Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 10, doc. 241
volume linkBern 1982
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#118* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Titre du dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 34 (1933–1933) |
dodis.ch/45783
Letzten Montag abend befand ich mich, in kleinerem Kreise zum Abendessen eingeladen, beim Oberbürgermeister von Berlin2, als er wegen des brennenden Reichstagsgebäudes alarmiert wurde. Er begab sich unverzüglich in Begleitung des ebenfalls anwesenden neuen Stadtkommandanten3, auf die Unglücksstelle. In dem Masse, wo in einem solchen Augenblick eine nicht ganz ernste Bemerkung noch statthaft sein mochte, bat ich die beiden Herren, doch auch ein wachsames Auge für unsere Gesandtschaft zu haben, die sich in nächster Nähe des Reichstagsgebäudes befindet, und mich nötigenfalls zu mobilisieren. Als die Herren nach einer Stunde zurückkamen, konnten sie bereits mitteilen, dass der Brand eingedämmt sei, aber unzweifelhaft Brandstiftung vorliege. In jenem Zeitpunkt wurde der Einsturz der mächtigen Kuppel, die sich über dem ausgebrannten Sitzungssaale wölbt, als wahrscheinlich betrachtet. Bei meiner Rückkehr nach Hause konnte ich indessen feststellen, dass die Kuppel den verheerenden Elementen standgehalten hatte. Unter den Gästen des Oberbürgermeisters befand sich auch der Reichsaussenminister4. Er zeigte sich besonders betroffen und meinte, die Reaktion des Auslandes, vornehmlich der Börsen, dürfte am nächsten Morgen kaum ausbleiben.
Ich war, unter dem unmittelbaren Eindrücke dieses aufsehenerregenden Ereignisses, bereits am Dienstag im Begriff, Ihnen zu schreiben, dies um so mehr, als in der letzten Zeit immer wieder die Frage in mir aufstieg, ob die Regierung denn nicht mit dem Feuer spiele. Nun hatten wir das erste Feuer auflodern sehen, dem die weitestgehenden Abwehrmassnahmen augenblicklich folgten. Welches waren aber die Schlüsse, die ich Ihnen gegenüber aus dieser aussergewöhnlichen, trotz allem überraschenden Lage ziehen sollte? Das war mir während der beiden letzten Tage ganz unklar, und heute noch darf ich kaum mehr behaupten, als dass es in mir zu dämmern anfängt. Aber heute noch muss ich zum Teil auf Tatsachen abstellen, die nachzuprüfen ich derzeit nicht in der Lage bin.
Gestern abend hat die Regierung amtlich bekanntgegeben, dass sie dafür unwiderlegbare Beweise in ihren Händen habe, dass man in Deutschland am Vorabend des Ausbruches der kommunistischen Revolution sich befunden habe. Vielerorts waren am Dienstag und noch gestern in dieser Beziehung Zweifel geäussert worden. Wenn man zwischen den Zeilen mehrerer bedeutender Zeitungen zu lesen sich bemühte - und anders sind gewisse Artikel heute überhaupt nicht zu lesen -, so entdeckte man die verschleierte Frage, ob es sich bei der Brandlegung im Reichstagsgebäude nicht um eine provokatorische Missetat handeln könnte. Ich weiss auch, dass manche Ausländer in Berlin zu einer derartigen Auffassung stark zu neigen schienen. Wie hätten die Kommunisten und die sonst klugen Moskau er so politisch widersinnig handeln können? - Demgegenüber konnte man aber alsbald ein wenden: Wie hätte eine vielleicht von leitenden Männern gebildete Herausforderung eine solche Form annehmen können? Ein schlecht gezielter Schuss auf den höchsten Führer wäre denn doch das Gegebenere gewesen.
Sagt nun die Regierung die ganze oder doch mehr als die halbe Wahrheit - und das muss man mit der Grosszahl der Bevölkerung bis zu anderer Belehrung wohl annehmen -, so befindet man sich vor einer vollkommen veränderten Lage gegenüber der, die ich Ihnen vor Montag abend auseinanderzusetzen versucht hätte.
