Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 10, doc. 216
volume linkBern 1982
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#117* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 63 | |
Titolo dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 33 (1932–1932) |
dodis.ch/45758 Le Ministre de Suisse à Berlin, P.Dinichert, au Chef du Département politique, G. Motta1
f.J
Das Gesuch Papens2 um Entlassung war allerdings von vielen prophezeit worden; heute wollen es sogar alle getan haben. Aber nicht zahlreich waren die, welche einen bestimmten Zeitpunkt dafür angegeben hatten, und kaum jemand wagte zu präzisieren, wie sich der Reichspräsident3 zu einem solchen Begehren stellen würde. Und wenn wir dies nun auch vorläufig wissen, so darf wiederum kaum einer mit Bestimmtheit Voraussagen, wohin die derzeitigen Verhandlungen mit und zwischen den Parteien führen werden und insbesondere was ferner geschehen würde, wenn durch diese Besprechungen die allerdings mit Nachdruck verfolgte «nationale Konzentration» nicht erreicht werden sollte.
Nach allem, was ich gelesen und mehr noch gehört habe, muss ich mir aber doch erlauben, hier einige persönliche Eindrücke wiederzugeben.
Es ist undenkbar, dass der Reichspräsident nicht den Wunsch, ja den festen Willen hätte, aus der jetzigen auf die Dauer wohl unhaltbaren Lage herauszukommen und wiederum mit Parlament und Volk zu regieren. Aber ebenso entschlossen dürfte er weiterhin sein, nur einer ihm tauglich scheinenden Regierung sein Vertrauen zu geben. Dafür fühlt er sich, offenbar mit Recht, immer noch stark genug. Und als tauglich betrachtet er, das weiss man heute, eine Regierung der sogenannten nationalen Konzentration. Dazu gehören, wie Sie wissen, die Nationalsozialisten, das Zentrum mit der bayerischen Volkspartei und die Rechtsparteien. Das Entscheidende ist heute eine Verständigung zwischen Nationalsozialisten und Zentrum mitsamt Bayerischer Volkspartei. Diese Parteien verfügen im Reichstag über ca. 285 Stimmen, bei einem absoluten Mehr von 293 Stimmen. Dazu könnten sich noch die zwei Stimmen der Wirtschaftspartei und vielleicht Stimmen aus der Deutschen Volkspartei gesellen. Die Deutschnationalen hatten es als einen Sieg gefeiert, dass die Reichstagswahlen vom 6. November ihnen mit der Deutschen Volkspartei zusammen 63 Mandate gesichert haben, womit sie das vielgenannte Zünglein an der Waage in ihren Händen hätten. Ich möchte es indessen für ausgeschlossen halten, dass die Deutschnationalen es heute wagen dürften, die nationale Konzentration zu vereiteln zu suchen. Der Gedanke, dass sie daran denken könnten, liegt nahe, da sie sich für den Augenblick offenbar nichts Besseres zu wünschen wüssten als die Wiederberufung des Ministeriums Papen oder seine zeitlich unbeschränkte Erhaltung als geschäftsführendes Kabinett. Die Deutschnationalen mögen auch darauf spekulieren, dass ihre Denkensart und politischen Anschauungen Herrn von Hindenburg weder fremd noch unsympathisch sind.
Aber, andere Belehrung Vorbehalten, muss ich den Reichspräsidenten für einsichtiger halten. Die Deutschnationalen haben wohl den Vorzug, dass sie wissen, was sie wollen, und unter sich geschlossen sind; aber ihr Anhang in breiteren Massen ist zu klein, als dass man sich im jetzigen kritischen Augenblicke von ihnen, gegen alle anderen Parteien, entscheidend beeinflussen lassen könnte.
Die Nationalsozialisten sind stark sowohl durch die Zahl ihrer Stimmen - über ein Drittel des Reichstags - als dadurch, dass eine regierungsfähige Mehrheit gegen sie nicht auszudenken ist. Aber wohlverstanden, allein werden sie nicht zur Macht zugelassen. In seinem offenbaren Entschlüsse, dies nicht zuzulassen, kann sich das Staatsoberhaupt auf die gewaltige Mehrheit des Volkes stützen. Heute hat es ja den Anschein, als ob die Nationalsozialistenführer dies richtig eingesehen hätten und daraus die Konsequenzen zu ziehen sich anschickten.
