Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
12. Italien
12.5. Handelsbeziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 233
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#343* | |
Old classification | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 80 | |
Dossier title | Handelsvertrag mit Italien: Allgemeines (1926–1927) | |
File reference archive | 8.2.1 • Additional component: Italien |
dodis.ch/45250
Der schweizerische Gesandte in Rom, G. Wagnière, an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, E. Schulthess1
Unser Bericht über die Besprechungen, welche wir in Ihrem Aufträge mit den hiesigen zuständigen Behörden geführt haben, um sie auf das Unbefriedigende der gegenwärtigen Lage unserer Handelsbeziehungen mit Italien besonders aufmerksam zu machen und eine Besprechung zwischen Delegierten beider Länder anzubahnen, hat sich leider mehr verzögert, als wir dies gewünscht hätten2. Herr Generaldirektor Di Nola war bis vor kurzem abwesend und nach seiner Rückkehr musste der Meistbegünstigungsvertrag mit Griechenland abgeschlossen und unterzeichnet werden.
Es hat nun vorgestern nach unserer ersten Besprechung mit Herrn Ciancarelli, dem Vorsteher des «Ufficio Coordinamento Economico» beim Ministerium des Auswärtigen, eine Konferenz stattgefunden, an welcher auf italienischer Seite die Herren Ciancarelli und Di Nola und unsererseits der Unterzeichnete und Herr Legationsrat von Sonnenberg teilnahmen.
Gestützt auf die Instruktionen, welche uns in Bern anlässlich unserer Unterredung gegeben wurden und auch die Orientierungen der Handelsabteilung über die einzelnen Punkte, in welchen sich bei uns die Missstimmung besonders geltend macht, wurde den beiden italienischen Vertretern in Anlehnung an die Notiz der Handelsabteilung vom 10. November 19263 die Sachlage in einer dem Umstande angepassten dringenden Form auseinandergesetzt.
Zunächst betonten wir die Notwendigkeit, Aufklärungen und wenn nötig zweckdienliche Garantien zu erhalten, mit Bezug auf die verschiedenen Dekrete, welche eine Erschwerung der Handelsbeziehungen mit dem Auslande nach sich gezogen haben (Bevorzugung der nationalen Waren, Behinderung des Zahlungsverkehrs, Propaganda gegen die Einfuhr, Zwangsbestimmungen für italienische amtliche Stellen).
Als weiteres Begehren erläuterten wir die erhebliche Zahl der vorliegenden Zollkontroversen, welche dadurch bedingt werden, dass die italienischen Zollbehörden bei der Anwendung unseres Handelsvertrages sich beinahe durchwegs durch einschränkende und auch schikanöse Richtlinien leiten lassen. Schliesslich wurde auch Veranlassung genommen, den italienischen Vertretern zu zeigen, dass sich die Verhältnisse hinsichtlich der Einfuhr in die Schweiz von einigen wichtigen Produkten, wie Automobile, Kunstseide, u.s.w., erheblich geändert haben und zwar vielfach infolge von Massnahmen, die von ändern Staaten und auch von Italien selbst getroffen wurden, so dass unsere Zollansätze nicht mehr derart sind, dass sie tatsächlich als der Sachlage angepasst betrachtet werden können. Es ergebe sich daraus die Notwendigkeit für uns, unsere Besprechungen, welche im Verlaufe des Jahres zu keinem Ziele führen konnten, nun ernstlich aufzunehmen.
Auf unsere Ausführungen antwortete vorgehend Herr Di Nola, und er sprach zunächst von den obengenannten Dekreten allgemeiner Natur und wies darauf hin, dass keines derselben den Rahmen des Zulässigen in der italienischen Gesetzgebung und mit Rücksicht auf die internationalen Verträge überschreite. Andere Länder hätten auf diesem Gebiete zur Durchführung ihrer wirtschaftlichen Sanierung und zur Hebung der Devisen Verfügungen getroffen, die sehr viel weiter gehen. So z.B. Frankreich, Deutschland und zum Teil auch die Vereinigten Staaten. Die Propaganda zum Schutze der einheimischen Produkte werde durchwegs vorgenommen, und Italien hätte mit seinen Dekreten und den bekannten Sanktionen nur bezweckt, dieser ganzen Aktion einen bestimmten Rahmen zu zeichnen, so dass dadurch der Einfuhr aus dem Auslande tatsächlich auch Garantien eingeräumt werden.