Drohte hier nachgewiesenermassen bolschewistischer Terror und kommunistische Revolution, so zweifle ich nicht, dass die Regierung in ihrer unerschrockenen Gegenwehr die Billigung und die Unterstützung des Volkes in seiner grossen Mehrheit finden wird. Hätte die Regierung einer Ermunterung bedurft, so fände sie sie in dieser Überlegung. Sie besass bereits die staatlichen Machtmittel in vollem Masse. Gehemmt, stark gehemmt, mochte sie sich fühlen in ihrer etwas gewalttätigen Art durch Recht und Verfassung.
Auch das System der Notverordnungen behielt seine Grenzen, gezogen insbesondere durch die Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes und die Selbständigkeit der Länder. Bei dem jetzt von der Regierung festgestellten Zustande, d.h. dem ausgesprochenen Notstände des Staates, gibt es tatsächlich keine verfassungsrechtlichen Schranken mehr, mit Recht, wenn man jenen Notstand als bestehend ansehen soll; denn schliesslich ist die Verfassung für den Staat da und nicht umgekehrt. Das muss auch ein Schweizer empfinden, dass der Staat nicht einwilligen darf, an seiner eigenen Verfassung zu Grunde zu gehen.
Wenn man auch diesen grundsätzlichen Standpunkt einnimmt und somit der Regierung diktatorische Befugnisse zuerkennt, so muss man sich aber erst recht fragen, welchen Gebrauch sie von einer solchen Machtfülle machen wird. Herr Bundesrat, wenn Sie mich hier unterbrechen und mich auffordern zu sagen, was ich dazu meine, so befinde ich mich in grösster Verlegenheit. Bis zum Beweise des Gegenteils sollen wir ja an die Weisheit, die Ein- und Vorsicht einer Regierung glauben dürfen, und ich soll wohl und möchte auch diesen Glauben behalten gegenüber der Regierung, mit der ich mich zu verständigen habe.
Wenn Sie aber alles vernehmen würden, was man hier zu hören bekommen kann, wenn man bisweilen die Ohren spitzt, womit einem aufgewartet wird, wenn man sich gelegentlich begierig zeigt, belehrt zu werden! Ich würde mir gar nicht erlauben, hier Vormerk zu nehmen von allem Klatsch und Unsinn, der mir von all den Unberufenen und Ununterrichteten entgegenströmt. Aber wenn ich, wie gestern, längere Zeit zusammensitze mit einem wahrhaftigen Staatssekretär5, dem engsten Mitarbeiter eines der Reichsminister6, und ich aus seinem Munde, unter vielem anderem, Eröffnungen vernehme wie folgende? - Ich mache eine vorsichtige Anspielung auf die Länder, wie Bayern, die stetsfort an einer gewissen Selbständigkeit zu hängen scheinen. Antwort: «Wissen Sie, wessen Leben heute in Deutschland am dünnsten Faden hängt? Wenn der bayerische Ministerpräsident Held in seiner Haltung verharrt, so verfällt er nach der heutigen Notverordnung ohne weiteres dem Todesurteil.» - Ich erwähne das Zentrum als nationale, staatserhaltende Partei. Erwiderung: «Das Zentrum hat doch während Jahren die Sozialisten angesteckt und die Sozialdemokratie vollends verführt.» Ich insistiere leicht und bemerke, dass das Zentrum immerhin auch im Ausland als Partei von einiger Bedeutung angesehen wird. Eigenartige Zustimmung: «Ganz recht, es ist eine internationale Partei, und deshalb gilt uns der Vatikan nicht mehr als Judas.» Diese Stichproben werden Ihnen genügen. Tragisch will auch ich derartige Auslassungen nicht nehmen; trotzdem kann man schwerlich umhin, ein Weilchen darüber nachzudenken. Politisch sollte wenigstens daraus der Schluss gezogen werden können, dass man in den massgebenden Kreisen vorderhand nicht beabsichtigt, die Beteiligung des Zentrums an der Regierung nachzusuchen.