Dem Zentrum dürfte in der gegenwärtigen Lage eine besonders wichtige Rolle zufallen, aber auch die entsprechende Verantwortung; und seine Führer scheinen sich des einen und des anderen bewusst zu sein. Ohne die Beteiligung dieser Partei ist die nationale Konzentration ebenfalls ausgeschlossen. Ihre entschiedene und endgültige Absage an Herrn von Papen dürfte für diesen ein um so empfindlicher, wenn auch nicht ganz unerwarteter Schlag gewesen sein, als sie mehr persönlicher denn politischer Art ist und vielleicht gerade deswegen auf den Reichspräsidenten einen tiefen Eindruck zu machen geeignet war. Dieser Vorgang zeigt einmal mehr, dass die, durch das seinerzeitige Vorgehen gegen den Reichskanzler Brüning, im Zentrum erregte Missstimmung keineswegs überwunden ist und dieses Vorgehen weiterhin Herrn von Papen zur Last gelegt wird. Ich weiss aus guter Quelle, dass jene Missstimmung im Vatikan nicht minder empfunden wird und man es hier auch an höchster Stelle hat wissen lassen.
Andere Kräfte und Männer sind möglicherweise gleichzeitig am Werke, welche die Lage des Herrn von Papen nicht gerade stärken. Reichswehrminister von Schleicher soll bekanntlich mit Hitler Fühlung behalten haben, wenn auch dementiert wird, dass sie dieser Tage zusammengekommen seien. Auf welcher Basis und unter welchen Voraussetzungen liesse sich ein Zusammengehen dieser beiden eigenartigen Männer erdenken? In der Tat, so sympathisch frisch und offen sich Herr von Papen gibt, so zurückhaltend und unsicher lauten die Urteile über Pläne und Ziele des Generals. Von Herren, die oftmals mit ihm zu tun hatten, vernehme ich sehr übereinstimmend, dass er sehr gescheit und feinfühlig ist und einen ausgesprochenen Sinn für die innere Politik, allerdings weit weniger für die Notwendigkeiten der äusseren Politik besitzt. Als Beweis seiner aussergewöhnlichen Geschicklichkeit wird mir die Sinnesänderung der Reichswehr ihm gegenüber angegeben. In deren Mitte vor kurzem noch wenig geachtet, vielleicht gehasst, soll die ganze Reichswehr jetzt geschlossen hinter ihrem Minister stehen. Letzterer soll sich gegenwärtig durchaus nicht nach dem Kanzlerposten sehnen, wo er sich verbrauchen müsste, sondern eher die Zeit abwarten wollen, wo ihm eine noch entscheidendere Stellung zufallen müsste. Sie sehen, Herr Bundespräsident4, dass dieses Bild nicht ganz demjenigen entspricht, das kürzlich in Bern von gewisser deutscher Seite entworfen worden sein soll. Interessieren mag Sie noch dieser Ausspruch des französischen Botschafters5 mir gegenüber: La désignation du général von Schleicher comme chancelier serait considérée par M. Herriot6, dans sa grande susceptibilité, comme un affront personnel et, peut-être, comme une menace de guerre prochaine!
Dagegen ist man in Kreisen, die sich für unterrichtet halten, der Überzeugung, dass im kommenden Ministerium welches auch der Kanzler sein mag, drei Minister ihr Amt behalten werden: der Reichswehrminister7,
der Aussenminister8
und auch der Finanzminister9. Als Kanzler hält man Hitler für unwahrscheinlich, weil ihn der Reichspräsident nicht wünscht und Zentrum und Nationale, wenigstens bisher, ablehnten. Immerhin dürfte es schliesslich auf das Machtmass ankommen, das der Kanzler Hitler für sich und seine Partei beanspruchen würde.
Was zu gewärtigen ist, wenn trotz dem unbestrittenen guten Willen des Reichspräsidenten, das Parlament zu seinem Rechte gelangen zu lassen, die gesuchte Konzentration scheitert, darüber gehen heute die Meinungen noch vollkommen auseinander, namentlich auch darüber, ob Papen dennoch geht, weil er es sozusagen mit jedermann verspielt hat, oder schliesslich bleibt, weil sich vielleicht keine andere apolitische Persönlichkeit der Wahl des Präsidenten aufdrängt.
