dodis.ch/45346
Der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, E.
Schulthess1
Zürich, 19. September 1927
Die Umfrage, zu welcher uns Ihr Schreiben vom 5. d.Mts.2 betreffend die Kündigung des Meistbegünstigungsverhältnisses mit Frankreich veranlasste, hat gezeigt, dass die durch die französischen Zollerhöhungen geschaffene Lage allgemein als unhaltbar angesehen wird. Die Schweiz muss mit Nachdruck darauf bestehen, dass in aller Bälde eine Änderung eintritt, und es ist zweifellos angezeigt, dass dies schon vor der Wiederaufnahme der Delegationsbesprechungen Frankreich mit allem Nachdruck zur Kenntnis gebracht wird. Angesichts des rigorosen Charakters der französischen Massnahmen, welche die ohnehin zu Ungunsten der Schweiz bestehende Einseitigkeit durch direkte Abdrosselungen weiter stark verschärfen, drängt sich der Gedanke an die Kündigung um so mehr auf, als diese in der handelspolitischen Praxis als keineswegs besonders ausserordentliches Mittel erscheint, um den ernstlichen Willen zu einer raschen Erzielung der Änderung der bestehenden Lage zum Ausdruck zu bringen. So wurden seinerzeit z. B. die Verhandlungen mit Italien unter den Druck der Kündigung gestellt. Immerhin ist es naheliegend und ebenfalls Übungsgemäss, in der Form der Kündigung nicht allzu schroff vorzugehen. Wir würden es der ganzen Situation vielleicht am angemessensten empfinden, wenn Frankreich in einer Note die Kündigung zwar noch nicht formell ausgesprochen, aber unmissverständlich mitgeteilt würde, dass die Schweiz sich zu diesem Schritt genötigt sehen werde, sobald die wiederbeginnenden Verhandlungen Zweifel an der festen Hoffnung aufkommen lassen würden, dass sie rasch zu einem für die Schweiz annehmbaren Ziel führen. Dieses Vorgehen, welches der Vorort als das zweckmässigste glaubt empfehlen zu sollen, wäre durchaus im Einklang mit dem Gesamtergebnis unserer Umfrage und erscheint auch taktisch richtig. Man würde sich weder irgendwie schwach zeigen noch irgendeinem berechtigten französischen Vorwurf über allzu brüskes Vorgehen aussetzen. Gleichzeitig hätte man den Vorteil, für die eigentliche Kündigung den besten Moment wählen und den Wert der Kündigung als psychologisches Druckmittel gewissermassen doppelt ausmünzen zu können, einmal im Moment der bestimmten Inaussichtstellung für den Fall nicht befriedigenden Fortgangs der Verhandlungen und sodann bei der Vornahme während der Verhandlungen selbst.