Language: German
15.9.1925 (Tuesday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 15.9.1925
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Der Bundesrat nimmt Kenntnis vom Abschluss eines Zusatzprotokolls zum Abkommen über Einfuhrbeschränkungen von 1924.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutschland
6.1. Handelsvertrag und Abkommen über Einfuhrbeschränkungen
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Printed in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 95

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Bern 1980

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dodis.ch/45112
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 15. September 19251

1903. Deutsch-schweizerisches Protokoll über die Einfuhrbeschränkungen

Mit Note vom 16. Juli. dieses Jahres2 teilte die deutsche Gesandtschaft in Bern mit, dass sich voraussichtlich Deutschland aus handelspolitischen Rücksichten genötigt sehe, über den 30. September ds.Js. hinaus noch für einige Zeit Einfuhrverbote für eine ganz beschränkte Anzahl von Waren aufrecht zu erhalten. Es werde diese Verbote auch gegenüber der Schweiz nicht aufheben können, da in diesem Falle andere Staaten auf Grund der Meistbegünstigungsklausel darauf Anspruch erheben könnten, dass diese Verbote ihnen gegenüber ebenfalls aufgehoben würden. Angesichts dieser Sachlage ermächtigte der Bundesrat das Volkswirtschaftsdepartement, der deutschen Gesandtschaft zu antworten, dass die Schweiz bereit sei, Vorschläge der deutschen Regierung über die formelle Aufrechterhaltung einiger, namentlich der im Memorandum der deutschen Gesandtschaft bezeichneten Einfuhrbeschränkungen über den 30. September hinaus in Erwägung zu ziehen. Dabei müsse sich jedoch die Schweiz selbstverständlich Vorbehalten, auch ihrerseits eine Anzahl Einfuhrbeschränkungen über das bezeichnete Datum hinaus weiterbestehen zu lassen. In Frage kommen vor allem einzelne Holz-, Papier- und Eisen-Positionen. Aus eingehenden mündlichen und schriftlichen Begründungen einzelner Branchen der genannten Warengruppen ergab sich, dass in der Tat für wenige Positionen die Ausserkraftsetzung des noch bestehenden Einfuhrschutzes auf Anfang des Winters nicht ohne schwerwiegende Bedenken vorgenommen werden könnte. Im Einverständnis mit dem Bundesrat schlug daher das Volkswirtschaftsdepartement der deutschen Regierung vor, dass über die Modalitäten des gegenseitigen Weiterbestehens einiger Einfuhrbeschränkungen Ende August Besprechungen stattfmden sollen.

Diese Besprechungen haben vom 5.-8. ds.Mts. in Bern stattgefunden. Sie wurden schweizerischerseits von Herrn Direktor Stucki und Dr. Wetter, dem jetzigen und früheren Chef der Handelsabteilung, deutscherseits von Herrn Windel, Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt, und von Hrn. Geheimrat Hagemann, vom Reichswirtschaftsministerium, geführt. Das Resultat wurde in einem Zusatzprotokoll vom 8. September zum schweizerisch-deutschen Protokoll über die Einfuhrbeschränkungen vom 17. November 19243 niedergelegt.

Art. 1 der neuen Vereinbarung bestimmt, dass als Zeitpunkt für die Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen statt des 30. September der 31. Dezember 1925 gilt. Art. 2 und 3 enthalten diejenigen Positionen des deutschen und schweizerischen Zolltarifs, die noch nach dem 30. September, längstens aber bis Ende dieses Jahres, den Einfuhrbeschränkungen unterstehen.

Was die deutsche Liste anbelangt, figurieren auf derselben nur 3 Positionen, für die die Schweiz ein eigentliches Exportinteresse hat: Zement, Rohaluminium und Morphium, Kodein und deren Verbindungen. Für die beiden ersten Waren bestehen zwischen den beidseitigen Interessenten private Vereinbarungen, so dass für sie also die Frage der Einfuhrbeschränkung keine nennenswerte Rolle spielt. Für die dritte Warengruppe der deutschen Pos. 3 804 hofft das Volkswirtschaftsdepartement, dass es möglich ist, dass Deutschland auf die Aufrechterhaltung der Beschränkung nachträglich noch verzichten wird. Für diesen Fall würde die Schweiz ihrerseits die Position 306e (Papiere und Kartons, mit gepressten und geprägten Dessins) aus ihrer Liste streichen. Ob die Position 380 deutscherseits fallen gelassen wird, hat für uns übrigens keine allzu praktische Bedeutung, indem schon bisher alle schweizerischen Einfuhrgesuche bewilligt werden mussten und nach dem neuen Abkommen die in den Listen aufgeführten Waren nicht ungünstiger behandelt werden dürfen als bisher.

Wenn somit durch die deutsche Liste eine eigentliche Behinderung unseres Exportes nach Deutschland nicht zu erwarten sein dürfte, ist es dem Volkswirtschaftsdepartement umgekehrt gelungen, schweizerischerseits für einige wenige Positionen der Holz-, Papier- und der Eisenbranche den bisherigen Einfuhrschutz noch etwas zu verlängern. Für die ersten 6 Positionen der schweizerischen Liste5 spielen neben der prekären Lage der in Frage stehenden schweizerischen Produktionszweige auch noch handelspolitische Momente eine wichtige Rolle. Es trifft dies vor allem gegenüber Österreich für die Holz- und Papierposition zu, während die beiden Eisenpositionen gegenüber Frankreich von Bedeutung sein können. Gerade bei diesen beiden Waren (Rundeisen und Fassoneisen) haben auch die Verbraucher des Vereins schweizerischer Maschinenindustrieller die Notwendigkeit eines noch etwas verlängerten Einfuhrschutzes anerkannt. Ferner ist die Lage derjenigen Wirtschaftszweige, die die Telephon- und Telegraphenapparate, Heilsera und Impfstoffe und Zündhölzer produzieren, noch derart, dass eine Aufrechterhaltung der Einfuhrbeschränkung bis Ende des Jahres als gerechtfertigt erscheint. Dazu kommt, dass die meisten Staaten für Heilsera und Impfstoffe aus sanitarischen Gründen besondere Einfuhrbestimmungen erlassen haben.

