Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
19. Polen
19.1. Handelsbeziehungen und Stabilisierungsanleihe
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 336
volume linkBern 1980
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001D#1000/1551#6490* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 222 | |
Dossiertitel | 7% Intern. Stabilisierungsanleihe Polens von 1927 (1927–1939) | |
Aktenzeichen Archiv | C.42.11.1 • Zusatzkomponente: Polen |
dodis.ch/45353 Der schweizerische Gesandte in Warschau, H.A. von Segesser, an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, E. Schulthess1
Ich bestätige meinen Brief2 und Telegramm vom 27. September3 über den damaligen Stand der Verhandlungen der amerikanischen Anleihe und beehre mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich gestern und bis heute ohne Nachrichten vom Ministerium des Äussern geblieben bin. Dagegen meldete mir gestern 23 Uhr Herr Fischer, dass in einer gemeinsamen Sitzung zwischen den Delegierten und den Regierungsvertretern, welche um IVi Uhr begonnen hatte, ernste Schwierigkeiten entstanden seien und dass infolgedessen die Verhandlungen der Delegierten, wie auch die meinigen, keineswegs erleichtert würden. Wie ich schon auf anderm Wege vernommen hatte, ist die ganze Anleihefrage in der Tat wieder dadurch festgefahren, dass die Polen in Überschätzung ihres Kredites im Auslande, den von den Geldgebern in Aussicht genommenen Emissionskurs als zu gering betrachten. Marschall Pilsudski muss deshalb dieser Ablehnung des vorgesehenen Kurses zugestimmt haben. Heute früh suchte ich im Hotel Herrn Fischer auf, bei welchem ich den Amerikaner Denis traf. Beide Herren waren äusserst nervös und deprimiert wegen den geradezu unbegreiflichen Verhandlungsmethoden der Polen. Sie schienen sogar einen scheiternden Ausgang der Verhandlungen nicht für unmöglich zu halten. Auf jeden Fall sei in der heutigen Lage nicht daran zu denken, dass man vor etwa Mitte nächster Woche sich soweit einigen könne, dass die schon oft angesagte Unterzeichnung des Anleihevertrages vollzogen werden könne.
Als Herr Denis das Zimmer verlassen hatte, sagte mir Herr Fischer «rein persönlich», die heutige Lage schaffe der Schweiz eine ausgezeichnete Gelegenheit aus der Anleihekombination auszutreten, da bei der langsamen Arbeitsweise, die hier üblich ist, die Ratifizierung des Kontingentsabkommens Polens kaum auf 1. Oktober zu Stande kommen würde. Trotz dem persönlichen Charakter dieser Äusserung, glaube ich, dass Herr Fischer sich zu derselben zum grossen Teil als Vertreter der amerikanischen Gruppe fühlte, welche die imperativen Weisungen der schweizerischen Gruppe betreffend des «Junctim» zwischen Ratifizierung des Pariser Protokolls und der Beteiligung der Schweizergruppe, in grosse Verlegenheit gebracht ist [sic].
Nach reiflichen Erwägungen würde ich es als nicht in unsern Interessen liegend betrachten, wegen ein oder einigen Tagen Verspätung in der Ratifizierung des Pariser Protokolls aus der Anleihekombination auszutreten. Mit dem schweizerischen Austritt wäre jedenfalls das Schicksal des Pariser Protokolls endgültig besiegelt. Die öffentliche Meinung Polens würde derart aufgebracht, dass dieser Schritt unsern Export in diesem Land geradezu lahm legen würde. Was dies zu bedeuten hätte, geht schon daraus hervor, dass für die Periode Januar-August 1927 einer polnischen Einfuhr in die Schweiz von 18,4 Millionen, eine Schweizerausfuhr von 20,4 Millionen entgegensteht. Unser Import hat sich somit seit 1926 ganz wesentlich gebessert und hat sogar einen Aktivüberschuss zu Gunsten der Schweiz ergeben. [Im Handelsministerium, wo Herr Ministerialrat Sygietinsky als Chef des Einfuhrwesens mächtiger ist denn je, dürften Einfuhrbewilligungen für Schweizerwaren im Falle eines Bruches immer schwieriger erhältlich sein.
