Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
12. Italien
12.5. Handelsbeziehungen
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 9, doc. 252
volume linkBern 1980
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E1004.1#1000/9#12224* | |
Titolo dossier | Beschlussprotokoll(-e) 09.02.-11.02.1927 (1927–1927) |
dodis.ch/45269 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 11. Februar. 19271 219. Handelsvertrag mit Italien
I. Nach dem Inkrafttreten des Handelsvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 27. Januar 19232 ereignete sich eine grössere Zahl von Beanstandungen bei der Verzollung schweizerischer Waren in Italien. Da bei den meisten Anständen weder auf rein administrativem noch auf diplomatischem Wege eine befriedigende Erledigung zu erzielen war, sah sich das Volkswirtschaftsdepartement schliesslich gezwungen, die Abhaltung einer Konferenz zur Besprechung der bestehenden Meinungsverschiedenheiten vorzuschlagen. Diese Konferenz hat vom 25.-28. November 1925 in Bern stattgefunden und sie endigte mit einer annehmbaren Lösung der meisten Schwierigkeiten3. Die getroffenen Vereinbarungen wurden in die Form eines Protokolls gekleidet, das erst nach der Genehmigung durch die beiden Regierungen in Kraft trat.
II. Seit der Konferenz vom November 1925 sind die Klagen der schweizerischen Exporteure über Anstände im Verkehr mit Italien noch zahlreicher geworden als vorher. Es zeigt sich italienischerseits das eifrige Bestreben, durch veränderte Auslegung des Textes von Tarifpositionen diese eines wesentlichen Teils ihres eigentlichen Inhaltes zu entkleiden. Mehrere dieser Fälle treffen nicht nur bestimmte Maschinen oder Maschinenteile, sondern ganze Gruppen von solchen, so dass die Tragweite der neuen Verfügungen oft eine sehr weitgehende ist. Was aber unsere Fabriken besonders empört, ist die Häufigkeit der Zollschikanen und willkürlichen Auslegung des Tarifs, denen sie zudem nicht selten machtlos gegenüber stehen, weil die Einleitung des Zollstreitverfahrens gewöhnlich die Entnahme von Mustern bedingt und solche vielen Sendungen (z.B. von dringend benötigten Ersatzteilen zu Maschinen oder Apparaten) nicht entnommen werden können. Ausserdem sehen die Betroffenen oft von formellen Zollbeschwerden ab, weil die Erfahrung zeigt, dass das Zollexpertenkollegium, das alle Zollanstände zu begutachten hat, wo immer möglich diejenige Auslegung wählt, die nicht nur für den Fiskus, sondern vor allem auch für die italienische Industrie am günstigsten ist. Dazu lassen die Entscheide monatelang, manchmal bis zu einem Jahre, auf sich warten, so dass der Fabrikant in der Zwischenzeit im ungewissen über den Zoll ist, den er bei Offerten in Anrechnung bringen soll.
Besonders viele Klagen hat die schweizerische Maschinenindustrie vorzubringen4 und da die Maschinen und Apparate in unserem Export nach Italien eine hervorragende Stellung einnehmen - 20-25% der Gesamtausfuhr entfallen auf diese Erzeugnisse - so kommt diesen Klagen auch eine spezielle Bedeutung zu. [...]5
III. Neben den eigentlichen Anständen gibt es aber noch verschiedene andere Fragen, die eine Aussprache erheischen. So schreibt ein Gesetzesdekret vom Januar 1926, das im Juli gleichen Jahres in ein Gesetz umgewandelt worden ist, allen öffentlichen Körperschaften sowie allen irgendwie eine staatliche Unterstützung geniessenden Unternehmen die Bevorzugung der einheimischen Industrie vor und zwar unter Androhung schwerer Strafen, die auch in Fällen, in denen vielleicht eine Berücksichtigung des Auslandes nicht ausgeschlossen wäre, manches Unternehmen davon abhalten werden, eine Bestellung im Ausland aufzugeben. Da eine Mitwirkung der italienischen Industrie bei der Ausführung des Gesetzes vorgesehen ist und diese somit von den ausländischen Offerten Kenntnis erhält, kann man sich denken, dass sie alles in Bewegung setzen wird, um in jedem Einzelfalle wenn immer möglich sich die Bestellung zu sichern. Auch von diesen Vorschriften wird, wie von den Zollschikanen, in erster Linie die ausländische Maschinenindustrie betroffen.
