Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 310
volume linkBern 1982
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1534#1869* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1534 93 | |
Dossier title | Beitritt von Schweizern zu nationalsozialistischen Berufsverbänden (1933–1938) | |
File reference archive | B.46.10.a • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/45852
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Grundsätzlich ist daran festzuhalten, dass die Schweizer sich nicht in die politischen Angelegenheiten des Gastlandes einmischen dürfen und dass ihnen deshalb vom Beitritt zur nationalsozialistischen Partei wie zu irgend einer politischen Partei abzuraten ist. Es muss aber berücksichtigt werden, dass der Nationalsozialismus ähnlich wie der Faschismus nicht mehr ausschliesslich eine politische Partei im hergebrachten Sinne ist, sondern einerseits Funktionen ausübt, die bisher dem Staate selbst Vorbehalten waren (z.B. durch die SS und SA) und andererseits durch besondere Verbände und Organisationen auch im Wirtschaftsleben und auf kulturellem Gebiet eine noch im Wachsen begriffene Rolle spielt. Je stärker nun die von den einzelnen Organisationen ausgeübten Funktionen politischen Charakter haben, desto grössere Zurückhaltung werden sich unsere Landsleute auferlegen müssen. Umgekehrt wird ihnen der Beitritt zu Berufsverbänden mit vorwiegend wirtschaftlichen Zwecken kaum verwehrt werden können, zumal da, wo ein Fernbleiben für ihre weitere wirtschaftliche Existenz verhängnisvoll sein könnte.
Es besteht ja überhaupt, anders als bei den Formationen militärischen Charakters, keine gesetzliche Grundlage, um unsererseits den Schweizern die Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei und ihren Nebenorganisationen zu verbieten, soweit von deutscher Seite ihnen der Beitritt gestattet wird. Es kann sich vielmehr nur darum handeln, unsern Landsleuten Ratschläge zu erteilen und sie vor den unliebsamen Folgen zu warnen, die eine Zugehörigkeit zu Organisationen politischer Natur für sie haben könnte, sei es, dass sie in politische Auseinandersetzungen im Gaststaat verwickelt werden, sei es, dass sie dadurch in einen Konflikt mit ihren Pflichten gegenüber dem Heimatstaat geraten könnten.
Wir sind über die Organisation und die Mitgliederpflichten der in Rede stehenden Verbände zu wenig unterrichtet, um uns im einzelnen dazu äussern zu können, in welchen Fällen gegen einen Beitritt unserer Landsleute keine Bedenken bestehen. Im allgemeinen wird nichts dagegen einzuwenden sein, dass die Schweizer solchen Berufsorganisationen beitreten, wo eine gleichzeitige Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei nicht erforderlich ist, wie das nach Ihren Angaben für den Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes zutrifft. Auch den Beitritt zu den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden wird man unsern Landsleuten nicht verwehren können. Es dürfte sich aber empfehlen, dass Sie sich möglichst genau über diese Verbände und die mit der Mitgliedschaft verbundenen Pflichten informieren, um die an Sie gerichteten Anfragen mit voller Sachkenntnis beantworten zu können. Es würde uns interessieren, vom Ergebnis Ihrer Erhebungen Kenntnis zu erhalten.
Heikler wird die Stellung von solchen Schweizern sein, die nicht nur Mitglied sind, sondern in leitende Stellen berufen werden sollten. Die Mitteilungen unserer Gesandtschaft in Rom zeigen, dass sich dies in Italien nicht ganz vermeiden liess.
Auf Grund Ihrer Schreiben vom 26., 28. und 29. d.M.2 stellt sich nun aber die weitere Frage, ob die Schweizer gezwungen werden können, den Berufsverbänden beizutreten. Weder der Niederlassungs-3 noch der Rechtsverhältnissevertrag4 mit Deutschland enthalten Bestimmungen, welche der zwangsweisen Zugehörigkeit zu Berufsverbänden im Wege stünden. Dagegen findet sich in den neuern Niederlassungsverträgen in der Regel eine Klausel, wonach die Angehörigen des ändern Vertragsstaates von der Ausübung irgendwelcher öffentlicher Funktionen gerichtlicher oder administrativer Natur befreit sein sollen. Es kann dies wohl als ein allgemein anerkannter Grundsatz des Fremdenrechts bezeichnet werden, der auch in dem Entwurf zu einem internationalen Abkommen über die Behandlung der Ausländer5 Aufnahme gefunden hat. Ob aber ein Zwang zum Beitritt zu Berufsverbänden gegen diesen Grundsatz verstösst, scheint uns zweifelhaft. Dies wird wohl nur soweit behauptet werden können, als diese Verbände politische Funktionen ausüben.
Indessen ist es ohne Zweifel ein allgemein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts, dass die Ausländer nicht nur verpflichtet sind, sich jeder politischen Tätigkeit zu enthalten, sondern auch vom Aufenthaltsstaat nicht gezwungen werden dürfen, an politischen Aktionen teilzunehmen oder Organisationen politischer Natur beizutreten. Wir sind deshalb damit einverstanden, dass Sie beim Auswärtigen Amte vorstellig werden, um darauf hinzuweisen, dass es kaum zulässig sei, die Schweizer zum Beitritt zu Verbänden zu zwingen, die nicht nur wirtschaftlichen Zwecken dienen, sondern auch eine politische Rolle spielen. Dabei wird allerdings zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass damit keineswegs etwa einem Ausschluss unserer Landsleute von diesen Berufsverbänden das Wort geredet werden wolle. Soweit die Berufsverbände wirtschaftliche Zwecke verfolgen, stehe der Zugehörigkeit und Mitarbeit der Schweizer nichts im Wege. Was aber im beiderseitigen Interesse vermieden werden müsse, sei, dass die Schweizer gezwungen werden, Organisationen politischen Charakters anzugehören oder als Mitglieder von Berufsverbänden an politischen Manifestationen teilzunehmen.
!... / Es empfiehlt sich deshalb, vorsichtig zu sein und den Anspruch auf eine Sonderbehandlung der Ausländer nicht allzusehr zu betonen, denn, wie oben dargelegt und wie die Entwicklung der Dinge in Italien gezeigt hat, wird für unsere Landsleute häufig ein unzweifelhaftes Interesse bestehen, den Berufsverbänden angehören zu können, damit das ihnen im Rechtsverhältnissevertrag zugesicherte Recht auf Gleichbehandlung im Wirtschaftsleben nicht illusorisch gemacht wird.
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