Nun gerade in dieser Hinsicht ein anderes Echo. Vor einigen Tagen, allerdings vor dem Brande, unterhielt ich mich neuerdings mit dem frühem Reichsbankpräsidenten Schacht. Er spricht mich also an: Nun, wie gefällt es Ihnen in unsern Berlin er Sümpfen? - Seitdem man nicht mehr groben Sauen begegnet, lässt sich hier doch gut leben, gab ich zur Antwort. - Ich hatte, einmal zum Glück, die Zeitungen gelesen und durch sie vernommen, dass tags zuvor der Vorsitzende der bayerischen Volkspartei, eigentlich der Zentrumspartei Bayern s, in einer Wahlrede daran erinnert habe, dass zu einer Zeit, da in Bayern die Münster schon gen Himmel strebten, in den Sümpfen, wo heute Berlin sich bettet, die Wildschweine sich gütlich taten. - Eine rechtsstehende Berlin er Zeitung gab am nächsten Morgen Herrn Schäfer dieses Echo zurück: Der Wildschweinjäger habe zwar eine Vorliebe für grobe Sauen; in der Politik aber seien diese von Schaden. - Nun sagte ich Herrn Schacht, derlei Rededuelle wären gewiss belustigend, wenn sie nicht auf so ernste Meinungsverschiedenheiten hinwiesen. - «Ernst», meinte Herr Schacht, «glauben Sie nur das nicht; die Herren sind viel näher von einander, als man es sich vorstellt.» - Wie soll man da klug oder klüger werden?
Hat es bei der heutigen Sachlage einen Sinn, von den Reichstagswahlen vom nächsten Sonntag7 zu reden? Vor letzten Montag abend hätte ich daran erinnert, dass Regierungsmitglieder mehrmals erklärt haben: 1) dass die Wahlen der Regierung eine sichere Mehrheit bringen werden und 2) dass sie übrigens einer Mehrheit gar nicht bedürfe, sondern unter allen Umständen am Ruder bleiben werde. Letzteres konnte bereits damals als sicher gelten und ist heute mehr denn je unzweifelhaft. Ersteres mochte, je nachdem, wie es gemeint war, schon zuvor zutreffen; heute kann es wohl nicht anders sein. Man erwartet in der Tat, dass die gewählten kommunistischen Abgeordneten, infolge dieser oder jener Entscheidung, bei der Ermittlung einer Mehrheit überhaupt nicht mitgezählt werden. Damit fiele das absolute Mehr auf 240 bis 250. Die Nationalsozialisten haben heute 196 und hatten im Juli 1932 bereits 230 Stimmen inne. Die Möglichkeit, dass sie diesmal auf 250 aufrunden und demnach ihre Partei allein schon die absolute Mehrheit erreicht, mag ja vorhanden sein. Wenn nicht, so werden zweifellos die fehlenden Mandate durch die sog. schwarz-weiss-rote Kampffront eingebracht.
Es gilt als nicht unwahrscheinlich, dass zwischen der Stimmenzahl, welche die beiden Regierungslisten auf sich vereinigen werden, eine Art wechselseitiges Verhältnis wird festgestellt werden können, d.h. dass Stimmen, die der einen Liste verlorengehen, der ändern zugute kommen werden; und zwar ist zu erwarten, dass die Nationalsozialisten den Deutschnationalen, also der schwarz-weiss-roten Front, etliche Mandate abnehmen werden. Obwohl die beiden Richtungen vorderhand in der Regierung vereinigt sind, so trauen sie sich gegenseitig nicht besonders, und das wird weniger im Wahlkampfe selbst als wahrscheinlicher im Ergebnisse der Wahlen zum Ausdruck kommen. Ich weiss, dass gewiegte Politiker immer noch nicht begreifen, wie es zur Mixtur vom 30. Januar8 kommen konnte, und weiterhin nicht einsehen, wie ein gemeinsames erspriessliches Regieren von zwei Richtungen bewerkstelligt werden soll, die vorab in wirtschaftlicher, aber auch anderer Hinsicht entgegengesetzten Auffassungen huldigen. Das empfinden natürlich auch die Nationalsozialisten, und deshalb trachten sie unentwegt nach einer ungeteilten Mehrheit.
