Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
3. Internationale Wirtschaftsabkommen
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 9, doc. 524
volume linkBern 1980
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E1004.1#1000/9#12506* | |
Titolo dossier | Beschlussprotokoll(-e) 17.12.-20.12.1929 (1929–1929) |
dodis.ch/45541 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 20. Dezember 19291 2166. Internationale Konferenz über einen Zollwaffenstillstand
Mit Schreiben vom 7. November 19292 hat der Generalsekretär des Völkerbunds den Bundesrat auf die von der letzten Völkerbundsversammlung angenommene Resolution betreffend den allfälligen Abschluss eines Zollwaffenstillstandes aufmerksam gemacht. Gleichzeitig übermittelte er dem Bundesrat den vom Comité économique ausgearbeiteten Vorentwurf für eine internationale Konvention und ersuchte um Mitteilung bis Ende 1929 darüber, ob die Schweiz bereit sei, an einer internationalen Konferenz über den Abschluss eines Zollwaffenstillstandes teilzunehmen und wie gegebenenfalls ihre Delegation bestellt werde.
Die von der Völkerbundsversammlung gefasste Resolution geht zurück auf Anträge bzw. Anregungen, die schon in den ersten Tagen der Generaldebatte durch den belgischen Aussenminister Hymans und den englischen Handelsminister Graham gemacht worden sind. In Übereinstimmung mit verschiedenen ändern prominenten Staatsmännern wiesen die genannten Persönlichkeiten nachdrücklich darauf hin, dass trotz der Empfehlungen der Weltwirtschaftskonferenz von 1927 die heutigen Zustände im internationalen Warenaustausch, namentlich in Europa, eher schlechter als besser geworden seien und dass sich gerade gegenwärtig unzweifelhaft in vielen Staaten die Tendenz abzeichne, durch Erhöhung der Zollmauern dem internationalen Handel weitere Hindernisse zu bereiten. Die Weltwirtschaftskonferenz, so wurde ausgeführt, hat mit nachträglicher Zustimmung seitens fast aller Regierungen und vieler Parlamente empfohlen, dem wirtschaftlichen Wettrüsten ein Ende zu bereiten und sich in entgegengesetzter Richtung zu orientieren. Es sollte dies geschehen einmal durch autonom vorzunehmende Zollherabsetzungen in den einzelnen Staaten, sodann durch den Abschluss weiterer bilateraler Tarifhandelsverträge und endlich und namentlich durch plurilaterale, unter den Auspizien des Völkerbunds abzuschliessende Wirtschaftsabkommen. Der autonome Zollabbau durch die einzelnen Länder hat, wie zu erwarten war, sehr geringe Resultate gezeitigt. Dagegen sind auf dem Gebiete bilateraler Handelsverträge zweifellos in den Jahren 1927 und 1928 nicht unwesentliche Fortschritte gemacht worden. Seit geraumer Zeit zeigt sich aber auch auf diesem Gebiete eine ausgesprochene Stagnation, die die Möglichkeiten, in dieser Richtung weitere wesentliche Verbesserungen zu erzielen, als nahezu erschöpft erscheinen lässt. Wenn man also ernsthaft daran denken wolle, den heutigen, namentlich im Verhältnis Europa-Amerika auf die Dauer unhaltbaren Zuständen mit Erfolg entgegenzutreten, so müsse unbedingt der dritte der oben erwähnten Wege, der Abschluss plurilateraler, namentlich europäischer Wirtschaftsabkommen energisch ins Auge gefasst werden. Europa sei gegenwärtig unter sich in einem gewissen wirtschaftlichen Kriegszustand und es gelte, hier einen vernünftigen Frieden zu schaffen. So wenig man aber daran denken könne, Verhandlungen über einen militärischen Frieden aufzunehmen, solange die Kanonen donnern, so wenig könne man an erfolgreiche Verhandlungen über einen Wirtschaftsfrieden denken, solange die Verhandlungen ständig durch neue Zollerhöhungen erschwert würden. Die Grundlage für wirtschaftliche Friedensverhandlungen sei deshalb der Abschluss eines kurzfristigen, auf zwei bis drei Jahre bemessenen Zoll waffenstill standes.
