dodis.ch/45256
Der schweizerische Gesandte in
Berlin,
H.Rüfenacht, an den Vorsteher des Politischen Departementes,
G. Motta1
Persönlich und vertraulich
Berlin, 15. Dezember 1926
Ich beehre mich, den Empfang Ihres persönlichen und vertraulichen Schreibens vom 8. ds.2 zu bestätigen. Wenn ich dies nicht schon früher tat, so liegt der Grund darin, dass ich Ihnen wenn möglich gleichzeitig über eine nochmalige Unterredung mit Herrn von Schubert berichten wollte, dieser aber bekanntlich in Genf war. Er ist nun gestern nachmittag nach Berlin zurückgekehrt, und ich hatte noch gleichen Abends Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.
Ihre Frage, ob es sich bei der Ihnen von mir gemeldeten Mitteilung des Staatssekretärs an mich betreffend eine japanische Intervention vielleicht um einen Versuchsballon gehandelt habe, glaube ich verneinen zu dürfen. Herr von Schubert zeigte sich nämlich aufrichtig erstaunt darüber, dass der japanische Vertreter den erwarteten Schritt nicht unternommen habe; denn dass er erfolgen werde, sei ihm vom Generalsekretär des Völkerbundes bei dessen Besuch in Berlin erklärt worden. Er, Herr von Schubert, habe allerdings in Genf darauf verzichtet, den Generalsekretär oder den japanischen Vertreter an die Angelegenheit zu erinnern, dies aber nur, weil er mit den deutschen Ansprüchen wegen der Militärkontrolle usw. Arbeit und Sorgen genug gehabt habe.
In der Sache selbst bezeichnet es Herr von Schubert nach wie vor als wünschenswert, dass der Konflikt beigelegt werde. Zwar sei ja für die Wirtschaftskonferenz trotz der russischen Haltung Genf als Konferenzort bestimmt worden; er selbst habe dies als Referent beantragt, mit der Begründung, dass man auf die Reibungen zwischen zwei Staaten nicht Rücksicht nehmen könne. Allein für die Abrüstungskonferenz wäre es doch sehr notwendig, dass Russland an ihr teilnehme, da sonst ein ernsthaftes Resultat von vornherein nicht zu erwarten sei. Meine Bemerkung, dass Russland wohl gerade deshalb den Konflikt mit der Schweiz gerne weiter bestehen lasse, liess Herr von Schubert nicht gelten. Er habe kürzlich auch mit Tschitscherin darüber gesprochen und dabei den Eindruck gewonnen, dass dieser die Beilegung des Konfliktes wirklich wünsche, aber glaube, aus Prestigegründen an den gestellten Bedingungen festhalten zu müssen. Um zu sondieren, ob allfallig die Deutsche Regierung daran denke, nunmehr ihre guten Dienste anzubieten, fragte ich Herrn von Schubert, ob er in Genf, nachdem Japan sich nicht gerührt habe, etwas von der Initiative eines ändern Landes gehört habe. Er verneinte dies, fügte aber bei, dass er die Frage im Auge behalten und mich über allfallige Anregungen auf dem Laufenden halten wolle. Bei dem wiederholt geäusserten Interesse, das Deutschland wegen der Abrüstungskonferenz an der Beilegung des schweizerisch-russischen Konfliktes hat, würde es meines Erachtens nur eines kleinen Anstosses bedürfen, um die Deutsche Regierung zu veranlassen, einen bezüglichen Versuch zu unternehmen bezw. bei der Russischen Regierung zu sondieren, wie diese sich einem deutschen VermittlungsVorschlag gegenüber verhalten würde. Nach den Äusserungen des Herrn von Schubert zweifle ich allerdings daran, dass eine Verständigung auf dem von Ihnen skizzierten Boden, d.h. lediglich durch Fallenlassen des russischen Boykottes einerseits und der schweizerischen Grenzsperre andererseits erzielt werden kann.