Sprache: Deutsch
21.7.1925 (Dienstag)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 21.7.1925
Bundesratsprotokoll (PVCF)
Das EVD orientiert den Bundesrat über die Schwierigkeiten formeller Art in den Handelsvertragsverhandlungen mit der Tschechoslowakei. Die tschechoslowakische Regierung wünscht die Regelung verschiedener wichtiger Bestimmungen über Ein- und Ausfuhrfreiheit ausserhalb des Abkommens durch Notenaustausch.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
25. Tschechoslowakei
25.1. Handelsvertragsverhandlungen
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Walter Hofer, Beatrix Mesmer (Hg.)

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 9, Dok. 71

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Bern 1980

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dodis.ch/45088
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 21. Juli 19251

1574. Provisorisches Abkommen mit der Tschechoslowakei betr. Abbau der Ein- und Ausfuhrbeschränkungen

Im Verlaufe der letzten Zeit haben in Prag die Handelsvertragsunterhandlungen zwischen der Schweiz und der Tschechoslowakischen Republik begonnen2

. Anlässlich dieser Besprechungen hat sich nun auf beiden Seiten ein starkes Bedürfnis geltend gemacht, im gegenseitigen Handelsverkehr schon heute die immer noch bestehenden Ein- und Ausfuhrbeschränkungen möglichst abzubauen3. Im Einverständnis mit dem eidg. Volkswirtschaftsdepartement haben deshalb die schweizerischen Unterhändler vorletzte Woche in Wien mit der tschechoslowakischen Handelsdelegation ein Abkommen4 besprochen und schliesslich zum Abschlüsse gebracht, welches, einem eigentlichen Handelsvertrag vorgängig, bestimmt ist, bis zu dessen Inkrafttreten die heute noch in beiden Staaten bestehenden Ein- und Ausfuhrbeschränkungen nach Möglichkeit wegfallen zu lassen, ähnlich wie dies im Abkommen vom 17. November. 1924 mit Deutschland5 geschehen ist.

Während sich die beidseitigen Delegationen verhältnismässig rasch darüber einigen konnten, dass eine Beschränkung der gegenseitigen Ein- und Ausfuhr nach der Menge nicht mehr gerechtfertigt sei und deshalb auch nicht mehr durchgeführt werden solle, so bot die formelle Seite des Abkommens nicht unbeträchtliche Schwierigkeiten. Die tschechoslowakische Regierung hat nämlich mit einer ganzen Reihe von Staaten derartige Abkommen über Ein- und Ausfuhrbeschränkungen abgeschlossen und erklärte, sie müsse diesen Abkommen, insbesondere der darin enthaltenen Meistbegünstigungsklausel, sorgfältig Rechnung tragen. Sie könne daher verschiedene wichtige Bestimmungen über die Einräumung der materiellen Ein- und Ausfuhrfreiheit gegenüber der Schweiz nicht in das Abkommen selber aufnehmen, sondern müsse vorschlagen, dieses durch Austausch von Noten zwischen den Vorsitzenden der beiden Delegationen zu erläutern und zu präzisieren, durch Noten, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien und nicht zur Kenntnis ihrer übrigen Vertragsstaaten gelangen sollten.

Der tschechoslowakische Vorschlag ging dahin, hinsichtlich der Einfuhr von schweizerischen Waren in die Tschechoslowakische Republik aus der Gesamtliste der unter Einfuhrbeschränkung stehenden Waren zunächst einmal diejenigen zu streichen, die für die schweizerische Ausfuhr keinerlei Bedeutung haben. Die für die schweizerische Ausfuhr wichtigen Waren sollten dann in drei Listen aufgestellt werden, welche materiell gleich zu behandeln seien, d.h. eine quantitative Beschränkung der Einfuhr nicht erleiden sollten, formell aber eine verschiedene Behandlung erfahren müssten. In die Liste I wären diejenigen Waren aufzunehmen, für welche ein Einfuhrgesuch nicht gestellt und eine Einfuhrgebühr nicht bezahlt zu werden brauche, für welche also neben der materiellen Freiheit der Einfuhr auch die formelle zugestanden werden könne. Die Liste II solle diejenigen Waren enthalten, deren Einfuhr dem sogenannten Bewilligungsverfahren unterworfen ist, für die also ein Einfuhrgesuch gestellt und die sogenannte Manipulationsgebühr bezahlt werden muss. Die Liste III endlich würde einige wenige Waren enthalten, für deren Einfuhr der Schweiz Kontingente eingeräumt würden, wobei aber diese Kontingente so bemessen werden könnten, dass jedem schweizerischen Ausfuhrbedürfnis voll Rechnung getragen würde.