Dieser ganze wichtige und schwierige Fragenkomplex ist im Schosse der II. Kommission in Genf sehr einlässlich diskutiert worden. Die meisten europäischen Staaten haben sich grundsätzlich für den Gedanken eines Zollwaffenstillstandes ausgesprochen, während verschiedene überseeische Länder, Südamerika, Australien, Kanada, Südafrika, Indien usw., ziemlich deutlich zum Ausdruck brachten, dass sie mit Rücksicht auf ihre noch unentwickelte Industrie kaum in der Lage seien, sich an solchen Verhandlungen zu beteiligen. Die von der Versammlung angenommene Resolution begnügt sich denn auch ausdrücklich, die Empfehlungen zur Teilnahme an den Arbeiten über einen Zollwaffenstillstand und einer kollektiven Wirtschaftsaktion an diejenigen Staaten zu richten, «qui désireront y participer».
Vergegenwärtigt man sich, dass die ganze Idee aufgetaucht und ausgearbeitet worden ist in unverkennbarem Zusammenhang mit dem von Herrn Briand ausgesprochenen Gedanken einer wirtschaftlichen Annäherung der europäischen Staaten unter sich, so wird man kaum fehl gehen in der Annahme, dass, wenn ein Zollwaffenstillstand und eine sich daran anschliessende Wirtschaftsaktion überhaupt möglich sind, sich diese Gedanken niemals universell, d. h. durch alle Mitgliedstaaten des Völkerbunds, sondern bestenfalls in der Hauptsache auf europäischem Boden verwirklichen lassen. Um es gleich hier beizufügen: Das Volkswirtschaftsdepartement betrachtet diese Sachlage keinesfalls als Nachteil, sondern es dürfte s. E. vorteilhaft sein, wenn man einmal in Genf eine internationale Konferenz zwischen in der Hauptsache europäischen Staaten abhalten könnte, ohne durch das Bleigewicht der doch fast immer negativ eingestellten südamerikanischen Staaten, Britischen Dominions, usw. gehindert zu sein.
Reduziert sich derart, zwar nicht theoretisch aber praktisch, die ganze Aktion auf eine hauptsächlich europäische Verhandlung, so wird sich die Schweiz aus naheliegenden Gründen kaum abseits halten können. Die eingangs erwähnten Überlegungen gelten in hohem Masse für unser kleines Binnenland, das mit der ganzen übrigen europäischen Wirtschaft so ausserordentlich eng verflochten ist und das zweifellos für seine Exportinteressen von einem Abbau der Wirtschaftsschranken in beträchtlichem Masse Vorteile ziehen kann. Auf der ändern Seite darf selbstverständlich auch nicht vergessen werden, dass die besondere Lage der schweizerischen Wirtschaft für viele ihrer Zweige einen gewissen Schutz vor der ausländischen Konkurrenz unentbehrlich macht, einen Schutz, der in der Hauptsache nur durch die Einfuhrzölle geschaffen werden kann. Eine internationale Verpflichtung, diese Zölle während einer bestimmten Zeit nicht zu erhöhen, kann deshalb auch für die schweizer. Produktion ernsthafte Rückwirkungen haben, die sorgfältig zu prüfen sind.
Das Volkswirtschaftsdepartement hat die Frage, ob sich die Schweiz an der Konferenz beteiligen solle - selbstverständlich ohne irgendwelches Präjudiz für die endgültige Stellungnahme des Bundesrates - den wirtschaftlichen Spitzenverbänden unseres Landes zur Vernehmlassung unterbreitet. Abgesehen von derjenigen des schweizer. Bauernverbandes, der sich der ganzen Aktion gegenüber ziemlich ablehnend verhält und es lieber sehen würde, wenn sich die Schweiz überhaupt an der Konferenz nicht beteiligen würde, gehen alle übrigen Meinungsäusserungen, auch diejenige des Gewerbeverbandes, dahin, die Schweiz solle an der mehrerwähnten Konferenz über einen Zollwaffenstillstand teilnehmen.
