Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 430
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.19-01#1000/1718#2* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.19-01(-)1000/1718 1 | |
Dossier title | Relations politiques italo-suisses (1928–1928) | |
File reference archive | I.C4 |
dodis.ch/45447 Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes, H. Häberlin, an den schweizerischen Gesandten in Rom, G. Wàgnière1
Am 19. September hat auf Ersuchen des hiesigen italienischen Gesandten eine Besprechung desselben mit Herrn Minister Dinichert stattgefunden, über deren Verlauf Sie zweifellos auch Mitteilung erhalten haben durch das Politische Departement2. Die Aufzeichnung des Herrn Dinichert enthält folgende Stelle:
«Le Comte Pignatti répond qu’il n’a pas connaissance d’une activité de Signori qui ne serait pas régulière et visée par les termes d’une lettre adressée jadis par le Chef du Département fédéral de Justice et Police à Monsieur Garbasso, le prédécesseur de Pignatti.»
Herr Dinichert hat hierauf bereits die richtige Antwort gegeben, dass er, ohne das erwähnte Schreiben zu kennen, es ausschliessen müsse, dass durch dasselbe Akte, wie sie Signori vorgenommen habe, gedeckt würden.
Der Unterfertigte hat, sobald er von dieser Unterredung Kenntnis erhielt, das einzig in Frage kommende Schreiben an Minister Garbasso, das vom 3. April 1923 datiert3 und seinerzeit in Kopie der Bundesanwaltschaft mitgeteilt wurde, dem Dossier entnehmen lassen und dem Bundesrate heute vollinhaltlich Kenntnis davon gegeben. Es liegt mir aber daran, dass auch unsere Gesandtschaft in Rom sofort darüber auf dem Laufenden gehalten werde. Es kann mir nicht passen, dass wieder, wie bei der Beantwortung der Interpellation Zimmerli4, durch eine mindestens nicht wohlwollende Version seitens der hiesigen italienischen Gesandtschaft, der Handel auf meinem Buckel ausgedroschen werden solle5.
Wie Sie aus dem Inhalt der heiligenden Abschrift ersehen, handelte es sich
damals einerseits darum, die direkte Inanspruchnahme von kantonalen Behörden
und Amtsstellen durch Ausländer auszuschalten und sie auf den Dienstweg über
die italienische Gesandtschaft und die Bundesanwaltschaft zu verweisen. Und sodann scheint mir doch auch klipp und klar gesagt zu sein, dass jedem Ausländer
die Ausübung irgendwelcher polizeilicher Funktion und Rechte aberkannt werde.
Dass damit auch die Organisation eines Kundschafterdiestes, das Anwerben von
bezahlten Spitzeln und dergleichen getroffen sei, dürfte für einen Unbefangenen
auch klar sein. Wozu hätten wir sonst damals diese Präzisierung vorgenommen
und eben die Vermittlung durch die Gesandtschaft verlangt, auf deren korrekte
Auffassung wir uns glaubten verlassen zu dürfen! -
Dass wir der Gesandtschaft umgekehrt nicht verbieten können, von ihr vertrauenswürdig erscheinenden italienischen Staatsangehörigen Meldungen über
verdächtige Erscheinungen entgegenzunehmen und an uns weiterzuleiten, ist
ebenso selbstverständlich und ist von uns bei diesem Anlasse auch ausgesprochen
worden - aber nicht mehr! Wir haben darum auch nie Anstand genommen, wenn
Signori als Beamter der Gesandtschaft unserer Bundesanwaltschaft Meldungen
über beunruhigende Erscheinungen, behauptete Attentatsvorbereitungen und dergleichen brachte, die zuständigen kantonalen Polizeiorgane hierüber zu informieren, wobei wir freilich wiederholt falschen Alarm konstatierten, und deshalb das
Begehren aussprechen mussten, es möchten uns in Zukunft die Gewährsmänner
mitgeteilt werden, damit wir sie selbst auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen könnten.
Das hatte dann meines Wissens ein Nachlassen der Meldungen zur Folge.
Über eine unkorrekte Handlungsweise Signoris ist uns vor den jetzigen Vorfällen nur einmal eine kontrollierbare Nachricht zugekommen. Am 11. Mai 1926
hat im Gemeindehaus Plainpalais eine antifascistische Kundgebung stattgefunden, die nicht zuletzt durch das Erscheinen einer fascistischen Gruppe mit verursacht worden war, obwohl die hiesige italienische Gesandtschaft von einem solchen Besuche abgemahnt hatte. Erst ein halbes Jahr später erfuhren wir, dass
damals Signori mit anwesend gewesen und sogar das Zeichen zum Proteste gegen
gewisse antifascistische Äusserungen gegeben habe. Ich selbst habe in einer
durchaus freundschaftlichen Besprechung mit Herrn Pignatti vom 22. Februar
19276, als er mich fragte, ob wir - abgesehen von jenem Vorfälle in Genf, der
aber zum Beispiel von Ferrata missbilligt worden sei - Beobachtungen über provokatorisches Benehmen von Fascisten gemacht hätten, ihm geantwortet, ich hätte zur Zeit keine Klagen anzubringen, möchte ihn aber, weil er gerade die Rede
auf den Vorfall in Genf bringe, bitten, einmal an Herrn Signori die Frage zu stellen, ob er bei jenem Vorfall in Genf anwesend gewesen sei oder nicht. Herr Pignatti hat diese unmissverständliche Andeutung damals entgegengenommen, ohne weiter darauf einzutreten, und ist auch später nicht darauf zurückgekommen. - Ich glaube nicht, dass ich mich sonst einmal über Signori mit Pignatti unterhalten habe; ich kenne den Herrn persönlich gar nicht.
- 1
- Schreiben: E 2200 Rom 18/1.↩
- 2
- Vgl. Nr. 429, Annex.↩
- 3
- E 4001 (A) 1/39.↩
- 4
- Vgl. NR-Protokoll vom 22.9.1927 (E 1001 (C) d 1/264, S. 140ff›.↩
- 5
- Am 18.1.1928 teilte Wagnière dem Vorsteher des Politischen Departementes mit: [...] Dr. Sfonnenberg] est allé hier [...] voir Lojacono [...] pour lui parler de nouveau des difficultés que nous rencontrons dans l’application de nos accords avec l’Italie concernant l’entrée de certaines catégories de ressortissants, dont nous entretenons aujourd’hui même le dép/artementj de Jlustice] et PfoliceJ. Contre notre attente, Lojacono a repris ses griefs exposés en novembre au sujet de la discussion au C [onsei]1 nat/iona]\ sur la malheureuse interpellation Zimmerli et du discours de M. le C. F. Haeberlin contenant des critiques à l’adresse du gouvernement italien. Comme il s’agit d’accords qui constituent aux yeux du Ministère un avantage accordé à la Suisse et dont ne jouissent pas les autres Etats, ces critiques, bien que justifiées, paraissent avoir irrité au plus haut point Lojacono qui avait favorisé leur conclusion. Je vous prie de n’en rien dire (de ce qui précède) à M. le C. F. Haeberlin. [...] (J.1.1 1/2).↩
- 6
- Vgl. Nr. 260.↩
Tags
Italy (Others)
Border incidents in Ticino (1925–1929)