Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 10, doc. 36
volume linkBern 1982
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#115* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 62 | |
Titre du dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 31 (1930–1930) |
dodis.ch/45578
[...]2 Der überraschende gewaltige Wahlsieg der Nationalsozialisten, einer Partei ohne eindeutiges und einheitliches Programm, lässt sich nur erklären aus der Atmosphäre des hoffnungslosen Pessimismus. Unter dem Druck der Wirtschaftskrise und im Gefühl der politischen Ohnmacht sind weite Kreise irre geworden an Republik, Demokratie und Parlamentarismus und erwarten bessere Zeiten von einem «Dritten Reich», ohne sich von dessen Wesen einen klaren Begriff zu machen. Dabei ist ja die nationalsozialistische Partei an sich keineswegs homogen, indem dem einen der nationale, dem ändern der sozialistische Teil des Programms, letzterer im Sinne des Kampfes gegen das Kapital, als Ziel vorschwebt. Für die deutsche innere und äussere Politik wird es sich fragen, was ihr gefährlicher ist: der Eintritt der Nationalsozialisten in die Regierung und damit zwar die Möglichkeit einer Dämpfung ihrer Töne, aber auch die Gefahr der Unterwühlung des Staatsgefüges durch Besetzung wichtiger Ministerien, oder die wilde Opposition der aussenstehenden starken Partei und damit die Störung der rationalen Regierungsarbeit, eine weitere Verwirrung der Geister und eine ständige Beunruhigung durch Putschgerüchte. Die selbstverständliche Feststellung, dass für eine staatsfeindliche Partei kein Platz in der Regierung sei, hat Hitler durch seine Zeugenaussage im Hochverratsprozess gegen die Ulmer Offiziere3 von seinen Scharen abzulenken versucht, indem er beschwor, dass seine Partei keine Umsturzpläne hege und ihre Ziele einzig auf legalem Wege zu verfolgen gewillt sei. Aber einmal während seiner Einvernahme lässt er sich doch durch sein Pathos verleiten, indem er die Einsetzung eines neuen Staatsgerichtshofes in Aussicht stellt, der den 9. November4 rächen und Köpfe rollen lassen werde. Und der Staatssekretär des Reichsinnenministeriums5 hat, ebenfalls als Zeuge, erklärt, dass diese Amtsstelle sich im Besitze von umfangreichem Material befinde, aus dem sich ergebe, dass die nationalsozialistische Arbeiterpartei schon seit ihren Anfängen umstürzlerische Ziele verfolge. Es ist deshalb zu verstehen, wenn den beruhigenden Erklärungen Hitlers nur bedingter Glaube geschenkt und der zukünftigen Entwicklung der Dinge mit einiger Sorge entgegengesehen wird. Immerhin herrscht in amtlichen Kreisen eine ernstliche Befürchtung eines erfolgreichen Putschversuches nicht. Einmal glaubt man sicher zu sein, einen Versuch glatt unterdrücken zu können und sodann nimmt man an, dass gerade deshalb Hitler seinen Wahlsieg nicht mit einer Schlappe diskreditieren, sondern jedenfalls vorerst suchen werde, ihn durch die Macht der Mandatezahl zu konsolidieren. Darin unterstützt ihn die erfahrungsgemäss stets nach einem überraschenden Siege einsetzende Anziehungskraft des Siegers, die teils von seinem Nimbus und der seinem Erfolge gezollten Bewunderung ausstrahlt, teils aber auch der sehr realen Überlegung entspringt, dass es vorsichtig ist, sich rechtzeitig einer im Aufstieg befindlichen Macht anzuschliessen. Aber auch die Unzufriedenheit der Beamten über die ihnen drohende vermehrte Gehaltskürzung verschafft den Nationalsozialisten sogar aus den Reihen der Diener des Staates Anhänger, weil sie hoffen, dass es dieser Partei gelingen werde, die ihnen zugedachte schwere Bürde auf andere Schultern zu wälzen.
Die Presse der Mitte bezeichnet die Wahl vom 14. ds. als Konjunkturwahlen, hervorgegangen aus der wirtschaftlichen Krise und der politischen Unzufriedenheit und der geschickten Ausnützung dieser Faktoren durch die lautesten Schreier. Sie erwartet, dass mit der Besserung der Konjunktur auch die extreme Welle zur Linken und zur Rechten von selbst wieder verebben werde. Dies bleibt zu hoffen, wobei allerdings der Zeitpunkt dieser Besserung der Konjunktur noch nicht abzusehen ist. Aber für heute besteht die politische Macht der Nationalsozialisten, und gerade in ihr liegt eine gewisse Gewähr dafür, dass sie ihre Entfaltung vorerst auf legalem Boden weiterverfolgen und nicht durch Gewaltakte komprimittieren wird. Immerhin wird es geboten sein, die weitere Entwicklung mit der grössten Aufmerksamkeit zu verfolgen. Die Regierung verfügt denn auch vorläufig noch über die Mittel und Wege zur Kontrolle und über die Macht zum Einschreiten im notwendigen Falle.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 31.↩
- 2
- Rüfenacht rend compte des élections au Reichstag du 14 septembre 1930, ainsi que d’une éventuelle nouvelle composition du gouvernement resté en place. Le parti national-socialiste devient le deuxième parti de la République de Weimar.↩
- 3
- En automne 1930, trois jeunes officiers du 5e régiment d’artillerie à Ulm, le 1er lieutenant H. F. Wend, les lieutenants H. Ludin et R. Scheringer, sont condamnés en raison de leur appartenance au Parti national-socialiste ce qu’interdisait une ordonnance du Ministre de la Reichswehr. Cité comme témoin à leur procès, Hitler fait sensation en prenant l’engagement de ne conquérir le pouvoir que par des voies légales.↩
- 4
- date de la proclamation de la république à Berlin.↩
- 5
- E. Zweigert.↩
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