Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 245
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1534#2381* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1534 130 | |
Dossier title | Guggenheim, Willy; Bloch, Max (1933–1935) | |
File reference archive | B.73.3.1 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/45787
Ich hatte mit Staatssekretär von Bülow eine eingehende und, ich darf sagen, ernste Besprechung 2.Nach Kenntnisgabe des im Wortlaute beigeschlossenen Pro Memorias3 und weil ich die Einstellung verschiedener Herren im Auswärtigen Amte zu kennen glaube, erklärte ich vorerst Herrn von Bülow, dass ich dem Amte selbst keine unnötigen Ungelegenheiten zu verursachen wünsche und deshalb bereit sei, mich mit ihm über das formelle Vorgehen zu verständigen, das auch ihm am geeignetsten scheine, weiteres und grösseres Unheil zu verhüten.
Ich setzte dem Staatssekretär auseinander, dass seit einiger Zeit schon in schweizerischen insbesondere jüdischen Kreisen Befürchtungen laut geworden seien, dass ihre herkömmliche Sicherheit in Deutschland nicht mehr gewährleistet sein könnte. Wir hätten, weil es, solange möglich, unsere Pflicht war, zu beruhigen gesucht in der Überzeugung, dass es in der Tat den deutschen Behörden gelingen würde, den Ausländern den nötigen Schutz in jeder Beziehung angedeihen zu lassen. Jetzt hätten wir das befürchtete typische Vorkommnis. Es sei zwar der erste uns zur Kenntnis gekommene Fall; aber die derzeitige, sich täglich verschärfende Lage sei doch wenig geeignet, uns für alle unsere Landsleute die wünschbare Beruhigung zu verschaffen.
Ich fuhr weiter, ich müsste beim ersten sich ereignenden Falle die Konsequenzen von weitern ähnlichen Vorfällen ins Auge fassen, und da sähe ich eine wirkliche Gefahr für unsere gegenseitigen ausgezeichneten Beziehungen. Wir könnten in der Schweiz Bedrohungen und Belästigungen unserer Landsleute in Deutschland, die Gefährdung ihres Lebens und ihres Gutes durch mehr oder weniger offizielle oder doch offiziell beschützte Organisationen unter keinen Umständen hinnehmen. Die Rückwirkungen müssten bei uns, mit den 140000 Deutschen, die 3 bis 4% unserer Bevölkerung darstellen, eigenartig weitgehende sein. Ich versicherte wiederholt, vor allem die Sorge um die Erhaltung ungetrübter Beziehungen, deren wir mehr denn je bedürften, veranlasste mich, in so eindringlicher Weise mit ihm zu reden. Es scheine mir unsere gemeinsame Pflicht zu sein, da unbedingt den allerersten Anfängen zu wehren.
Herr von Bülow, mit dem man sich in der ruhigsten und verbindlichsten Weise unterhalten kann, hörte mich aufmerksam und im grossen und ganzen zustimmend an. Er erklärte gleich, mein Schritt sei nicht der erste dieser Art. Andere Vorstellungen des Auslandes seien schon erfolgt und zur Kenntnis der zuständigen Stellen gebracht worden. Das Verhalten vieler Braunhemden4 entspreche keineswegs dem Willen ihrer Führer, insbesondere des Reichskanzlers5. Dieser habe eben neue genaue Befehle erlassen und, für den Fall von Widerhandlung, mit schärfsten Massnahmen gedroht. Man dürfe sich davon Mässigung und Beruhigung versprechen, namentlich wenn die bevorstehenden Kommunalwahlen ebenfalls vorbei sein werden. Er hoffe zuversichtlich, die Ausländer, die sich richtig aufführten, würden zu keinen weitern Klagen Anlass haben.
