Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
11. France
11.1. Relations commerciales
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 10, Dok. 275
volume linkBern 1982
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E1004.1#1000/9#12871* | |
Dossiertitel | Beschlussprotokoll(-e) 19.05.-23.05.1933 (1933–1933) |
dodis.ch/45817
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 23 mai 19331
846. Wirtschaftliche Verhandlungen mit Frankreich
Procès-verbal de la séance du 23 mai 19331
Der Vorsitzende teilt mit, dass die angekündigten offiziösen Verhandlungen mit Frankreich betreffend Aufhebung der gegenseitigen Zollbindungen in Genf zwisehen den Herren Stucki, Chef der Handelsabteilung, und Elbel, directeur des Accords commerciaux, stattgefunden haben.
Herr Elbel2 hat in keiner Weise irgendwelche neuen Argumente vorzutragen gewusst. Seine Stellungnahme lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen: Frankreich hat in den Jahren 1927/1930 gestützt auf einen mangelhaften Zolltarif mit zahlreichen Ländern Handelsverträge abgeschlossen, in welchen auf der Grundlage der uneingeschränkten Meistbegünstigung ca. 70% seiner Zölle vertraglich festgelegt sind. Es hat sich damit seiner Tarifautonomie weitgehend begeben und empfindet diese Fesselung in der gegenwärtigen Krisenzeit als untragbar. Es hat sich gegen die drohende Gefahr der Überschwemmung mit Waren aus Ländern mit billigen Produktionskosten durch die Kontingentierung der Einfuhr zu schützen gesucht. Gegen diese Kontingentierung werden aber von Handel und Konsumentenschaft zahlreiche Klagen geführt, und von dieser Seite wie auch im Parlament ist die Aufhebung dieser Kontingentierungsmassnahmen und der Schutz vor der fremden Einfuhr durch Zollerhöhungen verlangt worden. Überdies bestehe eine Strömung, welche auf der Basis der vereinheitlichten Zollnomenklatur des «Comité économique» überhaupt einen vollständig neuen Zolltarif möglichst rasch in Kraft setzen möchte. Um diese beiden Ziele zu erreichen, müsse Frankreich die «liberté tarifaire» zurückgewinnen, und es hätten verschiedene Regierungen dem Parlament entsprechende Zusagen gemacht. In langen und mühsamen Verhandlungen ist es Frankreich nun gelungen, sich von den Bindungen in den Handelsverträgen mit Deutschland, Italien, der Tschechoslowakei, Österreich und Ungarn zu befreien. Heute bestehen noch zur Hauptsache die Verträge mit der Schweiz und Belgien, und es muss Frankreich nun auch hier, nötigenfalls durch Kündigung, seine Freiheit zurückgewinnen. Demgemäss wird der Schweiz vorgeschlagen, den bestehenden Handelsvertrag in dem Sinne abzuändern, dass entweder die Tarifanlagen beseitigt oder aber mindestens jedem Partner das Recht gegeben wird, von jeder ihn hindernden Zollbindung innert zwei oder spätestens innert vier Wochen zurückzutreten.
Elbel gibt zu, dass noch vollkommen ungewiss sei, ob und eventuell in welcher Weise die französische Regierung die derart gewonnene «liberté tarifaire» ausnützen würde. Die grosse Mehrzahl der konsultierten Industrieverbände hat erklärt, dass sie gegenwärtig überhaupt gegen jede Aufhebung der Kontingentierungsmassnahmen sind oder aber an Stelle der Einfuhrbeschränkungen Zölle treten müssten, die ein Mehrfaches der heutigen betragen. Hiegegen bestehen selbstverständlich grosse Bedenken innerpolitischer Natur, so dass die Fräge noch umstritten und unabgeklärt ist. Aber, fügte er immer und immer wieder als dominierendes «Argument» bei: Die Regierungen haben dem Parlament die Tariffreiheit versprochen und müssen dieses Versprechen halten.