In der Angelegenheit der Erschwerung der Einfuhr durch Behinderung des Zahlungsverkehrs argumentieren die italienischen Vertreter dahin, dass das Vorgehen der italienischen Regierung nur eine temporäre Aktion im Sinne der vielgenannten «Battaglia della Lira» bedeute. Die derzeitigen Einschränkungen im Zahlungsverkehr sollen eine Aufwertung der italienischen Lira nach sich ziehen und damit gewissermassen die Einfuhr schweizerischer Produkte nach Italien erleichtern, indem die gegenwärtig starken Preisdifferenzen dadurch abgeschwächt werden. Man scheint auf italienischer Seite uns beinahe darauf hinweisen zu wollen, dass die derzeitigen Schwierigkeiten in gewisser Hinsicht sogar im Interesse unserer Exporteure liegen. Natürlich wurde nicht ermangelt, auf diese Ausführungen zu antworten, und besonders erklärten wir, dass es im Interesse einer normalen Abwicklung unserer Handelsbeziehungen und zur Sicherheit der schweizerischen Lieferanten und der italienischen Abnehmer unbedingt erforderlich sei, über den Umfang und die Einzelheiten sämtlicher Hemmungsbestimmungen in der Weise orientiert zu werden, dass nicht wie gegenwärtig stetsfort Missverständnisse über die Tragweite der Verfügungen vorliegen und damit den Abschluss von Geschäften verunmöglichen. Die italienischen Vertreter erwiderten darauf, dass diese Aufschlüsse von den zuständigen Stellen (sie selbst waren nicht auf dem Laufenden) eingeholt werden müssen und der Gesandtschaft mitgeteilt werden könnten. Nun wissen wir aus Erfahrung, wie lange diese Orientierungen auf sich warten lassen, so dass wir darauf dringen, dass die fraglichen Auskünfte in verbindlicher Form einer Delegation gegeben werden.
Bezüglich der Zollkontroversen und der Haltung des Expertenkollegiums stellt Herr Di Nola neuerdings darauf ab, dass das betreffende Kollegium, welches durch gesetzliche Bestimmung eingesetzt ist, einzig und allein zuständig sei, zur Lösung der betreffenden Streitfälle, so dass nur in beschränktem Masse in einer Konferenz über die einzelnen Fälle gesprochen werden könnte, namentlich dann, wenn sie schon auf administrativem Wege dem Kollegium unterbreitet worden sind. Wir erwähnten hier die Verhandlungen vom November 1925 und die Erledigung verschiedener Anliegen, welche damals erzielt werden konnte.
Viel einschneidender selbstverständlich für Italien ist die Frage der Möglichkeit einer Vertragsrevision, mit Rücksicht auf einige Positionen, die in unserem Vertrag mit Italien gebunden sind. Herr Di Nola sprach sich dahin aus, dass unsere Begehren für die Freigabe der Bindung unserer Automobilzölle und Kunstseidenzölle ein Gebiet betreffe, das für die italienische Volkswirtschaft von ganz besonderer Wichtigkeit sei und dass die italienische Regierung in diesen Fragen mit den betreffenden Industriekreisen, an welche s. Zt. Versprechungen abgegeben wurden, Fühlung nehmen müsste.
Wenn auch von einer ablehnenden Haltung der beiden italienischen Vertreter mit Bezug auf eine Konferenz nicht gesprochen werden kann, stellen wir doch fest, dass versucht wird, die Besprechung zu umgehen, und man bestrebt sich, uns zu zeigen, dass eine Abklärung der Verhältnisse und entsprechende Modifikationen nicht notwendig seien und auch gegebenenfalls auf rein diplomatischem Wege behandelt werden könnten. Es war natürlich für uns ein Leichtes, den beiden Herren auseinanderzusetzen, wie auch wir wohl verstehen können, dass die Konferenz für Italien keiner Notwendigkeit entspreche, dass von schweizerischer Seite aber unbedingt darauf beharrt werden müsse, wenn nicht eine Sachlage eintreten sollte, für welche wir die Verantwortung nicht übernehmen möchten. Ferner wurde unsererseits dargelegt, dass es im beidseitigen Interesse liege, angelehnt an die guten und freundschaftlichen politischen Beziehungen, auch auf wirtschaftlichem Gebiete ein Einvernehmen zu schaffen, in welchem die Auswirkung des Handelsvertrages für beide Teile der Billigkeit entspreche.
Die beiden Vertreter und namentlich Herr Di Nola Hessen dann durchblicken, dass vielleicht doch ein Programm bezw. eine Begehrenliste aufgestellt werden sollte, wogegen wir einwandten, dass es sich doch zuerst um eine vertrauliche Fühlungnahme handle, ftir welche kein besonderes Programm auszuarbeiten sei, umso mehr als doch schon in dieser Unterredung alle nötigen Angaben gemacht worden seien.
Schliesslich wies der Unterzeichnete darauf hin, dass er bereit sei, die Wünschbarkeit einer Konferenz Herrn Mussolini selbst persönlich vorzutragen und ihm zu zeigen, dass die gegenwärtige Sachlage eine solche erheische.
Die Vertreter des Ministeriums des Auswärtigen und des Volkswirtschaftsministeriums erwiderten darauf, dass sie sofort mit ihren Ministern Rücksprache nehmen werden, um uns dann zu Ihren Händen mitzuteilen, ob die Konferenz zu Anfang des Jahres in Aussicht genommen werden kann, in welcher Form und eventuell welche Vorbereitungen dafür zu treffen wären.
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