dodis.ch/45501 Der schweizerische Gesandte in Berlin, H.Rüfenacht, an den Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes, W. Stucki1
Ich beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass der handelspolitische Ausschuss des Reichstags in seiner gestrigen Sitzung den deutschen Gesetzesentwurf über das Zusatzabkommen zum deutsch-schweizerischen Handelsvertrag mit 9 gegen 6 Stimmen abgelehnt hat. Die 11 sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses enthielten sich der Stimme, um damit ihre Opposition gegen die Zollerhöhungstendenzen der Regierung in Schuhen zu manifestieren. Nur so lässt sich das Ergebnis der Ausschussverhandlungen erklären, welches für die deutsche Regierung völlig überraschend kam.
Dass mit einer starken Opposition gegen das Zusatzabkommen gerechnet wurde, hörte ich schon seit einigen Tagen. Die Firma Bosch hatte eine rege Agitation im Reichstag gegen das Abkommen entfaltet, die insofern einen gewissen Anklang fand, als den deutschen Unterhändlern nachgewiesen werden konnte, dass sie in der Frage der Verzollung von elektrischen Ausrüstungsgegenständen für Motorfahrzeuge ihre Instruktionen, wie sie im Einvernehmen mit der deutschen Industrie festgelegt worden waren, bedeutend überschritten hatten. Die Bedenken auf diesem Gebiet erklären die ablehnenden Stimmen im handelspolitischen Ausschuss, die aus Kreisen der Rechtsopposition stammen, zum Teil allerdings auch von Kommunisten, die gegen eine Erhöhung der Schuhzölle stimmen wollten.
Wie ich auf dem Auswärtigen Amt erfuhr, hat Herr Ministerialdirektor Ritter gestern noch in alle Nacht hinein mit den Führern der sozialdemokratischen Partei verhandelt und es soll ihm gelungen sein, eine Zusage zu erwirken, dass bei der dritten Lesung des Abkommens im Plenum die Sozialdemokraten dafür stimmen werden. Voraussichtlich wird diese Abstimmung nächsten Montag stattfmden. Ich werde Sie über deren Ergebnis sofort telegraphisch verständigen2. Ich vermute, dass die Zusage der sozialdemokratischen Parteiführer, für das Zusatzabkommen zu stimmen, von der Reichsregierung mit dem Versprechen erkauft worden ist, bei der Erhöhung der Schuhzölle ein bestimmtes Mass nicht zu überschreiten.