Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
22. Russland
22.1. Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 134
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1507#124* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1507 9 | |
Dossier title | Private Besprechungen Prof. Töndury mit dem russ. Botschafter Krestinski in Berlin betr. die Beziehungen der Schweiz zu Soviet-Russland (1926–1926) | |
File reference archive | B.15.11 • Additional component: Russland |
dodis.ch/45151
Ihrem Wunsche entsprechend, beehre ich mich, Ihnen im Folgenden kurz über meine Unterredung mit dem russ. Botschafter in Berlin, Herrn Krestinski, Samstag, den 5. Dezember in Berlin zu berichten.
Wie ich Ihnen bereits mündlich mitzuteilen die Ehre hatte, ging die Initiative zu dieser Unterredung von zwei Herren aus, von welchen der eine, ein deutscher Staatsangehöriger, Hegershausen, die Zwischenperson für russische Bestellungen in der Schweiz macht, während der andere, Herr Dr. Boris Schönfeldt, russ. Staatsangehöriger, als Vertrauensmann Krestinski’s anzusehen ist. Die beiden besuchten mich verschiedene Male im Hotel und suchten mich zu veranlassen, bei dem Botschafter vorzusprechen, was ich erst am letzten Tage und unter Beobachtung der Ihnen bekanntgegebenen Vorsichtsmassregeln gegen Indiskretion oder falsche Auffassung meiner Person, oder meiner Absicht, tat.
Ich hatte jedoch schon vorher Gelegenheit gehabt, Herrn Dr. Sch.2 meine Ansicht über die Situation auseinanderzusetzen. Ich erklärte ihm insbesondere, dass der Boycott als solcher uns durchaus nicht interessiere und dass die Russen jede Hoffnung aufgeben müssten, denselben als Pressionsmittel uns gegenüber gebrauchen zu können. Ich sagte ihm, dass kein Mensch in der Schweiz, abgesehen von unsern zwei Kommunisten, diesen Boycott anders denn als eine Unverschämtheit aufgefasst hätte und erinnerte ihn an die Plünderung unserer Gesandtschaft in Petersbourg. Wer in einem Glashause sitze, solle nicht mit Steinen um sich werfen. Man zitierte mir Schweiz. Firmen, die in Bern vorstellig geworden seien: Sulzer, Maschinenfabrik Oerlikon, Zenith u. a., worauf ich sagte, dass so, wie ich diese Firmen kenne, sie wohl kaum vom Bundesrat etwas verlangen würden, was den Interessen des Landes zuwiderläuft. Es war sodann viel die Rede von dem Interesse, dass die Schweiz an der Wiederaufnahme der Beziehungen haben könnte. Ich antwortete, dass unser direkter Handel mit Russland vor dem Kriege kaum 3% unseres Aussenhandels betragen hätte und dass, selbst wenn man den indirekten Export hinzufüge, man noch immer nicht auf einen Prozentsatz komme, der uns zu irgendwelchen Schritten veranlassen könnte. Dazu komme, dass der Boycott gegen die Schweiz und später gegen Deutschland gezeigt habe, dass der Handelsverkehr mit Russland ein sehr unsicheres Ding sei, das jederzeit durch politische Momente gestört werden könne, sodass auch in dieser Beziehung eventuelle Hoffnungen in unserer Kaufmannschaft stark herabgeschraubt worden seien. Ich liess deutlich erkennen, dass blosse Versprechungen nichts bedeuten und dass wir gegebenen Falls auch für den Handelsverkehr mit sichereren Daten zu tun haben möchten. Ich wies sodann darauf hin, dass es nicht angängig sei, immer nur von den Interessen der Schweiz an einer Wiederaufnahme der Beziehungen zu sprechen, da die Interessen Russlands mindestens ebenso gross seien. Schönfeldt widersprach nicht, dass russischerseits ein gewisses Interesse vorhanden sei. Im weiteren Verlaufe der Gespräche war dann vielfach von der bevorstehenden Abrüstungskonferenz die Rede, die die Russen stark zu interessieren scheint und an der sie allem Anschein nach sehr gerne teilnehmen würden, aus Gründen, die hier nicht zu erwähnen sind. Es scheint mir unzweifelhaft, dass die Perspektive dieser Konferenz z. Z. den Russen den Bruch mit der Schweiz besonders unangenehm erscheinen lässt.
Schönfeldt berichtete, wie ich mich überzeugen konnte, den wesentlichen Inhalt unserer Gespräche dem Botschafter, der also, als ich zu ihm kam, bereits ziemlich deutlich wusste, was ich ihm sagen würde. K.3 war ausserordentlich liebenswürdig, aber etwas aufgeregt. Er spricht auch schlecht deutsch, sodass unsere Unterredung hie und da etwas erschwert wurde. Ich führte mich ein, indem ich darauf hinwies, dass ich nur auf Drängen der Herrn Schönfeldt und Hegershausen gekommen und dass mir dies nicht leicht geworden sei.