Das Abkommen hat nun grundsätzlich diese Unterscheidungen aufgenommen und es ging das Bestreben der schweizerischen Delegation dahin, möglichst viele der wichtigsten schweizerischen Exportartikel auf die Liste I zu bringen und damit von der Einholung einer Bewilligung und der Bezahlung einer Einfuhrgebühr zu befreien. Dies ist denn auch in weitgehendem Masse gelungen. So stehen auf dieser Listei, um nur die wichtigsten Waren zu nennen: Käse, Obst, Schokolade, feine und feinste Baumwollgewebe, Bandwaren, einzelne Arten von Stickereien und Spitzen, Kunstseide, Seidengewebe, Hüte, verschiedene Artikel der Papierindustrie, eine Reihe der wichtigsten Maschinen und Apparate, Uhren und verschiedene Chemikalien. Ganz besonders sind dabei die Uhren hervorzuheben, die bisher einem umständlichen Bewilligungsverfahren unterworfen waren und neben dem Zoll noch eine besondere Manipulationsgebühr von 5% des Wertes zu bezahlen hatten.

Bei den Waren der Liste II konnten die bestehenden, zum Teil sehr beträchtlichen Einfuhrgebühren fast durchwegs ermässigt werden, so dass sie nun für den grössten Teil der Liste nur noch Vi% des Wertes betragen. Die herabgesetzten Gebühren sind in die Liste aufgenommen und dort im Sinne von Höchstansätzen gebunden worden.

Was endlich die Liste III anbelangt, so handelt es sich um einige wenige für die Schweiz nicht besonders wichtige Waren, für die übrigens Kontingente festgesetzt sind, die unsern Bedürfnissen reichlich Rechnung tragen. Auch dort wurden die herabgesetzten Gebühren nach der Höhe begrenzt.

Diese sachliche Regelung kommt nun im Abkommen selber nur unvollständig zum Ausdruck. Hinsichtlich der Listen I und II wird von der Fiktion zu vereinbarender Kontingente ausgegangen mit dem Beifügen, dass bis zum Abschluss einer solchen Kontingentsvereinbarung die Einfuhr wohlwollend zugelassen werde. In zwei Begleitnoten (Beilagen 1 und 2 zum Abkommen) ist dieser Begriff «wohlwollend» im oben angeführten Sinne genau festgelegt6. Immerhin konnte mit Mühe erreicht werden, dass für die Waren der Liste I der Wegfall der Einfuhrgebühren ins Abkommen selber aufgenommen wurde. Über die Liste III gibt das Abkommen erschöpfenden Aufschluss.

Die schweizerische Delegation bemühte sich im weitern, auch für die Ausfuhr tschechoslowakischer Waren nach der Schweiz möglichst weitgehende Erleichterungen gegenüber der bisherigen Handhabung der Ausfuhrverbote zu erhalten. Das ist in folgender Weise geschehen: Im Abkommen selber wird eine wohlwollende Erledigung schweizerischer Ausfuhrgesuche zugesagt und in der Begleitnote (Beilage 3 zum Abkommen) wird zugesichert, dass für die darin aufgezählten, für die Schweiz wichtigen Waren Ausfuhrbewilligungen ohne Einschränkung nach der Menge erteilt und für die Erteilung der Ausfuhrbewilligung nicht höhere als die vereinbarten Gebühren verlangt werden.

Was nun die Einfuhr tschechoslowakischer Waren in die Schweiz anbelangt, so wurde zugesichert, dass für die noch unter Einfuhrbeschränkung stehenden Waren Einfuhrbewilligungen ohne Einschränkung nach der Menge erteilt würden. Diese Verpflichtung ist enthalten unter B des Abkommens in Verbindung mit einer Note (Beilage 6 zum Abkommen). Von dieser Verpflichtung bestehen Ausnahmen in doppelter Richtung: Einerseits geht für Leder und Schuhe die Verpflichtung der Schweiz nur so weit, die Einfuhr nicht ungünstiger zu behandeln als bisher, sie dagegen in dem Momente vollständig frei zu geben, wo die Tschechoslowakei das heute noch bestehende Ausfuhrverbot für Häute und Felle aufhebt. Gestützt auf die vorliegenden besondern Verhältnisse bei den Positionen 714 und 721 (Rundeisen und Fassoneisen) beschränkt sich die schweizerische Verpflichtung darauf, die Tschechoslowakei nicht ungünstiger zu behandeln als Frankreich oder Belgien. Anderseits wurde zugesagt, für zwei wichtige tschechische Exportartikel, nämlich Glaswaren und gebogene Möbel, eine allgemeine Einfuhrbewilligung zu erteilen und damit die Einfuhr auch formell frei zu geben. Es bedeutet dies bei den Möbeln kein Opfer, bei den Glaswaren mit Rücksicht auf die Einfuhr aus Deutschland, die damit ebenfalls frei wird, eine gewisse, aber durchaus erträgliche Beeinträchtigung unserer Glasindustrie. Sodann haben sich die schweizer. Delegierten bereit erklärt, für tschechische Waren, die in ganzen Wagenladungen mit direktem Frachtbrief und begleitet von einem Ursprungszeugnis durch Deutschland oder Österreich in die Schweiz gelangen, auf das Bewilligungsverfahren zu verzichten. Ein ähnliches Abkommen ist kürzlich für belgische, holländische und skandinavische Waren, die durch Deutschland nach der Schweiz kommen, getroffen worden. Im weitern wurde die Verpflichtung übernommen, die heute bestehenden Einfuhrgebühren nicht zu erhöhen.

