Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 356
volume linkBern 1980
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1001#1000/6#549* | |
| Old classification | CH-BAR E 1001(-)1000/6 549 | |
| Dossier title | Anträge des Eidg. Volkswirtschaftsdepartementes Juli - Dezember 1927 (1927–1927) | |
| File reference archive | 1.7 |
dodis.ch/45373
Antrag des Vorstehers des Volkswirtschaftsdepartementes, E. Schulthess, an den Bundesrat1
Am 24. November hat, wie Ihnen bekannt ist, die vorbereitende Kommission einstimmig beschlossen, dem Departement zuhanden des Bundesrats die sofortige Kündigung des bestehenden Meistbegünstigungsvertrags mit Frankreich zu empfehlen. Der Chef der schweizerischen Delegation hatte unmittelbar vor seiner Abreise von Paris die französische Delegation über diesen zu erwartenden Beschluss nicht im Zweifel gelassen und es ist in der Folge auch durch Herrn Minister Dunant die Stellungnahme der Kommission offiziös zur Kenntnis des Quai d’Orsay gebracht worden.
Nachdem der dem Beschluss der Kommission entsprechende Antrag an den Bundesrat sowie der Entwurf der Kündigungsnote bereits ausgearbeitet war, hat die französische Regierung auf Intervention der «Affaires Etrangères» sehr rasch und lebhaft interveniert. Durch Herrn Minister Dunant Hess sie uns dringend bitten, mit der Kündigung noch zuzuwarten, da man bereit sei, der Schweiz wesentlich mehr als bisher und bis aufs Äusserste entgegenzukommen. Der französische Ministerrat, der sich am 28. November mit der Frage einlässlich befasst hat, erteilte dem Handelsminister entsprechende Instruktionen. Wir Hessen durch Herrn Dunant mitteilen, dass der Bundesrat nur dann in der Lage sei, auf die sofortige Kündigung zu verzichten, wenn ihm innert kürzester Frist neue weitgehende und präzise Konzessionsvorschläge Frankreichs vorgelegt werden könnten. Hiemit war man in Paris einverstanden und delegierte letzten Donnerstag den Chef der französischen Delegation, begleitet vom Direktor der Handelsangelegenheiten im Ministerium des Äussern, zu diesem Zwecke nach Bern.
Bevor die französischen Delegierten, begleitet vom französischen Botschafter, dem Chef des Volkswirtschaftsdepartements ihre neuen Vorschläge unterbreiteten, gaben sie folgende Erklärung ab:
Die französische Regierung sei bereit, der Schweiz ihre neuen und auch endgültigen Vorschläge zu unterbreiten, in der Meinung, dass schweizerischerseits dann auf die Kündigung verzichtet werde. Wenn aber der Bundesrat entschlossen sei, mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung, die Kündigung unter allen Umständen auszusprechen, so sei es der französischen Regierung unmöglich, diese Vorschläge schon jetzt zu machen. Diese wären als Maximum dessen zu betrachten, was auch nach ausgesprochener Kündigung französischerseits zugestanden werden könnte, mit ändern Worten, die von der Schweiz beabsichtigte und angedrohte Kündigung hätte auf die Haltung der französischen Regierung genau die gleiche Wirkung wie wenn dieselbe bereits notifiziert worden wäre. Sollte der Bundesrat auch nach Kenntnisnahme der neuen Vorschläge die Kündigung aussprechen, so müsste es Frankreich ablehnen, nachher weiter zu verhandeln und wäre genötigt, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.
Wir haben geantwortet, dass wir Kündigung und Zollkrieg niemals als Selbstzweck betrachten, sondern lediglich als Mittel, um zu erträglichen Verhältnissen zu kommen. Wenn dieses Ziel ohne Zwangsmittel erreicht werden könne, so seien wir die Ersten, dies zu begrüssen. Es hange alles davon ab, ob die neuen französischen Vorschläge das allgemeine Bild der Lage derart zu unsern Gunsten verändern, dass der Abschluss eines auch für uns erträglichen Abkommens möglich sei.