K. seinerseits kam beinahe sofort auf den Boycott zu sprechen. Er könne mir zwei Mittel angeben, um denselben aufzuheben: entweder Entschuldigungen oder unbedingte Anerkennung «de jure». Ich sagte ihm ungefähr dasselbe wie Schönfeldt: zu Entschuldigungen sei unsererseits kein Anlass vorhanden, und im übrigen interessiere uns der Boycott nicht genügend, um irgend etwas zu seiner Aufhebung zu unternehmen. K. kam dann auf das Interesse der Schweiz an normalen Beziehungen mit Russland zu sprechen; ich wiederholte, dass dieses Interesse zum mindesten beidseitig sei. Auch er stellt dies nicht in Abrede, meinte aber - dann sollten wir eben Russland anerkennen. Ich antwortete, das hätten wir vielleicht gekonnt, bevor der Boycott bestand; von dem Momente an, wo der Boycott über uns ausgesprochen worden sei, sei es uns aber unmöglich, unsererseits einen solchen Schritt zu tun. Die Russen hätten selbst das Hindernis geschaffen. Krestinski antwortete: Wir haben Sie boycottiert und Sie haben uns boycottiert, das hebt sich auf (es ist dies der Standpunkt, den ich letztes Jahr vertrat, der aber damals den Russen zu wenig weit ging). Ich antwortete hierauf nicht weiter.
K. kam dann auf die Idee einer gegenseitigen Anerkennung, d. h. einer im gegenseitigen Einverständnis erfolgenden Wiederaufnahme der Beziehungen. Ich sagte, dass diese Idee meinen persönlichen Ansichten entspreche, vorausgesetzt, dass man dabei nicht wieder auf Worowski und Boycott zu sprechen komme, die beide ausser jeder Diskussion fallen, und dass es auch nach aussen klar zur Erscheinung trete, dass ein gemeinsames Einverständnis und nicht etwa ein einseitiger Schritt der einen oder ändern der zwei Parteien vorliege. K. antwortete, dass in diesem Falle die alten Sachen (gemeint sind die Affaire W.4 und der Boycott) vergessen werden könnten. Für die Form meinte er, könne man einen Notenwechsel oder so etwas vorsehen. Ich sagte, bei einem Notenwechsel müsste einer anfangen, was wir wohl kaum tun würden, besser wäre daher die Form eines von beiden Teilen Unterzeichneten Protokolls, welches am Schluss irgendwelcher offiziöser oder anderer Besprechungen, als Produkt derselben, aufgestellt würde. Er sagte: Ach ja, das können wir ja auch! (er dachte wohl an das famose Protokoll, durch welches der deutsch-russ. Zwischenfall erledigt wurde). Ich fuhr weiter, indem ich sagte, dass, wenn der Bundesrat auf eine derartige Lösung eingehen würde, so scheine es mir immerhin ziemlich sicher, dass er die Wiederaufnahme der Beziehungen in irgendeiner Form den eidg. Räten vorlegen müsste, und diese möchten wahrscheinlich wissen, was für Folgen die Wiederaufnahme haben würde. K. unterbrach mich, indem er sagte, Russland könnte nur eine bedingungslose Anerkennung annehmen. Ich antwortete, dass es sich nicht um Bedingungen handeln würde, sondern um Punkte, die ebenfalls im gemeinsamen Einverständnis, wenigstens summarisch, geregelt werden und im Protokoll aufgenommen werden müssten. K. erklärte, er könne mit mir über keine solche Punkte verhandeln, da er als offizielle Persönlichkeit seine Regierung binden würde, während ich als Privatmann niemand verpflichte. Ich sagte, ich sei durchaus bereit, seine Äusserungen als durchaus privat zu betrachten, es sei dies der einzige Weg, um uns auszusprechen. Er wiederholte, dass er über keine Einzelfragen sprechen könne, Tschitscherin würde ihm Vorwürfe machen etc. Übrigens hätten sie in dem von mir erwähnten Fall dann auch ev. einige Punkte für das Protokoll, z.B. die Angelegenheit Worowski. Ich antwortete sofort, dass von dieser überhaupt nicht gesprochen werden dürfe, im übrigen wolle er ja keine Einzelfragen diskutieren. Wenn er aber doch bestimmte Punkte ausser der Worowski-Sache im Auge habe, so könne man darüber ja sprechen. Wir möchten auf jeden Fall, dass über die Schuldenfrage und deren Erledigung etwas im Protokolle stehe. Krestinski: Wenn Sie rasch machen und vor vier Wochen kommen, werden wir vielleicht zugeben, dass diese Frage offengelassen wird, nachher werden wir in dieser Beziehung überhaupt nichts mehr gewähren. Ich lachte - und er auch. Kurz darauf war die Unterredung zu Ende.