Direktor Stucki hat auf diese Darlegungen folgendes geantwortet: Die Schweiz hat seinerzeit Frankreich vorgeschlagen, mit Rücksicht auf die relativ normal gebliebenen innern und gegenseitigen Beziehungen der beiden Länder, von der Anwendung von Kontingentierungsmassnahmen, die für beide Teile gegenüber DrittStaaten unumgänglich notwendig sind, abzusehen. Frankreich glaubte diesen Vorschlag nicht annehmen zu können, weil es mit bezug auf die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel in Kontingentierungsfragen einer durchaus schematisch-proportionellen, von der Schweiz nicht geteilten Auffassung war. Man sieht offenbar auch in französischen Wirtschaftskreisen immer mehr ein, dass diese Auffassung fehlerhaft war und ist, was sich in einem Sturm gegen die Meistbegünstigungsklausel überhaupt äussert und bereits zu einer wenn auch geringfügigen Einschränkung im Verhältnis zu Deutschland und ändern Staaten geführt hat. Wie dem auch sei, für die schweizerische Haltung ist absolut bestimmend und ausschlaggebend, ob unsere Ausfuhr nach Frankreich beibehalten und wenn möglich gefördert werden kann. Bei den heutigen französischen Zöllen, die meist wesentlich höher sind als die unsrigen, ist uns ein gewisses Geschäft möglich, obschon die auch auf uns angewendete Kontingentierung gewisse Schwierigkeiten bietet. Weil die Schweiz teurer produziert als die meisten ändern Staaten, namentlich auch als Frankreich selber, sind die Geschäftsmöglichkeiten und namentlich die Verdienstmargen klein. Ist nun die «liberté tarifaire» ein Schlagwort, das nur psychologische und innenpolitische Bedeutung hat, so kann man uns nicht zumuten, deshalb ganz bedeutende wirtschaftliche Interessen preiszugeben. Das schweizerische Parlament, welches zu einer solchen Änderung des Handelsvertrages einzig zuständig wäre, würde sich niemals zu einer solchen Manifestation bereitfinden. Ist aber die «liberté tarifaire» ernsthaft gemeint und soll sie ausgenützt werden, so entsteht folgende Situation: Eine geringfügige Erhöhung der Zölle, die vielleicht da und dort von der Schweiz aus noch erträglich schiene, hätte vom französischen Standpunkt aus weder Sinn noch praktische Bedeutung. Die Zollerhöhung müsste so beträchtlich sein, dass sie gegenüber der für Frankreich gefährlichen Konkurrenz, namentlich aus Deutschland und aus Ländern, deren Währungen entwertet sind, wirksam wäre und ganz oder zum Teil die aufzuhebenden Einfuhrkontingentierungen ersetzen könnte. Wir haben auf diesem Gebiet zahlreiche Erfahrungen gemacht und gesehen, dass in den meisten Fällen auch eine Verdoppelung und Verdreifachung der Zölle gegenüber dem ungeheuren Expansionsdrang von Deutschland unwirksam bleibt. Würden also die Zölle auf diese an sich einzig sinngemässe Höhe erhöht, so würde für die Schweiz jede weitere Möglichkeit der Ausfuhr ihrer Waren nach Frankreich dahinfallen. Verliert aber die Schweiz ganz oder zum grössten Teil ihren Export nach Frankreich, so ist die unvermeidbare Folge die, dass wir auch den Import französischer Waren nicht mehr dulden könnten. Der ganze Handelsvertrag hat für uns ohne Tarifsicherungen, die zu praktischen Sicherungen für den Export geworden sind, keinen Sinn und keinen Wert und wir müssten, da wir - im Gegensatz zu Frankreich - noch durch zahlreiche andere Tarifabreden gebunden sind, mit der Aufhebung der Tarifanlagen auch den Rest des Vertrages, namentlich die Meistbegünstigung, beseitigen. Die Folge ist mit mathematischer Sicherheit die, dass aus einer solchen Aktion nicht nur keine wirtschaftliche Annäherung zwischen der Schweiz und Frankreich resultiert, sondern dass die zwischen zwei befreundeten Ländern, die zu den ganz wenigen gehören, welche sich wirtschaftlich, finanziell und monetär noch in einigermassen geordneten Verhältnissen befinden, bestehenden Beziehungen vollständig abgebrochen würden und ein eigentlicher Zoll- und Handelskrieg daraus resultieren würde. Dazu kann die Schweiz niemals Hand bieten und muss Frankreich die Verantwortung überlassen.
Herr Stucki ist nach wie vor der Meinung, dass die französiche Handelspolitik vollkommen festgefahren ist und wir uns auf gar keinen Fall der französischen Forderung beugen dürfen. Auch wenn, was für ihn nicht wahrscheinlich ist, die Kündigung wirklich ausgesprochen werden sollte, so glaubt er niemals daran, dass Frankreich nach Ablauf der Frist nicht wieder verlängern oder sich nicht in anderer, für uns erträglicher Weise mit uns verständigen würde. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, so wäre unsere Situation mindestens nicht schlechter, als wenn wir heute schon auf die französischen Wünsche eintreten würden.
Gestern Abend teilte der französische Geschäftsträger dem Minister de Stoutz3 mit, seine Regierung habe sich schliesslich bereit erklärt, auf eine sofortige Kündigung zu verzichten und neue Verhandlungen aufzunehmen. Sie mache aber zur Bedingung, dass die Kündigungsfrist um soviel verkürzt werde, als diese Verhandlungen dauern. Direktor Stucki, den Herr de Stoutz davon unterrichtete, machte darauf aufmerksam: 1. dass nun die Verhandlungen erschöpft seien und er nicht einsehen könnte, welchen Sinn ihre Weiterführung hätte; 2. dass Frankreich offenbar davor zurückschrecke, das Odium einer Kündigung auf sich zu nehmen, und wir kaum einen Grund hätten, ihm die Tragung seiner Verantwortlichkeit zu erleichtern; 3. dass die sechsmonatliche Kündigungsfrist Bestandteil des vom Parlament ratifizierten Vertrages sei und ohne dessen Zustimmung seines Erachtens nicht verkürzt werden könnte.
Der Vorsitzende meint auch, dass wir keinen Anlass haben, nachzugeben. Bezugnehmend auf eine Bemerkung des Vorstehers des Politischen Departementes gibt er zu, dass eine Kündigung des Handelsvertrages gerade vor der Eröffnung der Londoner wirtschaftlichen Konferenz, die unter dem Zeichen einer «trêve douanière» stattfinden soll, ein gewisses Aufsehen erregen dürfte. Die Verantwortung würde aber in keiner Weise auf die Schweiz fallen.
Auf seinen Antrag wird daher beschlossen.
1. Die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Zwecke der kurzfristigen Lösung der gebundenen Zollpositionen wird abgelehnt.
2. Die Schweiz ist bereit, mit Frankreich über einzelne Positionen zu verhandeln.
3. Die Aufnahme von Verhandlungen unter der Bedingung, dass die Kündigungsfrist des Handelsvertrages verkürzt werde um die Zeitspanne, die die Verhandlungen erfordern, wird abgelehnt.
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