Vorstehende kurze Zusammenfassung einiger Eindrücke aus der vorigen Woche war niedergeschrieben, als ich gestern, Montag, mittag vom Reichskanzler empfangen wurde. Der Zeitpunkt dieses Besuches konnte, je nach den Umständen, als ungemütlich oder aber als ausserordentlich günstig angesehen werden. Ein freundlicher Ratgeber hatte mich ermutigt, den Reichskanzler unbefangen ins politische Gespräch zu verwickeln zu suchen, da er gerne spreche, wenn man ihn dazu aufmuntere. Und in der Tat liess sich Herr von Papen kaum bitten, mir in der freundlichsten Art allerlei zu sagen, zwar meist Bekanntes und nicht immer in logischem Zusammenhang. Er sprach offen von der Möglichkeit, dass er ginge, wie auch, dass er weiterhin am Ruder bliebe, ohne dass er deutlich zu erkennen gab, was ihm selbst als das Wahrscheinlichere vorkomme, allerdings, wie mir schien, eher das letztere10. Ich bemerkte gelegentlich, dass ich sogar als Schweizer es wohl verstünde, wenn man in aussergewöhnlichen Zeiten nicht immer mit dem Parlamente regieren könnte, weil selbst Parlamente nicht immer das erforderliche Verständnis aufbrächten; was mir dagegen als schwieriger vorkomme, das sei auf die Dauer zu regieren, ohne sich dabei auf die Mehrheit des Volkes stützen zu können.
Hierauf machte Herr von Papen alsbald eine Parallele zwischen dem deutschen und dem schweizerischen Volke, die natürlich für unsere Verhältnisse sehr günstig ausfiel. Das Volk in Deutschland lasse sich in bedenklicher Weise irreleiten; grosse Massen glauben an die unsinnigen Versprechungen, die es zu hören bekomme, obwohl diejenigen, die sie machen, selbst wüssten, dass sie sie nie halten könnten. So war die Reihe an Hitler gekommen. Und da wollte es der Zufall, dass er eben vom Besuche beim Präsidenten in sein Hotel zurückgekommen war, das in nächster Nähe des Reichskanzleramtes liegt. Seine Getreuen jubelten ihm zu, und die Heilrufe drangen bis zu uns hinauf. «Da können Sie’s hören», sagte der Reichskanzler zu mir; heute ist’s Hosianna; übermorgen schon kann’s ertönen: «Kreuziget ihn.» Ich hätte mir beinahe vorstellen können, dass ich eine sogenannte historische Stunde erlebe. Ich machte auch den Einwand, dass ja die Persönlichkeit des Reichspräsidenten dafür bürge, dass in besonnener Weise regiert werden müsste. Die Erwiderung blieb nicht aus: «Und wenn er morgen die Augen schliesst? Dann übernähme Hitler seine Stellvertretung, und auf wie lange Zeit?»
Diese Gefahr des möglichen Verschwindens Hindenburgs spielt bei allen Spekulationen mit, und deren Erwähnung fehlt sozusagen in keinem politischen Gespräche. Schon wurden gewisse Persönlichkeiten als allfällige Nachfolger öfters genannt. Namen, die am häufigsten wiederkehren, sind die des schon sehr alten Solf, Kaiserlicher Kolonialminister und später Botschafter in Japan, und Petersen, zweiter Bürgermeister von Hamburg. Der Name Schleicher erscheint auch in diesem Zusammenhange.
Herr von Papen hat mir auch von seinem «guten Freunde Herriot» gesprochen. Nun hatte ich ganz zufälligerweise den französischen Botschafter, der unmittelbar vorher bei mir gewesen war, gefragt, ob es eigentlich richtig sei, wie man dies letzten Sommer in Lausanne erzählt hatte11, dass Herr von Papen dem französischen Ministerpräsidenten besonders gut gefallen habe: Oui, pendant trois jours, mais, depuis lors, moins, war die Antwort. - Ich frug weiter, ob es stimme, wie ich es hier gehört hätte, dass Herr von Papen, im Falle seines Rücktrittes, den Pariser Botschafterposten u. U. nicht ausschlagen würde. Die Antwort klang ziemlich wie eine Bestätigung.
Ich verliess Herrn von Papen mit dem Empfinden, einen wirklich flotten Mann gesprochen zu haben, der jedenfalls nicht schuld daran sein kann, wenn man sich mit ihm langweilt. Ob dies der Hauptzug des Mannes sein muss, der heute in Deutschland regieren soll, ist allerdings eine andere Frage.
Bei der augenblicklichen innenpolitischen Lage treten in Gesprächen die Fragen auswärtiger Politik eher in den Hintergrund. Überdies stelle ich fest, dass sich auf diesem Gebiete wenige bewandert zeigen.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 33. Remarque marginale de G. Motta: Interessant! 25.11.32.↩
- 2
- Chancelier du Reich. Il se retire le 17 novembre 1932.↩
- 3
- P. v. Hindenburg.↩
- 6
- E. Herriot, Président du Conseil de juin à décembre 1932.↩
- 7
- K.v. Schleicher.↩
- 11
- Lors de la Conférence sur les réparations et les dettes de guerre.↩
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