Heute um 1 Uhr hatte ich nun eine längere Konferenz mit Herrn Handelsminister Kwiatkowski und Vize-Minister Dolezal. Die Kombination zwischen Pariser Protokoll und Anleihe kam nur beiläufig zur Sprache, weil ich es für inopportun erachtete, die Erörterungen gerade mit diesem heiklen Punkte zu beginnen. Die mir bereits durch das Ministerium des Äussern und die amerikanischen Delegierten angekündigte Sitzung der Kontingentskommission für das Pariser Protokoll, ist erst auf morgen Freitag Abend einberufen. Ein Mitglied derselben äusserte sich heute mir gegenüber sehr optimistisch und meinte, dass die Genehmigung der Liste, welche den Mitgliedern bereits zum Studium mitgeteilt wurde, 99% Chancen hätte. Herr Kwiatkowski dagegen erklärte, dass das Ministerium aus wirtschaftlichen Gründen, d. h. Bedürfnissen des polnischen Marktes und wegen der Sorge um die Balancierung der Handelsbilanz, der Kommission Streichungen oder Reduktionen auf den sogenannten Luxuswaren (d. h. den grössten Teil der Liste) empfehlen müsse. Ich verwahrte mich, unter dem Hinweis darauf, dass bei den Pariser Verhandlungen der Vertreter des Handelsministeriums die im Protokoll festgesetzten Kontingente anstandslos bewilligt hätte. [...]Herr Kwiatkowski betonte, dass sich das Ministerium durch rein wirtschaftliche Motive leiten lasse und fügte bei, dass, wenn das Ministerium des Äussern oder der Finanzen (welches die Anleiheverhandlungen leitet) von ihm aus politischen Gründen das Stehenlassen oder die Nichtreduktion einzelner Positionen dringend verlange, er einem solchen Drucke nachgeben müsste. Nach seiner Auffassung müsste die Bereinigung der Liste der Vorlage derselben an den Wirtschaftsausschuss des Ministerrates vorgehen. Es liegt auf der Hand, dass ein derartiges Verfahren die Liquidierung der Angelegenheit ausserordentlich erschweren und verlangsamen würde. Ich entschloss mich deshalb, mich dafür zu verwenden, dass der angedeutete Druck auf das Handelsministerium morgen, vor der Zusammenkunft der Kontingentskommission ausgeübt wird. Ich habe deshalb für morgen vormittag Rendezvous beim politischen Direktor des Ministeriums des Äussern und für 12 Uhr ein solches beim Vize-Minister Bartel genommen, in der Hoffnung, auf diese Weise die ganze Liste durchzubringen.
Da, wie bereits angedeutet, die allgemeinen Anleiheverhandlungen wieder ins Stocken geraten sind, würde ich es aus schon angeführten Gründen als inopportun erachten, wenn, falls das Pariser Protokoll nicht bis 1. Oktober genehmigt ist, die Schweizer gruppe aus der Anleihe ausscheiden würde. Ich habe sie deshalb in meinem heutigen Telegramm4 gebeten mich zu ermächtigen, parallel mit dem Stand der Hauptverhandlungen die kurzfristige Hinausschiebung des Ratifizierungstermins für das Protokoll zu gestatten5.
Der Vollständigkeit halber füge ich bei, dass der Minister mir sagte, dass die Schweiz mit oder ohne Anleihe, jedenfalls einen Teil der Pariser Kontingentsliste erhalten würde. Ich lege dieser Äusserung nur insofern Bedeutung bei, als sie vielleicht der Ausdruck des Wunsches Polens ist, eine Formel zu finden, um den Eindruck zu vermeiden, in letzter Stunde einem Drucke nachzugeben. Ich weiss durch die amerikanischen Unterhändler, dass dieser Druck, so verständlich er von unserm Standpunkt aus sein mag, hier sehr übel aufgefasst worden ist, und man kann von Glück sprechen, dass die Zeitungen bisher darüber schwiegen. Die der Regierung nahe stehenden Blätter haben die gestrigen Stockungen der Verhandlungen wegen des Emissionskurses zu ziemlich unhöflichen Ausfällen gegen die internationale Finanz benützt.
- 1
- E 2001 (D) 1/222.↩
- 2
- Nr. 335.↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Nicht abgedruckt.↩
- 5
- Das Politische Departement telegraphierte darauf im Auftrag des Volkswirtschaftsdepartémérités der schweizerischen Gesandtschaft in Warschau am 30.9.1927:1..J Dringet entschieden auf Ratifikation Pariserabkommen. Mit Hinausschiebung Termins um einige Tage nötigenfalls einverstanden. Haben gegen Beteiligung Schweizerbanken nichts einzuwenden. Ohne Ratifikation Pariserabkommens könnten diese wegen öffentlicher Meinung nicht mitmachen. Überdies wären dann Handelsbeziehungen schwierig (E 2001 (D) 1/222).↩
Tags