dodis.ch/45254
Der schweizerische Gesandte in
Berlin,
H.Rüfenacht, an den Vorsteher des Politischen Departementes,
G. Motta1
Vertraulich
Berlin, 7. Dezember 1926
Ich schrieb Ihnen am 1. ds.2, dass evtl. Japan seine guten Dienste für die Schlichtung unseres Konfliktes mit Russland anbieten werde und meldete ferner in meinem Politischen Bericht vom 4. ds.3, dass der hiesige Englische Botschafter sich bei Prof. Stein nach dem Stand dieser Angelegenheit erkundigt und die Wünschbarkeit einer Verständigung betont habe.
Wenn die Haltung Tschitscherins in dieser Angelegenheit die Stellungnahme seiner Regierung wiedergibt, so dürfte aber die Aussicht auf eine für die Schweiz annehmbare Beilegung gering sein.
Tschitscherin hat auf der hiesigen Russischen Botschaft einen Presseempfang gegeben, an dem er sich über die russische Politik und das Verhalten seines Landes zu ändern Staaten äusserte und dabei der Schweiz gegenüber sehr unfreundliche Ausdrücke fand. Ich übermittle Ihnen beiliegenden Bericht in der «Vossischen Zeitung» No 577 von heute und in der «B.Z. am Mittag» No 333 ebenfalls von heute.
Professor Stein, der dem Empfang beiwohnte und sich nach seiner Aussage besonders an der Fragestellung an Tschitscherin beteiligte, besuchte mich soeben, um mir den von ihm herrührenden Bericht in der B.Z. mündlich zu ergänzen. Er sagte mir, dass die Äusserungen des russischen Kommissärs gegenüber der Schweiz nicht nur im Inhalte, sondern auch im Ton sehr unfreundlich gewesen seien. Er hat den Eindruck, dass diese Haltung nicht nur allein der persönlichen Auffassung von Tschitscherin entspreche, sondern auf die Weisung von Stalin zurückzuführen sei. Dieser habe sich offenbar, im Gegensatz zu Krassin, hauptsächlich nach dem Osten eingestellt. Wenn der Westen sich gegenüber Russland ablehnend verhalte, so lasse Russland ihn eben liegen und suche sein Aktionsfeld wieder vermehrt in Indien, Persien und China. Daher auch die verschärfte Absage an den Völkerbund und im Zusammenhang damit die Betonung der Differenz mit der Schweiz.