Art. 4 nimmt Bezug auf Art. 3 des ursprünglichen Abkommens vom 17. November 1924, der folgendermassen lautet: «Zollerhöhungen des einen Teiles, die nach der Unterzeichung dieses Protokolls erlassen werden und die geeignet sind, dem ändern Teil gegenüber einfuhrhindernd zu wirken, sind auf dessen Wunsch zum Gegenstand von Besprechungen zu machen. Kann dabei eine Einigung über die Zollerhöhungen nicht erzielt werden, so ist der andere Teil unter Beobachtung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Rücktritt von dieser Vereinbarung befugt.»

Da bekanntlich Deutschland durch die kleine Zollvorlage, die für einzelne landwirtschaftliche Zölle bereits am 1. September und für die übrigen Positionen am 1. Oktober 1925 in Kraft tritt, für eine Reihe den schweizerischen Export interessierende Warengruppen teilweise sehr beträchtliche Zollerhöhungen vorgenommen hat, erschienen die Voraussetzungen für Besprechungen erfüllt. Dieselben sollen Ende September wiederum in Bern stattfinden und vorerst bezwecken, einen modus vivendi zu finden, der geeignet wäre, den wichtigsten speziellen schweizerischen Exportartikeln provisorisch gewisse Erleichterungen in der Weise zu gewähren, dass für die fraglichen deutschen Zollpositionen, vorgängig den eigentlichen Handelsvertragsunterhandlungen, angemessene Zollreduktionen zugestanden werden6.

Schliesslich unterbreitet das Volkswirtschaftsdepartement dem Bundesrat noch zwei Schreiben der beiden Delegationsführer7, worin gegenseitig diejenigen Zollpositionen genannt werden, für welche sich die beiden Regierungen Vorbehalten müssen, aus handelspolitischen Gründen nötigenfalls auch über den 31. Dezember 1925 hinaus bis auf weiteres Einfuhrbeschränken aufrecht zu halten. Gegenüber der deutschen Liste des Abkommens kommen Margarine etc., Zement, Vanillin und Zellhorn in Wegfall. Schweizerischerseits verbleiben nur noch diejenigen 6 Positionen, die auch nach dem 31. Dezember, mit Rücksicht auf eventuelle Handelsvertragsunterhandlungen mit einzelnen Staaten, noch den Einfuhrbeschränkungen zu unterliegen hätten.

Zusammenfassend kann das neue Zusatzabkommen, den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend, als den Umständen angemessen bezeichnet werden. Auf der einen Seite dürften fortan gegenüber dem schweizerischen Export nach Deutschland praktisch keine Einfuhrbeschränkungen mehr zur Anwendung gelangen, indem für wichtige schweizerische Exportartikel, wie gewisse baumwollene Garne, Baumwoll- und Wollgewebe wie auch Schuhe, das Bewilligungsverfahren in Wegfall kommt. Schweizerischerseits gewährt die neue Regelung den wenigen noch besonders bedrohten Produktionszweigen eine kurze Übergangsfrist und ermöglicht, bei verschiedenen einfuhrbeschränkten Positionen anlässlich bevorstehender Handelsvertragsunterhandlungen dieselben auf dem Kompensationswege abzubauen.

Endlich ist zu beachten, dass das Volkswirtschaftsdepartement entsprechend dem skizzierten Abbau der noch verbleibenden Einfuhrbeschränkungen, mit Wirkung vom 1. Oktober ds. Js. an, eine generelle Einfuhrbewilligung über alle Grenzen erteilen wird und zwar für alle Warengruppen, die auf der schweizerischen Liste des neuen Zusatzprotokolls nicht mehr figurieren. Dadurch kommen bis auf 10 ganze und 3 Teilpositionen sämtliche schweizerischen Einfuhrbeschränkungen vom 1. Oktober nächsthin an in Wegfall.

Antragsgemäss wird daher beschlossen:

1. Vom Berichte des Volkswirtschaftsdepartementes wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen und dem Zusatzprotokoll vom 8. September 1925 zum schweizerisch-deutschen Protokoll über die Einfuhrbeschränkungen vom 17. November 1924 die Genehmigung erteilt;

2. die schweizer. Gesandtschaft in Berlin ist durch Vermittlung des Volkswirtschaftsdepartementes anzuweisen, der deutschen Regierung die Genehmigung der Vereinbarung durch den Bundesrat zu notifizieren, in der Meinung, dass eine entsprechende Erklärung deutscherseits gleichzeitig abgegeben wird;

3. Das Volkswirtschaftsdepartement wird mit der Durchführung der im Zusatzprotokoll enthaltenen Abmachungen betraut. Es wird ferner seinerzeit eine Mitteilung an die Presse hierüber erlassen.

1
E 1004 1/296. Abwesend: Motta.
2
Vgl. Nr. 69, Anm.3. Es handelt sich um das Memorandum der deutschen Gesandtschaft vom 16.7.1925.
3
AS 1925, NF 41, S.638f.
4
Morphium- und Kodeinverbindungen.
5
Rohholz, Holz- und Eisenverarbeitungen und Papier.
6
Vgl. dazu Nr. 98.
7
K I, Nr. 865.