Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
7. Völkerbundsrat
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 167
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#298* |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 298 |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates Januar - März 1926 (1926–1926) |
dodis.ch/45184
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 2. März 19261
344a. Völkerbundsrat. Vermehrung der Mitglieder
Der schwedische Gesandte hat dem politischen Departement mündlich eröffnet, er sei von seiner Regierung beauftragt, den Bundesrat wissen zu lassen, dass die Regierungen von Norwegen, Dänemark, Belgien und Holland den Standpunkt teilen, den Schweden in der nächsten Tagung des Völkerbundsrates dadurch zur Geltung zu bringen gewillt ist, dass es sich jeder Vermehrung der Mitglieder des Völkerbundsrates, abgesehen von der Zuteilung eines neuen ständigen Sitzes an Deutschland bei dessen Aufnahme in den Völkerbund, widersetzen werde. Norwegen und Holland haben hievon das englische auswärtige Amt durch ihre Gesandten in London in Kenntnis setzen lassen, und die schwedische Regierung frage an, ob nicht auch der Bundesrat seinen Gesandten in London beauftragen wolle, einen solchen Schritt zu tun.
Nach Berichten aus Berlin muss die deutsche Delegation zur ausserordentlichen Völkerbundsversammlung vor ihrem Erscheinen in Genf Gewissheit darüber haben, dass Deutschland bei seinem Eintritt in den Völkerbund ein ständiger Ratssitz eingeräumt wird und dass mindestens zur Zeit keine Vermehrung der ständigen Ratssitze vorgenommen wird. Sollte sie diese Gewissheit nicht erlangen, so würde sie vor den Toren Genfs wieder umkehren; denn ein Misserfolg in einem dieser beiden Punkte würde den Beitritt Deutschlands zum Völkerbund unmöglich machen.
Berichten aus London ist zu entnehmen, dass die Regierung von verschiedenen Seiten, so namentlich von der sehr zahlreichen Parlamentarischen Völkerbundsvereinigung, bestürmt wird, eine Vermehrung der ständigen Ratsmitglieder abzulehnen, wie denn überhaupt die öffentliche Meinung Englands immer deutlicher gegen eine solche Vermehrung Stellung nimmt. Eine englische Regierungserklärung ist am Donnerstag zu erwarten. Schweden bleibt fest entschlossen, gegen die Vermehrung Einspruch zu erheben unter Ausschluss jeden Zugeständnisses. Sein Gesandter hat dies dem auswärtigen Amt in London verschiedentlich kundgegeben. Norwegen Hess wissen, dass es den schwedischen Standpunkt teile, Finnland soll einen ebensolchen Schritt getan haben. Von Dänemark ist ein solcher Schritt zur Zeit noch nicht geschehen und Holland scheint es seinem Gesandten anheimgestellt zu haben, ob er dem Auswärtigen Amt in London eine ähnliche Eröffnung machen wolle. Sir William Tyrrell in Downing Street ist, mit der Drummondschen Begründung, durchaus für die Vermehrung der Ratsmitglieder durch Zuwendung eines ständigen Sitzes an Spanien, eines nichtständigen an Polen. Berlin vertraut auf Schweden, wird sich aber wohl kaum immer der Einräumung eines ständigen Sitzes für Spanien widersetzen.
Der Gesandte in London wäre bereit, die Stellungnahme des Bundesrates dem Auswärtigen Amt zur Kenntnis zu bringen.
Der Vorsteher des politischen Departements erinnert daran, dass der Bundesrat sich früher schon gegen die Erweiterung des Völkerbundsrates ausgesprochen hat auf Grund der Erwägung, dass der erweiterte Rat die Bedeutung der Völkerbundsversammlung zum Schaden des Völkerbunds wesentlich beeinträchtigen würde. Der Wettlauf um die Ratssitze (Spanien, Polen, Brasilien, China), der gegenwärtig stattfindet, bestätige die Richtigkeit dieser Auffassung.
