Language: German
12.3.1929 (Tuesday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 12. März 1929
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Häberlin orientiert den Bundesrat über seine Massnahmen in der Frage des Verbotes des Roten Treffens in Basel. Die Departementsvorsteher äussern sich grundsätzlich zur Frage eines derartigen Verbotes.
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Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 465

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Bern 1980

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dodis.ch/45482
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 12. März. 19291

495a. Rotes Treffen in Basel

Mündlich

Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes, Herr Häberlin, gibt dem Rate Kenntnis von seinen Bemerkungen und Anträgen in der Frage eines Verbotes des roten Treffens in Basel, das bekanntlich von den Kommunisten als Ersatz für die ursprünglich geplante Zusammenkunft im Tessin auf den nächsten Palmsonntag vorgesehen ist. Dabei schickt er voraus, dass heute vormittag eine Konferenz zwischen dem Hrn. Bundespräsidenten und ihm einerseits und den beiden baselstädtischen Regierungsräten HH. Dr.Miescher und Dr. Niederhauser stattgefunden habe. Gestützt auf das Ergebnis dieser Besprechung sowie auf die Prüfung der Angelegenheit durch die Bundesanwaltschaft kommt er zu folgenden Schlüssen:

Die Frage, ob ein allfälliges Verbot der kommunistischen Zusammenkunft durchgeführt werden könnte, wäre, sofern es sich um ein gänzliches Verbot handelt, mit «Ja» zu beantworten. Allerdings werde man bei der Durchführung Balgereien in Kauf nehmen müssen und mit der Möglichkeit von Freisprechungen durch die Gerichte und mit Kritik selbst aus einem Teile der bürgerlichen Kreise rechnen müssen. Hingegen halte er dafür, dass ein blosses Verbot der Beteiligung von Ausländern an einer Zusammenkunft, die im übrigen gestattet würde, kaum durchgeführt werden könnte.

Sehr schwierig sei die Entscheidung der grundsätzlichen Frage, ob ein Verbot des Treffens überhaupt erlassen werden solle oder nicht. Für den Erlass eines derartigen Verbotes sprechen insbesondere folgende Gründe: Der Umstand, dass die Tessiner Regierung auf Veranlassung des Bundesrates hin die Zusammenkunft im Tessin verboten hat2; immerhin sei nicht zu vergessen, dass die Tessiner Regierung das Verbot beschränkt hat, auf die Demonstration in der Form und Art wie sie von den Veranstaltern angekündigt worden war; überdies habe der Bundesrat seine Massnahmen unter ausdrücklichem Hinweis auf die Lage im Tessin ergriffen. Sodann das Prestige des Bundesrates; allerdings sei nicht zu vergessen, dass das Eingreifen des Bundesrates bisher Erfolg hatte, da ja die Veranstaltung im Tessin abgesagt wurde; er sollte sich nun nicht einem Misserfolg aussetzen; falls der Bundesrat die Demonstration nicht verbietet, engagiere er die Verantwortlichkeit der Basler Regierung, die dafür sorgen muss, dass die Demonstration nicht ausartet; verbiete der Bundesrat das Treffen, so könne sich der Regierungsrat von Baselstadt auf seine Warnung berufen und dann sei ein allfälliger Misserfolg des Verbotes in erster Linie ein Misserfolg des Bundesrates. Endlich die Beziehungen zu Italien; es gebe kaum ein anderes Land, welches antifascistische Kundgebungen an sich verbietet; Italien dürfe nicht vergessen, dass die Kundgebung im Tessin verboten wurde; im übrigen frage Italien auch nicht, was es tun dürfe, wie der Fall Rossi und ein neuester fascistischer Übergriff in Chiasso beweisen.