Würden sie nun allein, mit allen Vollmachten ausgestattet und allen Verantwortlichkeiten belastet, auf die Dauer der Herrschaft behalten können? Entscheidend scheint mir heute, ich wiederhole es, für die Beantwortung dieser Frage die Beantwortung jener ändern, ob der Nationalsozialismus Deutschland vor dem Bolschewismus gerettet hat. In dieser Hinsicht - nicht aber in mancher ändern - könnte ich eine grosse Analogie erblicken mit der Machtergreifung des Faschismus in Italien. Auch da konnte sich in entscheidender Stunde der Faschismus nur deswegen durchsetzen und halten, weil er glaubhaft nachzuweisen imstande war, dass er Italien vor der sozialen Revolution bewahrt hatte. Allerdings war ein solcher Nachweis in Italien leichter wegen des wahrhaft internationalen Charakters seines Sozialismus, im Gegensätze zum deutschen, der sich, entgegen den unrichtigen heutigen Behauptungen des Nationalsozialismus, als vornehmlich national erwiesen hat.
Ich bin anderseits überzeugt, dass die Stellung einer rein nationalsozialistischen Regierung in Deutschland gegenüber dem Ausland eine ganz verschiedene sein würde, je nachdem sie die Macht mehr oder weniger usurpiert hätte oder im Gegenteil als Retter unserer Zivilisation erscheinen würde. Im letztem Falle könnte sie auf unerwartete Sympathien rechnen, und ihre Haltung dürfte auch im Ausland nicht ohne gewisse bemerkenswerte Rückwirkungen bleiben, vielleicht bis in unser eigenes Land hinein.
Wenn sich aber der Nationalsozialismus durch eine unberechtigte gewaltsame Machtergreifung von vornherein ins Unrecht setzen und die schärfste Opposition breiter Massen im Lande selbst herausfordern würde, dann könnte ich schwerlich an den schliesslichen Erfolg einer solchen Regierung glauben. Die baldige wirtschaftliche Wiederaufrichtung, auf die keine Regierung verzichten kann, sähe sich durch die innern und äussern Widerstände vereitelt. Aber nicht nur das; diese allseitigen, tatsächlich übereinstimmenden Widerstände wären geeignet, auch aussenpolitisch Deutschland im höchsten Grade zum Schaden zu gereichen.
Ich habe in frühem Berichten die Auffassung durchblicken lassen, dass in meinen Augen der jetzige Zeitpunkt für Deutschland aussergewöhnlich günstig sei, um sich fast unbehindert gewisser Fesseln nach aussen zu entledigen. Eine nationalsozialistische Regierung, die im Innern aufs heftigste befehdet würde, könnte sich in jener Beziehung sehr rasch einer geänderten Lage, d. h. unbedingten äussern Widerständen, gegenübergestellt sehen. Ich weiss zwar nicht, ob ich von hier aus mir da ein richtiges Urteil bilden kann; mir wollte es in letzter Zeit scheinen, dass die deutsche Vertretung an der Abrüstungskonferenz politisch bereits isolierter dastand als zuvor. Und dass gewisse Mächte eine derart veränderte Situation zu ihren Zielen auszunutzen bereit wären, daran wäre kaum zu zweifeln.
Was im besondern das Verhältnis Deutschlands zu Moskau anbelangt, so kann man sich füglich fragen, was unter Umständen daraus werden könnte. Ich besitze vorderhand darüber keine Informationen, behalte aber diese sehr wichtige Frage im Auge. Auf den ersten Blick könnte man einen offenen Bruch für möglich, wenn nicht wahrscheinlich halten. Die wirtschaftlichen Interessen zwischen den beiden grossen Ländern sind aber wohl zu bedeutend und gleichzeitig verquickt, als dass da irgendwelche überstürzte Entscheidungen zu gewärtigen wären.
Noch eine Bemerkung.
Ich habe aus verschiedenen Besprechungen die Überzeugung gewonnen, dass die Nationalsozialisten ganz allgemein, vor allem aber ihre Führer, einer monarchistischen Restauration durchaus abhold sind. Wir stellen also auch hier eine grundlegende Meinungsverschiedenheit fest mit massgebenden deutschnationalen Persönlichkeiten.
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