dodis.ch/45126
Der Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes,
W. Stucki, an den schweizerischen Gesandten in
Berlin,
H.Rüfenacht1
Zur Ergänzung des mündlichen Berichtes, den Ihnen Herr Dr. Rüfenacht2 über den Stand der Verhandlungen erteilt haben wird, beehren wir uns, Ihnen beiliegend Kopie unseres gestrigen Antrages an den Bundesrat zu übermitteln, aus welchem Sie den gegenwärtigen Stand der Besprechungen ersehen.
Die HH. Windel und Hagemann werden voraussichtlich morgen zur mündlichen Berichterstattung und Einholung neuer Instruktionen vorübergehend nach Berlin zurückkehren. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie bei Gelegenheit an zuständiger Stelle mit Nachdruck darauf hinweisen würden, dass die Schweiz durch zahlreiche Bindungen ihres Gebrauchstarifs ein ausserordentlich weitgehendes Entgegenkommen gezeigt hat und dass sie namentlich durch grundsätzliche Erfüllung der deutschen Wünsche betreffend Herabsetzung einiger Positionen dieses Gebrauchstarifs trotz schwerer Bedenken ein weiteres grosses Opfer auf sich nahm. Umso mehr dürfe nun wohl die Schweiz erwarten, dass man deutscherseits bedeutend mehr entgegenkomme, als dies bisher der Fall gewesen ist.
Die sogenannte «grosse Expertenkommission» des Bundesrates für Zolltariffragen hat vorgestern dem Projekt eines provisorischen Generaltarifes einstimmig zugestimmt. Auch die stark links stehenden Konsumentenvertreter haben die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens durchaus eingesehen und nicht nur den von der «kleinen Kommission» vorbereiteten Entwurf gutgeheissen, sondern sogar noch der Erhöhung einzelner Positionen zugestimmt.
Es kann deshalb nicht nachdrücklich genug darauf hingewiesen werden, dass der provisorische Generaltarif in kürzester Frist erlassen und ausser von den eigentlich sozialistischen Kreisen keine wesentliche Opposition erfahren wird3. Ob dieser Tarif dann ganz oder teilweise - auf alle Fälle stark gemildert durch die Bindungen in den Verträgen mit Italien und Spanien, event, auch mit Österreich und Deutschland - in Kraft gesetzt werden wird, steht heute noch nicht fest. Der Bundesrat wird, das ist heute absolut sicher, vor dieser Inkraftsetzung nicht zurückschrecken, wenn anders befriedigende Abmachungen mit Deutschland und ändern Staaten nicht erzielbar sind.
Die deutsche Regierung und die deutschen Interessentenkreise müssen deshalb damit rechnen, dass ohne einen modus vivendi zahlreiche deutsche Exportinteressen durch schweizerische Tariferhöhungen empfindlich getroffen werden könnten, und den Wert der von uns vorgeschlagenen Bindungen entsprechend einschätzen. Die deutsche Delegation hat sich über diese Lage sukzessive volle Rechenschaft gegeben, scheint aber in Berlin noch auf Widerstände zu stossen. Vielleicht gelingt es Ihnen, gemeinsam mit der deutschen Delegation, diese Widerstände beseitigen zu helfen.