Das Volkswirtschaftsdepartement teilt diese Ansicht. Es wäre kaum verständlich, wenn sich die Schweiz, die sich international infolge ihrer verhältnismässig liberalen Wirtschaftsauffassung eines gewissen Ansehens erfreut, einer derart wichtigen Aktion von vornherein fernhalten wollte, ohne zum mindesten zu versuchen, einen gewissen Fortschritt mitverwirklichen zu helfen. Wenn viele und wichtige Gründe ebenso für als gegen den Abschluss eines Zollwaffenstillstandes und einer kollektiven Wirtschaftsaktion sprechen, so wird man, gerade um sich ein endgültiges Urteil über die bestehenden Möglichkeiten zu bilden, an den bezüglichen Beratungen teilnehmen müssen. Es wird dies um so notwendiger sein, als dann auch die ungemein schwierige und wichtige Frage des Verhältnisses zwischen Kontrahenten eines plurilateralen Vertrages und Aussenseitern, mit denen Meistbegünstigungsverträge bestehen, abzuklären ist. Gerade auch die allfällige Lösung dieses Problems dürfte für die Frage, ob die Schweiz mitmachen solle oder nicht, von grosser Bedeutung werden. Dazu kommt noch eines: Nach der Auffassung der Völkerbundsversammlung sowohl als nach dem vorgelegten Entwurf des Comité économique sollen nur diejenigen Staaten zu den Verhandlungen über einen kollektiven Abbau der Wirtschaftsschranken zugelassen werden, die vorher den Zollwaffenstillstand unterzeichnet haben. Es wäre wohl nicht zu verantworten, wenn sich die Schweiz zum vornherein die Möglichkeit, bei solchen Besprechungen mitzuwirken und über sie fortlaufend orientiert zu sein, verschliessen wollte.
Da es sich für einmal nur darum handelt, die Frage zu entscheiden, ob sich die Schweiz an der Konferenz über den Zollwaffenstillstand beteiligen soll oder nicht, so ist hier nicht der Ort, auf den vorliegenden Vorentwurf des Comité économique im einzelnen einzugehen. Das Volkswirtschaftsdepartement kann sich deshalb mit der Feststellung begnügen, dass gerade die Beratungen im Comité économique mit aller Deutlichkeit gezeigt haben, wie ungeheuer gross und mannigfaltig die wirtschaftlichen und technischen Schwierigkeiten sind, die sich der Verwirklichung entgegensetzen. Die Frage der generell und speziell zu gewährenden Ausnahmen, des Zeitpunkts des Inkrafttretens der Verpflichtungen, ihrer Dauer und namentlich auch das Verhältnis zwischen den Bestimmungen der Konvention und ändern internationalen Verträgen werden grosse Meinungsverschiedenheiten zu Tage treten lassen, von denen heute zum mindesten ungewiss ist, ob sie sich je überbrücken lassen werden. In den meisten Staaten macht sich denn auch heute schon eine beträchtliche Opposition geltend, so dass das Volkswirtschaftsdepartement kaum an einen erfolgreichen Ausgang der Verhandlungen zu glauben vermag. Jedenfalls ist es auch von diesem Gesichtspunkt aus besser, wenn die Schweiz zum mindesten den guten Willen gezeigt hat, ehrlich mitzuarbeiten, anstatt sich von vornherein vollständig negativ einzustellen.
Auch die Frage der Bestellung einer schweizerischen Delegation dürfte nicht leicht zu lösen sein. Diese ist immerhin weniger dringend, so dass das Volkswirtschaftsdepartement sich Vorbehalten kann, in einem spätem Zeitpunkt seine Anträge zu stellen.
Gestützt auf diese Erwägungen wird antragsgemäss beschlossen:
1. Der Bundesrat beschliesst, sich an der anfangs 1930 in Genf stattfindenden internationalen Konferenz über den Abschluss eines Zollwaffenstillstandes zu beteiligen.
2. Das Politische Departement wird ersucht, diesen Beschluss dem Generalsekretär des Völkerbunds als Antwort auf dessen Schreiben vom 7. November 1929 vor Ende dieses Monats zur Kenntnis zu bringen.
3. Die Frage der Bezeichnung der schweizer. Delegation bleibt Vorbehalten.