Im vergangenen Jahre hat ferner eine eifrige Propaganda gegen die Einfuhr eingesetzt, die besonders vom Volkswirtschaftsminister Belluzzo nachhaltig unterstützt wurde. Wenn sie auch allgemeiner Natur ist, enthält sie doch eine besondere Spitze gegen die Einfuhr von Maschinen und Apparaten, weil dies eines der Gebiete ist, auf dem sich nach Auffassung an massgebender Stelle Italien am ehesten von den Bezügen aus dem Auslande frei machen könnte. Bei der zurzeit in Italien vorhandenen straffen Organisation kann jene Propaganda nicht leicht genommen werden; denn wenn sie durch eine Kontrolltätigkeit der bestehenden Organisationen und einen mehr oder weniger gelinden Druck unterstützt würde, könnte sie für den Absatz ausländischer Produkte bedenkliche Folgen haben.
Zur Hintanhaltung des Importes sind auch Zollerhöhungen teils bereits in Kraft gesetzt worden, teils in Aussicht genommen. Bedenken erweckt ausserdem ein Projekt über die Herkunftsangabe auf Waren, die dem gleichen Zwecke dienen sollte. Einfuhrbeschränkungen wären nach einem im Monat August 1926 erlassenen Dekret ebenfalls in Aussicht genommen, doch hat man, wohl wegen der vertraglichen Bindungen und der bisherigen Stellungnahme Italiens im Völkerbund zum Problem der Einfuhr- und Ausfuhrverbote, bis jetzt von konkreten Massnahmen abgesehen. Zu erwähnen ist schliesslich die Behinderung des Zahlungsverkehrs durch die Devisenvorschriften, die allerdings soweit sie die Einfuhr trifft, mehr Begleiterscheinung als beabsichtigter Zweck zu sein scheint. Schutzgesuche dieser und jener italienischer Produktionskreise (z. B. der Käseproduzenten gegen die Einfuhr aus der Schweiz), denen nach Zeitungsmeldungen von zuständiger Seite Unterstützung in Aussicht gestellt wurde, ohne dass die Art dieser Unterstützung bereits klar zutage treten würde, erheischen ebenfalls unsere Aufmerksamkeit.
IV. Die Beschwerden der von der italienischen Tendenz der Abschnürung der Einfuhr am empfindlichsten getroffenen schweizerischen Kreise haben in letzter Zeit zu verschiedenen Malen ihren Weg in die Presse unseres Landes gefunden und sich sogar zu einem Gesuch des Vereins Schweizerischer Maschinenindustrieller um Kündigung des Handelsvertrages verdichtet, das dem Departement vom Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins einstweilen mit dem Ersuchen übermittelt worden ist, womöglich vorerst durch direkte Fühlungnahme mit der italienischen Regierung festzustellen, ob nicht auch ohne Kündigung die bestehenden Übelstände beseitigt werden könnten6.
Verschiedentlich sind auch aus den Kreisen der Industrie, der Landwirtschaft und des Gewerbes unseres Landes Wünsche um einen bessern Zollschutz laut geworden, die nur verwirklicht werden könnten, falls Italien ganz oder teilweise auf die Bindung der in Betracht kommenden schweizerischen Zölle verzichten würde. Es dürfte zweckmässig sein, festzustellen, ob und unter welchen Bedingungen Italien in eine teilweise Revision solcher vertraglicher Vereinbarungen einwilligen würde.
V. Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten und ändern schwebenden Fragen hat das Volkswirtschaftsdepartement, im Einvernehmen mit der Handelsvertragsdelegation, als opportun erachtet, Italien die Abhaltung einer neuen Konferenz vorzuschlagen. Die italienische Regierung hat die Anregung angenommen und aus verschiedenen Gründen Rom als Ort der Besprechung in Vorschlag gebracht. Die Schweiz kann dieses Begehren um so weniger abschlagen, als die letzte Konferenz vom November 1925 in Bern stattgefunden hat und es zudem in Anbetracht der zur Diskussion gelangenden wichtigen Fragen wünschbar erscheint, dass die italienische Delegation mit ihrer Regierung in ständiger Fühlung bleiben könne. Als Tag des Beginns der Besprechungen wird der 21. Februar in Aussicht genommen.