Was die Ausfuhr schweizerischer Waren nach der Tschechoslowakei anbelangt, so wurde eine wohlwollende Berücksichtigung allfälliger Ausfuhrgesuche und die Beibehaltung der gegenwärtigen Ausfuhrgebühren zugesichert.

In seinem allgemeinen Teil enthält das Abkommen noch Bestimmungen, wonach im Ein- und Ausfuhrverhältnis und hinsichtlich der Ein- und Ausfuhrgebühren für beide Staaten der Grundsatz der Meistbegünstigung gilt, ferner die in den Handelsverträgen übliche Klausel, wonach für bestimmte aussergewöhnliche Fälle Ausnahmen zulässig sind, dass man nötigenfalls gegenseitig Ursprungszeugnisse verlangen dürfe, und endlich dass beide Parteien bereit seien, jederzeit in Verhandlungen über weitere Erleichterungen einzutreten.

Das Abkommen unterliegt der Genehmigung durch die beiden Regierungen und soll am Tage der Auswechslung der Genehmigungsurkunden in Kraft treten. Es ist jederzeit auf drei Monate kündbar.

Die vom Bundesrat bestellte Expertenkommission für Einfuhrbeschränkungen hat in ihrer letzten Sitzung einstimmig beschlossen, dem Bundesrat die Ratifikation des für die Schweiz unleugbar vorteilhaften Abkommens zu empfehlen.

Antragsgemäss wird beschlossen:

Das am 9. Juli 1925 in Wien zwischen schweizerischen und tschechoslowakischen Delegierten abgeschlossene Abkommen über den gegenseitigen Ein- und Ausfuhrverkehr wird genehmigt und das Volkswirtschaftsdepartement zum Austausch der Ratifikationsurkunden mit der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Bern ermächtigt7.

1
E 1004 1/296. A bwesend: Musy und Haab.
2
Die schweizerische Delegation berichtete am 6.6.1925 dem Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes: [...] Die formelle Eröffnungssitzung hat [...] am 4. ds. stattgefunden. Dabei hat sich[...] gleich gezeigt, dass man in Prag über unsere Verhältnisse so schlecht informiert und für die Verhandlungen so schlecht vorbereitet ist, dass auf eine erspriessliche Arbeit vorderhand kaum gerechnet werden kann. Wir mussten den Herren in dieser ersten Sitzung zunächst ein längeres Exposé über unsere Zollverhältnisse und unsere Handelspolitik abgeben, da man weder über die Bedeutung unseres Gebrauchstarifs noch über diejenige des Generaltarifentwurfs auch nur ungefähr im Klaren zu sein schien. [...] (E 7110 1, 118). In Bezug auf die eigentlichen Handelsvertragsverhandlungen gelangte man in dieser ersten Verhandlungsetappe nicht über das Stadium einer ersten Lesung des Vertragsentwurfes hinaus (GBer 1925, S. 499). Zur Fortsetzung der Verhandlungen vgl. Nr. 135.
3
Zur Situation auf dem Gebiet der schweizerischen Einfuhrbeschränkungen vgl. GBer 1925, S.486f.
4
Text des am 9.7.1925 in Wien abgeschlossenen provisorischen Abkommens über das Bewilligungsverfahren im Handelsverkehr zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Tschechoslowakischen Republik (einschliesslich Warenlisten) in: AS 1925, NF 41, S.488ff.
5
Abkommenstext in: AS, 1924, NF 40, S.479ff.
6
In diesen zwei Noten des tschechoslowakischen Delegationsleiters an den Chef der schweizerischen Delegation wird ausgeführt: [...] Jusqu'au moment où les quantités d’importation seront convenues entre les deux Gouvernements, l'importation des marchandises suisses énumérées à la liste I Ibzw. Ill sera admise au décompte de ces quantités à convenir [...] sans limitation des quantités[...] ( K I., Nr. 1255).
7
Das Abkommen trat am 1.8.1925 in Kraft.