dodis.ch/45106
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 1. September 1925
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1792. Einreiseerlaubnis an Dr. Friedr. Adler
Justiz- und Polizeidepartement. Mündlich
Die zur sog. 2 1/2. Internationale gehörenden sozialistischen Organisationen haben bekanntlich vor kurzem beschlossen, ihr internationales Sekretariat von England nach der Schweiz zu verlegen. An der Spitze dieses Sekretariates steht der Österreicher Dr. Friedrich Adler, der am Ende des Weltkrieges den damaligen österreichischen Ministerpräsidenten ermordete. Das Dauervisum nach der Schweiz wurde ihm bisher verweigert, dagegen sind ihm zu verschiedenen Malen temporäre Einreisebewilligungen erteilt worden. Dr. Adler wohnte früher mehrere Jahre in der Schweiz, in Zürich. Herr Nationalrat Grimm besuchte gestern Herrn Häberlin, um ihn zu bitten, er möchte Herrn Dr. Adler doch den dauernden Aufenthalt in der Schweiz gestatten, denn sonst sei die Verlegung des Sekretariates nach unserm Lande in Frage gestellt. Herr Häberlin fügt bei, dass Adler sich bis jetzt bei seinen jeweiligen kürzern Aufenthalten in unserem Lande korrekt benommen habe und dass nach seiner Ansicht wie auch nach Auffassung des Vorstehers des politischen Departementes die Schweiz im vorliegenden Falle von ihren freiheitlichen Überlieferungen, wonach auch Andersdenkenden auf ihrem Gebiet der Gedankenaustausch gestattet ist, nicht abweichen dürfe; es liege kein hinreichender Grund vor, der Übersiedelung des Sekretariates der sozialistischen Internationale nach der Schweiz Schwierigkeiten in den Weg zu legen.
Der Rat schliesst sich dieser Meinung an und erklärt sich damit einverstanden, dass Herrn Friedrich Adler ein Dauervisum erteilt werde.