.
Vorerst hat man von weitgehenden Änderungen im Kabinett selbst gesprochen. Diesfällige Gerüchte hatten sich vorige Woche so sehr verdichtet, dass sie in der ausländischen Presse, so auch in der Neuen Zürcher Zeitung, Aufnahme gefunden hatten. Der Reichsaussenminister4 sollte ausscheiden und Vizekanzler von Papen an seine Stelle treten, um das Vizekanzleramt für Rudolf Hess, den «Stellvertreter des Führers», freizumachen. Ich hatte Grund, an dieser Nachricht zu zweifeln. Von bestinformierter Seite ist mir seither bestätigt worden, dass Hitler seinen Stellvertreter in der Partei nicht in die Regierung zu berufen gedenke, und zwar weil er die Parteiformationen als solche zu erhalten entschlossen sei. Er wolle für diese eine straffe Organisation und strenge Disziplin, wie sie für die Gesamtheit des Volkes keineswegs passe. Dazu bedürfe es einer entschiedenen, zielbewussten Führung, die weiterhin, ganz unabhängig von der Regierung, in der Hand von Rudolf Hess, wahrscheinlich des vertrautesten und einflussreichsten Mitkämpfers Hitlers, bleibe.
Sodann spricht man viel von allerlei persönlichen Spannungen innerhalb der Parteileitung und sogar der Regierung. Dabei spielen Goebbels und Goering die Hauptrollen. Dass die beiden sich nicht wohl verstehen und vertragen können, ist bei ihrem grundverschiedenen Temperament und ihren ungleichen geistigen Eigenschaften kaum zu verwundern. Dass aber der eine offen gegen den ändern, beide von Parteigängern unterstützt, auftreten würden, halte ich vorderhand für ausgeschlossen. Hitler ist im Stande beiden, zusammen oder gesondert, ein unbedingtes Halt zu gebieten.
Nun sollen aber weitgreifende politische Pläne im Werden begriffen sein, die sich mittelbar gegen den Einfluss Goerings richten. Des Letzteren eigentliches Revier ist, wie Sie wissen, Preussen, dessen Ministerpräsident und Innenminister er ist. Er war da im Begriffe zu hausen wie ihm eigenen Haus. Beispiel: die Schaffung des preussischen Staatsrates, über den ich Ihnen früher geschrieben habe. Das weittragendste Vorhaben der Regierung, an dessen baldige Verwirklichung ich glauben möchte, ist die Aufhebung der deutschen Länder und die Errichtung des vollkommen einheitlichen Reiches, mit rein administrativer Einteilung in Gaue. Möglicherweise verzögert sich die Durchführung noch einige Zeit, weil sie bedeutende verwaltungstechnische Vorbereitungen erheischt und die dazu erforderliche Mitwirkung zahlreicher Amtsstellen, wie man mir sagt, auf allerlei Widerstände und Hemmungen stösst. Wenn nun das bisher mächtige Preussen als Land in der Versenkung verschwinden soll, so hänge Goering mehr oder weniger in der Luft. Und wenn dies auch mit seiner weitern Eigenschaft als Reichsminister der Luftschiffahrt nicht gerade in Widerspruch steht, so wäre damit weder er noch seine engere Gefolgschaft, vorab die etwa 80 Mitglieder des kaum ins Leben gerufenen und schon wieder verschwindenden Staatsrates keineswegs befriedigt. Eine etwelche Entschädigung dürfte Goering in der Form eines neuen Reichspolizeiministeriums geboten werden.
Aussenpolitisch müssen die Auswirkungen des 12. November genau verfolgt werden. In der nächsten Zukunft wird Deutschland Friedenswillen und -Sehnsucht durch entsprechende Beteuerungen, gegebenenfalls Verhandlungen und sogar Taten zu beweisen suchen. Wie man sich aber in der Wehrfrage verhalten wird, ist eine Frage für sich, die Frage könnte man wohl sagen. Kürzlich machte in dieser Beziehung ein Reichsminister mir gegenüber eine nicht ganz eindeutige Bemerkung, derzufolge Deutschland natürlich seine Wehrbereitschaft einigermassen zu verbessern gezwungen sei, nicht aber daran denke, im jetzigen Zeitpunkt eine eigentliche Aufrüstung vorzunehmen, da ihm zu sehr daran liege, vor allem das Ausland von seiner Friedensliebe zu überzeugen.
In diesem Zusammenhang erklärte mir der betreffende Minister weiter, dass die Reichsregierung einmütig den Schwerpunkt der deutschen und damit der gesamten europäischen auswärtigen Politik im Verhältnisse Deutschlands zu Frankreich erblicke. Deshalb auch die alle ändern Rücksichten zurückstellenden Anstrengungen Hitlers, jenes Verhältnis in einer für beide Teile annehmbaren Weise zu regeln. Nichts hätte ihn unter diesen Umständen mehr kränken können, als die gewollte vollkommene Übergehung Deutschlands in der Regierungserklärung des neuen französischen Ministerpräsidenten5. Seither ist die Sache nun einigermassen durch die Aussprache vom 14. November in der französischen Kammer geebnet worden. Reichsminister Goebbels hat seinerseits einem meiner Kollegen gegenüber bemerkt, dass, wenn Frankreich aus irgendeinem Grund oder Vorwande militärische Sanktionsmassnahmen ergreifen sollte, Deutschland sich in keiner Weise zur Wehr setzen würde, sondern Frankreich die alleinige Verantwortung für die unausbleiblichen Folgen überlassen müsste. Die nächste Zukunft wird zeigen, ob direkte Besprechungen zwischen Berlin und Paris in Gang gebracht werden können.
Was die Verhandlungen mit Polen6 betrifft, von denen in den letzten Tagen viel gesprochen wird, so halte ich dafür, dass ihre Bedeutung überschätzt wird. Der neue hiesige polnische Gesandte7 hatte mir nämlich bereits vor einigen Wochen auseinandergesetzt, dass seine Mission vorläufig darin bestehe, ein erfreulicheres gegenseitiges Verhältnis zu schaffen durch Vermeidung ständiger Reibungen und Zwischenfälle an der Grenze und eine Besserung der wirtschaftlichen Beziehungen. Man wünsche in Warschau aufrichtig, alles zu vermeiden, was das neue Deutschland unnötigerweise reizen und zu unüberlegten Handlungen verleiten könnte. Deshalb sei auch die kürzlich erreichte Verständigung zwischen Polen und Danzig sehr zu begrüssen8. Hingegen, so meinte der polnische Gesandte, könne keine Rede davon sein, dermalen die grossen politischen Probleme, wie die des Korridors und des Status selbst der Stadt Danzig auch nur anzuschneiden. Darüber müsse die zu einer beidseitig endgültig angenommenen Lösung erforderliche Zeit vergehen.
- 1
- Rapport: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 34. Remarque marginale de G. Motta: sehr interessant! 21. XII. 33.↩
- 2
- Elections au Reichstag et plébiscite sur le retrait de l’Allemagne de la Conférence sur la réduction et la limitation des armements et de la SdN.↩
- 6
- Qui aboutiront au pacte de non-agression germano-polonais du 26 janvier 1934.↩
- 8
- L’accord du 5 août 1933 entre les autorités de la Ville libre et le gouvernement polonais, sous les auspices du Haut-Commissaire de la SdN, règle la question de l’utilisation par la Pologne du port de Danzig et le statut des ressortissants polonais et des personnes originaires de Pologne dans la Ville libre.↩
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