Als Herr von Bülow im Laufe des Gespräches bemerkte, es könnte schliesslich in jedem Lande sich ereignen, dass ein Ausländer einmal in solcher Weise zu Schaden komme, erwiderte ich, das gäbe ich ohne weiteres zu, auch in der Schweiz könne gelegentlich ein Deutscher überfallen werden, nicht aber von staatlich bewilligten und benutzten Organisationen. Damit verband ich die Frage, als was wir eigentlich uniformierte Braunhemden oder Stahlhelmleute6 anzusehen hätten, als Beamte oder Privatpersonen oder ein neuartiges Zwischending. Ich könnte, erwähnte ich, in die Lage kommen, darüber z. B. unsere Konsulate oder einzelne Landsleute aufzuklären. Dem Staatssekretär schien meine Frage nicht gelegen zu kommen. Jedenfalls erhielt ich keine eindeutige Anwort. Er erklärte nur, eigentlich amtliche Funktionen dürften solche uniformierte Leute nur vornehmen, wenn sie die weisse gestempelte Armbinde mit der Aufschrift «Hilfspolizei» trügen. Sonst bestehe keine Verpflichtung, allfälligen Weisungen ihrerseits Folge zu geben.
Auf meinen ausdrücklichen Wunsch willigte der Staatssekretär ohne weiteres ein, dass meine Vorstellung - die, wie ich versicherte, im Sinne des Bundesrates erfolge, obwohl ihm das Vorkommnis selbst noch nicht bekannt sei - dem Reichskanzler zur Kenntnis gebracht werde.
Ich entsprach dann auch dem von Herrn von Bülow ausgesprochenen Wunsche, die im letzten Satze des beiliegenden Memorandums in Klammern gesetzten Worte fallenzulassen. Er meinte, eine solche Verallgemeinerung des Schutzbedürfnisses aller Schweizer in Deutschland scheine nach dem Einzelfall und auch nach den bereits ergangenen Weisungen nicht erforderlich. Ich fügte nur bei, ich hoffe nicht, durch einen neuen Vorfall gezwungen zu sein, hierauf zurückzukommen.
Die folgende kurze Unterhaltung in der gleichen Sache mag Sie noch interessieren.
Gestern abend machte ich bei einem gesellschaftlichen Anlasse zufällig die Bekanntschaft eines der engsten Mitarbeiter des Reichskanzlers, seines ständigen Wirtschaftsberaters7. Wir sprachen auch etwas von Wirtschaft, und er meinte dann, ich selbst hatte wohl hier keine ändern als wirtschaftliche Sorgen. Ich antwortete, diese würden mir allerdings vollauf genügen, aber man scheine es nun doch zustande zu bringen, mir noch andere Ungelegenheiten zu bereiten; so hätte ich eben den ersten zerschlagenen Kopf einer meiner Landsleute zu sehen bekommen. Der andere frug: Wer hat denn das angerichtet? - Ich gab trocken zurück: Doch Ihre eigenen Leute. - Nachdem ich den Vorfall kurz erzählt hatte, meinte auch der Hitlerianer, bei einer so gründlichen Umwälzung müsse man verstehen, dass so etwas geschehen könne. - Ich muss, antwortete ich, in der Tat feststellen, dass so etwas passieren kann; es darf sich aber nicht wiederholen; und das zweckmässigste Mittel dazu wäre offenbar exemplarische Bestrafung. - Der Mitarbeiter Hitlers gab das auch zu und frug noch, ob ich etwa wegen dieses Vorfalles einen amtlichen Schritt zu unternehmen gedenke. Ich liess mich natürlich nicht bitten, ihm zu sagen, dies sei bereits in die Wege geleitet und ich werde am folgenden Vormittag den Staatssekretär im Auswärtigen Amte sprechen. Auf die Bemerkung des Vertrauensmannes Hitlers, er wäre gerne bereit, letzteren von meiner Mitteilung zu unterrichten, erwiderte ich selbstredend, das könne mir nur recht sein.
So habe ich allen Grund anzunehmen, dass das unserem Landsmanne zugestossene Missgeschick in Regierungskreisen Beachtung finden wird.
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German Realm (Politics) Swiss citizens from abroad