Gegen ein Verbot spreche vor allem der Grundsatz der Freiheit der Meinungsäusserung und der Versammlungsfreiheit; bis jetzt sei jeweilen nur beim Vorhandensein besonderer Verhältnisse eingeschritten worden; respektiert der Bundesrat diesen Grundsatz der Freiheit, so stimmt er grundsätzlich darin auch mit den Regierungen des Tessin und von Baselstadt überein. Ferner sei die Spaltung der Sozialisten und Kommunisten zu berücksichtigen; die bisherige Haltung des Bundesrates sei von den Sozialisten in ihren neuesten Kundgebungen eigentlich gebilligt worden; es werde ihnen kaum möglich sein, davon abzugehen; diese Spaltung sei nicht nur wichtig mit Rücksicht auf die Parteiverhältnisse in Baselstadt, sondern vor allem auch für den Ausfall der Demonstration selbst; denn bei einem Verbot sei mit Sicherheit anzunehmen, dass die Sozialisten sich an der Veranstaltung beteiligen werden, währenddem sie sich sonst fernhalten dürften. Sodann sei zu beachten, dass auch bei grundsätzlichem Gewährenlassen die verfassungsrechtliche Möglichkeit zum Erlasse einschränkender Bestimmungen und zum Einschreiten gegen allfällige Exzesse vorhanden wäre. Durch das Mittel der Ausweisung und der Grenzsperre könnte bei allfälliger Zuwiderhandlung gegen die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffenen Polizeimassnahmen gegen die Ausländer in Basel oder in der Nachbarschaft hinreichend vorgegangen werden, während es dagegen schwierig wäre, lediglich die Fernhaltung der Fremden aus dem Auslande rechtlich zu begründen.

Zur Frage, ob die Demonstration auf ein geschlossenes Lokal beschränkt werden solle, wäre zu bemerken, dass erfahrungsgemäss beim Zuströmen und Verlassen der Versammlungslokale ein Zug durch die Strassen fast unvermeidlich sei. Der organisierte Zug sei aber viel ungefährlicher und von unvorhergesehenen Zufällen unabhängiger.

In der Beratung führt der Vorsteher des politischen Departementes aus, die Frage sei äusserst heikel und schwierig. Das Dulden einer Demonstration gegen eine fremde Regierung würde aber gegen das Völkerrecht verstossen. Es bestehe kein Zweifel darüber, dass die in Basel geplante Veranstaltung das Gleiche bezwecke, wie die Zusammenkunft im Tessin, die eben aus völkerrechtlichen Gründen verhindert wurde. Deshalb bleibe nichts anderes übrig, als auch das rote Treffen in Basel zu verbieten. Bis jetzt habe Italien in dieser Sache noch keine Schritte unternommen. Der Bundesrat wäre aber in einer sehr unangenehmen Lage, wenn er vorläufig nichts vorkehren würde, später aber unter fremdem Drucke handeln müsste.

Der Vorsteher des Finanzdepartementes erklärt ebenfalls, dass der Bundesrat die Veranstaltung unbedingt verbieten müsse. Denn abgesehen davon, dass eine Demonstration gegen eine fremde Regierung und insbesondere noch gegen eine Nachbarregierung nicht geduldet werden dürfe, gehe es nicht an, in unserm Lande einen internationalen Kongress von Kommunisten, also einer Organisation abhalten zu lassen, die den Umsturz des Staatswesens bezwecke. Das Verbot sei um so mehr angezeigt, als die Veranstaltung zu einem guten Teil von Leuten besucht werden soll, die eigens zu diesem Zwecke aus dem Auslande in die Schweiz reisen werden. Selbstverständlich könne es sich nur um ein absolutes Verbot handeln; eine Beschränkung des Verbotes auf die Beteiligung aus dem Auslande wäre ungenügend. Auch wäre ein derartiges beschränktes Verbot wohl schwer durchführbar, obgleich zu sagen sei, dass durch eine rechtzeitige Verschärfung der Grenzkontrolle und andere wirksame Massnahmen immerhin einem grossen Teil dieser Ausländer der Übertritt auf unseren Boden verwehrt werden könnte. Wird kein Verbot gegen das geplante rote Treffen in Basel erlassen, käme der Bundesrat nicht nur gegenüber Italien, sondern auch gegenüber der Regierung des Kantons Tessin in eine sehr unangenehme Lage.

Der Vorsteher des Departementes des Innern teilt die von den beiden Herren Vorrednern geäusserte Auffassung. Seiner Ansicht nach würde die öffentliche Meinung es nicht verstehen, wenn der Bundesrat die kommunistische Zusammenkunft gestatten würde. Er hätte sich allerdings am liebsten auf die Verhinderung der Beteiligung aus dem Auslande beschränkt, anerkennt aber, dass ein derartiges beschränktes Verbot weniger leicht durchzuführen wäre als das vollständige Verbot. Anderseits kann er sich den vom Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements vorgebrachten Argumenten nicht verschliessen und erklärt, dass er sich infolgedessen in seiner Stellungnahme nach der schliesslichen Haltung des Vorstehers dieses Departementes richten werde.

Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes erklärt, dass eine internationale Zusammenkunft der Kommunisten unter allen Umständen verhindert werden müsse. Hingegen wäre gegen eine blosse Versammlung der in der Schweiz niedergelassenen Anhänger der Moskauer Internationale wohl kaum viel einzuwenden, solange sie nicht zu Ausschreitungen führt. Redner empfiehlt daher, ein beschränktes Verbot zu erlassen und alle Massnahmen zu ergreifen, um dessen Durchführung sicherzustellen. Denn er ist überzeugt, dass es durch eine wirksame Kontrolle und wenn nötig durch eine vorübergehende Grenzsperre möglich wäre, die Teilnahme aus dem Auslande wenn nicht ganz, so doch in der Hauptsache zu verunmöglichen.

Herr Bundespräsident Haab möchte sich ebenfalls für das vollständige Verbot aussprechen. Es gibt seines Erachtens keine Freiheit der Versammlung für eine Organisation, die die Zertrümmerung des Staatswesens bezweckt. Nach den heutigen Mitteilungen der Vertreter der baslerischen Regierung wäre es eher möglich, die ganze Demonstration zu unterdrücken als eine Beteiligung aus dem Auslande wirksam zu verhindern. Sollte die Mehrheit des Rates einem vollständigen Verbote nicht zustimmen können, so müsste zum mindesten das mehrerwähnte teilweise Verbot erlassen werden; denn es dürfe nicht zugegeben werden, dass auf unserem Boden internationale Demonstrationen gegen die schweizerische Regierung veranstaltet werden.

Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes erklärt, dass er die Beschränkung des Verbotes auf die Fremden, d.h. auf die zurzeit im Auslande wohnenden Kommunisten grundsätzlich und technisch nicht für durchführbar halte. Wenn man die Veranstaltung als völkerrechtswidrig erkläre, so müsse das Verbot allgemein gelten und es dürfe dann nicht eine Ausnahme zu Gunsten der in der Schweiz wohnenden Leute gemacht werden.

Der Vorsteher des Militärdepartementes wäre grundsätzlich ebenfalls für das allgemeine Verbot, hat aber Bedenken wegen dessen Durchführbarkeit. Auch er hält eine Beschränkung des Verbotes auf die vom Auslande Zureisenden nicht für angängig. Er gibt zu bedenken, dass der Bundesrat im Falle des Erlasses eines Verbotes dafür werde sorgen müssen, dass diesem Verbote Nachachtung verschafft werde, was ohne den Einsatz grösserer Machtmittel und damit einer eigentlichen eidgenössischen Intervention nicht leicht sein wird. Ein Verzicht auf das Verbot sei aber anderseits, mit Rücksicht auf das durch die Tessiner Regierung kürzlich auf Veranlassung des Bundesrates erlassene Verbot schwierig. Zweifellos werde es notwendig sein, auch im Falle des gänzlichen Verbotes die Grenze nach Möglichkeit abzusperren.

Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes erklärt, die Bedenken des Vorstehers des Militärdepartementes hinsichtlich der Durchführbarkeit eines gänzlichen Verbotes hätten ihn etwas stutzig gemacht, so dass er glaube, die beste Lösung bestehe in der Beschränkung dieses Verbotes auf allfällige Teilnehmer aus dem Auslande. Allerdings werde dies wohl eine zeitweise Grenzsperre notwendig machen, aber auch im Falle des vollständigen Verbotes wäre eine solche Massnahme nicht zu umgehen.

Auf Grund der Beratung wird mehrheitlich beschlossen, das auf den Palmsonntag in Basel geplante rote Treffen der Kommunisten vollständig zu verbieten. Über die für die Durchführung dieses Verbotes erforderlichen Massnahmen soll in einer spätem Sitzung Beschluss gefasst werden3.

1
E 1004 1/315.
2
Der in diesem Zusammenhang am 1.3.1929 vom Bundesrat erlassene Beschluss betreffend das Verbot der kommunistisch-antifascistischen Kundgebung («Rotes Treffen») und allfälliger Gegenkundgebungen im Tessin in: BBl 1929,1, S.277f.
3
Vgl. Bundesratsbeschluss betreffend das Verbot der internationalen antifascistischen Kundgebung (Rotes Treffen) und allfälliger Gegenkundgebungen am 24. März 1929 (Palmsonntag) in Basel, vom 16. März 1929, BBl 1929,1, S.387f. - Vgl. auch Interpellation Schneider in: NR-Protokoll vom 15.3.1929 (E 1001 (C) d 1/274, S.275AF.).