Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
6. Chine
6.7. Questions politiques générales
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 10, doc. 130
volume linkBern 1982
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#980* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 431 | |
Titre du dossier | Shanghai, Konsularberichte, Band 2 (1927–1931) |
dodis.ch/45672
Le Gérant du Consulat général de Suisse à Shanghaï, A. Daeniker, à la Division des Affaires étrangères du Département politique1
Das politische Jahr 1931, in welches das Regime Chiang Kai Sheks unter vielversprechenden Anzeichen eingetreten war, hat an Stelle der in Aussicht gestellten Festigung und Erweiterung seines Machtbereichs, der finanziellen Konsolidierung und Modernisierung der Verwaltung unter dem Druck innerer Gegnerschaft, aussenpolitischer Verwicklungen, wirtschaftlicher Krise und natürlicher Katastrophen, für die nach alteingewurzelter chinesischer Anschauung die Regierenden die Verantwortung zu tragen haben, eine durchgreifende Umwandlung der Machtverhältnisse herbeigeführt.
Der am 15. Dezember erfolgte Rücktritt Chiang Kai Sheks von der Präsidentschaft der Nationalregierung, dem Vorsitz im Executive Yuan2 und seinen militärischen Ämtern bedeutet den in folgerichtiger Entwicklung erreichten vollen Erfolg der Bestrebungen der in der Canton-Gruppe vereinigten Kuomintang-Politiker. Es ist bei früherer Gelegenheit darauf hingewiesen worden, dass für die Ausrufung einer sezessionistischen Regierung in Canton, im Mai des Jahres, weder allgemeine politische noch regionale oder wirtschaftliche Gründe massgebend gewesen sind. Die fortschreitende Ausbildung eines persönlichen Regimes innerhalb der Nationalregierung, mit welcher eine Zurücksetzung oppositioneller Elemente, namentlich der Canton-Gruppe, Hand in Hand ging, insbesondere die unter dramatischen Umständen erfolgte Amtsentsetzung und Gefangennahme des Präsidenten des Gesetzgebenden Yuan, Hu HanMin, hatten die Tendenzen des Regierungschefs in einer Weise verdeutlicht, die diesen Elementen eine klare Scheidung und den Austritt aus der Regierung als den sichersten Weg erscheinen Hessen, um ihren persönlichen Einfluss in einem spätem Zeitpunkt wieder zur Geltung bringen zu können. Dabei kam der in Canton ausgerufenen Regierung, die sich bei der Bevölkerung nie einer besondern Beliebtheit erfreut hat, die seit Jahren währende und nie völlig unterdrückte Fehde der militärischen Kwangsi-Clique gegen Nanking zustatten; die Verbindung zwischen diesen in ihren politischen Tendenzen weit auseinandergehenden Gruppen hatte übrigens zu Entzweiungen geführt, die während der kurzbemessenen Existenz der Canton-Regierung mehr als einmal an den Tag getreten sind. Gerade die Ereignisse der letzten Wochen haben indessen deutlich gezeigt, dass es den sezessionistischen Politikern vor allem daran gelegen war, ihren Wiedereintritt in die Nanking-Regierung unter den günstigsten Bedingungen vorzubereiten.
Für die Regierung Chiang Kai Sheks konnte eine Unterdrückung der Sezessions-Regierung des Südens mit militärischer Gewalt schon darum schwerlich in Betracht kommen, weil sie ihr Augenmerk auf die Lage im Nordosten, nämlich die dort liegenden Generale der ehemaligen Koalition Yens und Fengs gerichtet halten musste. Ihre Schwäche zeigte sich in dem nur teilweise erfolgreichen Vernichtungsfeldzug gegen das kommunistische Bandenunwesen in den Provinzen Kiangsi und Hunan; eine weitere Schwächung der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes hatte die beispiellose Wasserkatastrophe des letzten Hochsommers zur Folge. Schliesslich führte die japanische Besetzung der Mandschurei die Notwendigkeit einer unmittelbaren Einigung zwischen Nanking und Canton klar vor Augen. Schliesslich haben die Studenten-Demonstrationen der letzten Wochen die Ereignisse auf die Spitze getrieben und, indem sie die innere Schwäche der Nationalregierung offenbart haben, eine Entscheidung herbeigeführt. An den meisten Universitäten und Mittelschulen der grossen Städte sind die Studenten im Laufe der letzten Woche in Streik getreten und haben beschlossen, in Nanking gegen die schwächliche Politik der Regierung gegenüber Japan zu protestieren. Zu diesem Zwecke wurden die Bahnhöfe besetzt, der ordentliche Bahnverkehr gewaltsam unterbrochen und Eisenbahnzüge requiriert. Eine gleichfalls gegen die Behörden der (chinesischen) Munizipalität von Greater Shanghai in Szene gesetzte Demonstration hatte insofern den grössten Erfolg, als der Bürgermeister, ohne den Studenten Widerstand zu leisten, zur Demission veranlasst und gezwungen worden ist, den für die Verhaftung eines Studenten verantwortlichen Polizeichef seines Amtes zu entsetzen.
Die Zahl der in Nanking zusammengeströmten Demonstranten wird auf über 50000 geschätzt. Auch dort wurde ihren Massenversammlungen, selbst der Verwüstung des von den Beamten verlassenen Gebäudes des Aussenministeriums, kein ernstlicher Widerstand geleistet. Die Frage liegt nahe, weshalb die Regierung die Demonstrationen nicht unterdrückt habe und es vielmehr bei väterlichen Ermahnungen bewenden liess, die ihre Wirkung auf die jugendlichen Heissporne völlig verfehlt haben. Jedoch hätte das bereits unpopulär gewordene Regime durch einen bewaffneten Widerstand sein letztes Ansehen verlieren müssen und die Agitation weiter geschürt, wenn es der, nach Ansicht massgeblicher Kreise, in der Wahl ihrer Mittel missleiteten, aber in ihren Motiven anerkennenswerten Aktion der Jugend des Landes entgegengetreten wäre; durch die Vermeidung blutiger Zusammenstösse hat Chiang Kai Shek, als er die Lage als unhaltbar betrachten musste, sein Prestige am besten gewahrt. Die Demonstrationen waren übrigens nicht gegen seine Person gerichtet; vielmehr war der Zielpunkt der Angriffe der Studenten der neu ins Amt getretene Aussenminister, Dr. Koo, der durch seine nachgebliche Haltung gegenüber Japan, anlässlich der Verhandlungen des Völkerbundsrates in Paris, die Interessen des Landes vernachlässigt habe und deshalb unter öffentliche Anklage gestellt werden müsse.[...]
Der Abdankung Chiang Kai Sheks hat übrigens jede dramatische Note gefehlt; er hat nicht nur die Hauptstadt nicht verlassen, sondern die Absicht bekundet, an den Verhandlungen für die Bildung einer neuen Regierung selbst aktiv teilzunehmen. Sein Weggang wird nicht als endgültiges Verschwinden von der politischen Bühne betrachtet; er dürfte damit rechnen, dass die Nation seiner Fähigkeiten eines entschlusskräftigen Führers auf die Dauer nicht wird entbehren können und dass keine Regierung ihn und seine Gefolgschaft von qualifizierten Militärs und nach modernen Prinzipien ausgebildeten Truppen völlig kaltgestellt sein lassen kann.
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