Sie brachte, wenn man will, nicht viel Neues. Immerhin glaube ich, dass die Idee einer Aufnahme der Beziehungen auf Grund eines durch ein Protokoll bestätigten gemeinsamen Einverständnisses einen gangbaren Ausweg aus der Sackgasse bedeutet, in welche jede Diskussion der Angelegenheit Worowski uns beide unweigerlich führen muss. Zu bemerken ist dabei, dass K. seine Weigerung, gewisse Punkte in diesem Protokoll mitzuregeln resp. deren Regelung in gewissen Formen vorzusehen, nicht eigentlich aufrecht erhielt und dass er seine Ablehnung, diese Punkte heute schon zu besprechen, nur damit begründete, dass ich Privatmann sei. Er Hess deutlich durchblicken, dass, wenn ich mit irgendwelchen Vollmachten kommen würde, eine solche Diskussion wohl möglich sei, und ich glaube daher, dass die Idee wenigstens einer Prüfung wert wäre. Es ist nicht zu vergessen, dass es sich bei der Regelung der Beziehungen zwischen Russland und der Schweiz ja nicht bloss um diese beiden Länder, sondern zugleich auch um das Verhältnis Russlands zum Völkerbund und damit auch um die Frage seiner westlichen Orientierung handelt. Das ist mir in Berlin, speziell in meinen Besprechungen mit Dr. Sch., sehr deutlich geworden.
Indem die Schweiz den obengenannten kleinen Ausweg annimmt, kann sie unter Umständen in ganz bedeutendem Masse zu der Entspannung beitragen, die in Locarno in Bezug auf Deutschland ihren Anfang nahm und naturgemäss auch Russland umfassen muss, wenn sie dauernd wirksam sein soll.
Die Formel des «gemeinsamen Einverständnisses» hätte den Vorteil, dass keine der beiden Parteien in irgendeiner Weise sich etwas zu vergeben braucht, wie dies der Fall wäre, wenn wir ohne vorherige Aufhebung des Boycotts Russland anerkennen müssten, oder wenn Russland, ohne von uns irgend etwas erreicht zu haben, bloss auf die Hoffnung hin, dass wir dann verhandeln würden, seinen Boycott formell aufheben müsste.
In beiden Fällen müsste der eine oder der andere ein derartiges «sacrifice d’amour propre et de prestige» bringen, dass es einfach undenkbar ist. Geben wir aber den Russen bindende Zusicherungen, dass nach Aufhebung des Boycottes dies oder das geschehen werde, dann haben [wir eben doch über die Aufhebung des Boycottes verhandelt und setzen uns der Gefahr aus, dass gesagt wird, wir hätten uns etwas abzwingen lassen.
Der Weg des «gemeinsamen Einverständnisses» vermeidet alle diese Dinge, sofern darüber Einvernehmen herrscht, dass von dem Momente an, wo hüben und drüben Geneigtheit, ihn zu begehen ausgesprochen wird, von Worowski und Boycott überhaupt nicht mehr gesprochen wird und diese Dinge aus Abschied und Tractanden fallen. Die Unterzeichnung des Protokolls hätte dann automatisch auch die formelle Aufhebung zur Folge.
Der Text des Protokolles selbst wäre in zwanglosen Besprechungen vorzubereiten, zu welchen ich mich Ihnen gerne zur Verfügung stelle. Als Punkte, welche im
Protokoll in irgend einer Form Erwähnung finden sollten, wären zu nennen: die
Propaganda, die Russen in der Schweiz, die Handelsbeziehungen und die Entschädigungsfrage. Es würde dabei genügen, gewisse allgemeine Prinzipien aufzustellen und alles nähere Sonderabkommen über die Hauptfragen zu überlassen.
Von der Errichtung einer Sovietgesandtschaft in der Schweiz wurde, um auch
diese Frage noch zu erwähnen, nicht besonders gesprochen. Es ist aber selbstverständlich, dass die Soviets dies als logische Folge betrachten, sobald einmal
die Frage der Beziehungen geregelt sein wird. Diese Frage ist vielleicht der
hauptsächlichste Stein des Anstosses für viele. Ich glaube zu Unrecht. Denn erstens scheint es ja festzustehen, dass, wenn die Russen eine ständige Delegation
beim Völkerbund unterhalten wollten, die Schweiz dem sich nicht widersetzen würde. Diese Delegation würde aber in Bezug auf Propaganda etc. in Genf genau dasselbe tun, was eine Sovietgesandtschaft in Bern tun würde, mit dem einzigen
Unterschied, dass wir nicht einmal direkt mit ihr verkehren könnten. Und zweitens glaube ich, ist die Sovietpropaganda nicht zu fürchten. Russland besitzt heute Gesandtschaften in allen Hauptstädten und braucht daher Bern nicht mehr als internationalen Stützpunkt. In Bezug auf die innere Politik aber ist zu bemerken, dass die Soviets bis jetzt in allen Ländern so manövriert haben, dass ihre Propaganda sich eher gegen sie richtete. Es ist auch immer besser, es mit einem bekannten Gegner zu tun zu haben, als mit unbekannten Agenten, an welchen es auch
heute in der Schweiz nicht fehlt. In dem erwähnten Protokoll könnten übrigens
genaue Verpflichtungen betr. die Propagandatätigkeit aufgenommen werden.