Nach Kenntnisnahme dieser Antwort wurden uns die französischen Vorschläge unterbreitet. Sie sind in zahlreichen eingehenden und langwierigen Verhandlungen zwischen den beiden französischen Delegierten und dem Direktor unserer Handelsabteilung sehr einlässlich geprüft und diskutiert worden. In zahlreichen Punkten konnten sie im Verlaufe der Diskussion nicht unwesentlich verbessert werden. Die Mitglieder der schweizerischen Delegation wurden ständig auf dem laufenden gehalten und hatten Gelegenheit, zu allen neuen Vorschlägen einlässlich Stellung zu nehmen. Auch sind zahlreiche Einzelfragen mit den betreffenden schweizerischen Interessenten und mit Experten besprochen worden. [...]2Was nun schliesslich das weitere Vorgehen anbelangt, so möchten wir Ihnen im Einvernehmen mit der vorbereitenden Kommission folgendes vorschlagen:
a) Gemäss Abmachung mit der französischen Delegation würde sich Herr Direktor Stucki, in Begleitung von Herrn Dr. Wetter als Vertreter der Industrie, heute nach Paris begeben, um der französischen Regierung die Stellungnahme des Bundesrates zur Kenntnis zu bringen. Es hätte dies in der Weise zu geschehen, dass erklärt würde, der Bundesrat sehe nur dann die Möglichkeit, zu einem Abschluss zu gelangen und damit auf die Kündigung zu verzichten, wenn Frankreich bereit und in der Lage sei, den letzten schweizerischen Begehren zu entsprechen.
b) Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass in dieser nächsten Etappe eine weitere Anzahl von Positionen im angeführten Sinn erledigt werden kann. Mit Bezug auf alle wird dies unmöglich sein und es hätte dann der schweizerische Delegierte die französischen Antworten, soweit sie unbefriedigend sind, der Delegation und dem Bundesrat zwecks Einholung neuer Instruktionen zu unterbreiten. Anlässlich der Teilnahme der Herren Stucki und Serruys an den Sitzungen des «Comité Economique» in Genf, zwischen dem 17. und 21. Dezember ds.Js., wird sich vielleicht Gelegenheit bieten, auch die letzten Differenzen zu beheben. Wir haben bereits vorgesehen, dass entweder unmittelbar vor oder nach Weihnachten die französische Delegation nochmals nach Bern kommt, um die Restpunkte zu bereinigen.
c) Bei dem eventuell abszuschliessenden Abkommen handelt es sich um ein Provisorium, das, wie gesagt, hauptsächlich dazu bestimmt sein soll, den seit dem 6. September schwer benachteiligten schweizerischen Exportindustrien die nötigen Erleichterungen zu verschaffen. Die Verhandlungen über einen umfassenden Vertrag müssen also weitergehen. Wir haben für das Provisorium eine feste Dauer bis ca. 31. März 1929 vor, wenn möglich mit einer monatlichen Kündigungsfrist. Unter allen Umständen muss das vorläufige Abkommen eine Klausel enthalten, wonach die französische Regierung, wenn sie weitere Erhöhungen des Minimaltarifs vornehmen wollte, der Schweiz hievon Kenntnis zu geben und darüber mit ihr zu verhandeln hat und wonach, für den Fall, dass solche Verhandlungen nicht zur Einigung führen sollten, die Schweiz berechtigt wäre, sofort - auf höchstens ein Monat - das Provisorium zu kündigen, um ihre volle Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Nur in dieser Weise wird man z.B. der Uhrenindustrie und der Landwirtschaft eine gewisse Sicherheit geben können, dass nicht schon in kurzer Zeit auch für diese Gebiete wesentliche Zollerhöhungen eintreten.
d) Wie Ihnen bekannt ist, hatte Frankreich ursprünglich eine grosse Begehrenliste eingereicht, in welcher zahlreiche Bindungen der schweizerischen Gebrauchszölle, aber auch eine Anzahl Herabsetzungen verlangt werden. Wir haben es unter allen Umständen abgelehnt, in diesem Provisorium Reduktionen der schweizerischen Gebrauchszölle in Erwägung zu ziehen. Wir werden aber nicht ablehnen können, einen Teil der französischen Bindungswünsche zu erfüllen, schon damit auch nach aussen der Anschein einer gewissen Reziprozität gewahrt wird. Wir beantragen Ihnen, es sei die schweizerische Delegation zu ermächtigen, insbesondere diejenigen Zölle zu binden, die bereits in Handelsverträgen mit ändern Staaten festgelegt sind (worunter z.B. Wein und Automobile) und im allgemeinen eine Liste schweizerischer Zollbindungen zuzugestehen, die verhältnismässig denjenigen Garantien entspricht, die Frankreich zugunsten der schweizerischen Exportindustrie durch das Provisorium gibt.
Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass das Provisorium so rasch als irgendwie möglich in Kraft tritt. Bei der heutigen Situation wird es französischerseits der parlamentarischen Ratifikation unterliegen. Die französische Regierung ist bereit, dafür zu sorgen, dass diese Ratifikation spätestens im Verlaufe des Monats Januar erfolgt, so dass das Abkommen am 15. Februar 1928 in Kraft treten könnte. Es herrscht Einverständnis darüber, dass andernfalls die Schweiz wiederum ihre volle Handlungsfreiheit zurückgewinnt.
Wir beantragen Ihnen, von vorstehenden Ausführungen in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen, in der Meinung, dass dieselben als Instruktionen für die schweizerischen Delegierten zu gelten haben3.
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