Wenn der Bundesrat einen Schritt in London tun wollte, um seine wohl auch heute noch gültige Meinung zur Geltung zu bringen, so müsste es bald geschehen. Allein ein solcher Schritt scheint dem Vorsteher des politischen Departementes nicht geboten. Die öffentliche Meinung in der Schweiz ist in dieser Frage, die übrigens die Presse viel zu wenig in Anspruch nimmt, nicht einheitlich. Auch wäre kaum einzusehen, warum ein solcher Schritt gerade in London und nicht bei einer ändern, im Völkerbundsrat ständig vertretenen Regierung gemacht werden sollte. Der einzige Grund hiefür ist der, dass diese ändern Regierungen eher für die Vermehrung der Sitze im Rat eingenommen sind, während in England die Regierung unentschlossen, die öffentliche Meinung aber gegen die Erweiterung ist. Da nun aber der britische Aussenminister der Erweiterung zustimmt, so bekäme ein Schritt der Schweiz im gegenteiligen Sinne eine unangenehme Spitze gegen den Aussenminister persönlich. Einer Erklärung der Schweiz in London käme kaum grosse Bedeutung zu. Die Schweiz könne eine öffentliche Stellungnahme in dieser Angelegenheit ruhig bis zu dem Zeitpunkt verschieben, wo die Frage in der Völkerbundsversammlung zur Sprache kommt, was bekanntlich erst dann eintritt, wenn der Völkerbundsrat sich einstimmig für die Erweiterung des Rats entschieden haben wird. Tritt aber dies einmal ein, dann ist nicht daran zu zweifeln, dass auch in der Völkerbunds Versammlung die erforderliche Mehrheit für die Erweiterung schon vorhanden ist. Unter diesen Umständen werde die Schweiz, die den Völkerbund beherbergt, besser tun, nicht ohne Not Vorkehren zu treffen, die einflussreichen Mitgliedern des Völkerbunds unangenehm sein dürften.
In der Beratung wird geltend gemacht, Schwedens Anfrage erheische natürlich eine Antwort. Diese könnte nun dahin gefasst werden, dass die Schweiz den Standpunkt einnehme, es sollte an der nächsten Völkerbundsversammlung ausser der Zuteilung eines ständigen Ratssitzes an Deutschland kein anderes derartiges Gesuch behandelt werden. Dabei könnte Schweden ermächtigt werden, von dieser Stellungnahme der Schweiz in London Kenntnis zu geben. Auf diese Weise würde der Zukunft nicht vorgegriffen und der Bundesrat nähme zur gegenwärtigen Sachlage derart Stellung, dass für keinen der Beteiligten ein Anlass zu Missstimmung gegeben würde.
Von anderer Seite wird betont, die Rücksichten auf den Sitz des Völkerbunds in der Schweiz müssen doch bei der Stellungnahme des Bundesrates in einer Angelegenheit von dieser Bedeutung zurücktreten. Es bestehe kein Grund, zu verschweigen, dass der Bundesrat grundsätzlich gegen jede Vermehrung des Rates sei, auch dann, wenn Deutschland späterhin einmal mit einer Vermehrung einverstanden sein sollte. Eine solche Mitteilung an den schwedischen Gesandten wäre durchaus unverfänglich, sie würde Schweden in seiner Haltung bestärken und wohl von der überwiegenden Mehrheit des Schweizervolkes gebilligt werden. Es wäre kaum nötig, beizufügen, Schweden könne von dieser Mitteilung in London Kenntnis geben.
Von dritter Seite wird, ohne dass ein Antrag gestellt würde, eingewendet, es scheine doch besser, da eine Stellungnahme in der Frage nicht unumgänglich nötig sei, von einer solchen abzusehen; es wäre doch möglich, dass dem Völkerbund späterhin einmal ein starker Rat selbst bei etwelcher Minderung der Bedeutung der Versammlung dienlicher wäre, als der jetzige Zustand, und Polen, ein Bollwerk gegen den Bolschewismus, neben Deutschland im Rat vertreten zu sehen, wäre vielleicht nicht unerwünscht.
Darüber, dass der schweizer. Gesandte in London keinen Schritt beim Auswärtigen Amt tun soll, herrscht Übereinstimmung.
Auf Grund der Beratung wird beschlossen:
Der Vorsteher des politischen Departements wird ermächtigt, den schwedischen Gesandten auf seine Anfrage mündlich wissen zu lassen, dass der Bundesrat auf seinem, eine Erweiterung des Völkerbundsrates grundsätzlich ablehnenden Standpunkt verharre, es dagegen nicht als zuträglich erachte, durch den schweizer. Gesandten in London beim Auswärtigen Amt in dieser Sache einen Schritt tun zu lassen.
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- E 1004 1/298.↩