Es wird sich bei der beabsichtigten Besprechung einmal darum handeln, für eine Reihe von Anständen und Meinungsverschiedenheiten, die die Auslegung des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages und die Anwendung des italienischen Zolltarifs betreffen, eine befriedigende Lösung zu finden.
Darüber hinaus müssen wir formelle Zusicherungen dafür zu erlangen suchen, dass nicht weiterhin mit allen möglichen Mitteln eine Beeinträchtigung der Einfuhr schweizerischer Erzeugnisse herbeigeführt wird. Bei einer solchen Forderung können wir mit Nachdruck darauf hinweisen, dass die Schweiz einer der besten Kunden Italiens ist und dass die Einfuhr aus Italien in unser Land rund 2Vi mal so gross ist, wie die schweizerische Ausfuhr nach Italien.
Ferner soll sondiert werden, ob italienischerseits Geneigtheit bestehen würde, auf allfällige schweizerische Wünsche nach einer teil weisen Revision des Handelsvertrages von 1923 ohne Kündigung einzugehen und unter welchen Bedingungen. Es wird sich in dieser Hinsicht selbstverständlich nur um eine erste Fühlungnahme handeln, ohne dass irgendwelche Bindungen eingegangen würden. Die Frage einer Revision und besonders einer allfälligen Kündigung des Handelsvertrages muss von zu vielen Gesichtspunkten und Erwägungen heraus geprüft werden, als dass es möglich oder opportun wäre, sie im Rahmen der bevorstehenden Besprechung zum Austrag zu bringen.
Antragsgemäss wird beschlossen:
1. Vom Bericht des Volkswirtschaftsdepartements wird in zustimmendem Sinne Vormerkung genommen.
2. Die Herren Direktor Stucki, Chef der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, und Oberzolldirektor Gassmann werden ermächtigt, im Sinne der Darlegungen des Departements über die einzelnen Fälle von Schwierigkeiten im Handelsverkehr zwischen der Schweiz und Italien im allgemeinen und in der Auslegung und Anwendung des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages im besondern, mit der italienischen Regierung zu verhandeln, sowie bezügliche Vereinbarungen unter Vorbehalt der Ratifikation durch den Bundesrat zu treffen und zu unterzeichnen. Die Frage einer allfälligen Revision des Handelsvertrages soll dagegen nur erörtert werden, ohne dass irgendwelche Bindungen eingegangen würden.
3. Den genannten Herren Delegierten wird ein Protokollauszug als Weisungen des Bundesrates für die Besprechungen zugestellt7.
- 1
- E 1004 1/302. 1.Abwesend: Musy und Schulthess.↩
- 2
- AS 1924, NF 40, S.105ff.↩
- 3
- Vgl. dazu GBer 1925, S.495.↩
- 4
- Mit Schreiben an die Handelsabteilung vom 22.1.1927 beklagte sich die Maschinenfabrik Oerlikon über die Verletzung des Handelsvertrages und führte aus: [...] Wir erlauben uns kein Urteil über die Nützlichkeit von Konferenzen. Aber es scheint uns, dass die italienischen Delegierten unter dem Drucke des Diktators stehen, dem zu widersprechen sie den Mut nicht finden werden. Wohl werden sie versprechen....... aber nachher gehts genau wie vorher. Das einzige Mittel, uns Recht zu verschaffen, ist die Drohung den Handelsvertrag zu kündigen, und wenn das nichts hilft, die Ausführung dieser Drohung. Verlieren kann die Schweiz dabei nichts. Alle Artikel, die wir heute so haufenweise aus Italien beziehen, sind ebenso gut von Frankreich und Spanien erhältlich. Seide werden uns die Italiener nur zu gerne weiter liefern gegen unsere Schweizerfranken. Durch das Gewährenlassen der heutigen Zustände wandern mehr und mehr Industrien nach Italien ab und wie wir wissen, sind solche ausgewanderten Industrien die grössten Feinde der einheimischen Industrie. [...] ( E 7110 1/80).↩
- 5
- Es schliesst eine Schilderung von Einzelfällen an.↩
- 6
- E 7110 1/80; Schreiben des Vororts an Schulthess vom 27.1.1927.↩
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