Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. DIE SCHWEIZ UND DER VÖLKERBUND
7. Völkerbundsrat
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 64
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#110* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 60 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 26 (1925–1925) |
dodis.ch/45081
Der schweizerische Gesandte in Berlin, H.Rüfenacht, an den Vorsteher des Politischen Departementes, G. Motta1
Die Aufnahme, die der französischen Antwortnote auf den deutschen Sicherheitsvorschlag bevorstand, charakterisiert der Ausspruch Stresemanns mir gegenüber: Amundsen habe ihm einen grossen Dienst erwiesen, gerade am Tage vor der Veröffentlichung der Note zurückgekehrt zu sein, da er damit das öffentliche Interesse und den Fettdruck der Zeitungen auf sich konzentriert und etwas von der Note abgelenkt habe. Damit hat der Vater des Paktvorschlages der Enttäuschung Ausdruck gegeben, die seines Erachtens die französische Antwort beim deutschen Volk auslösen muss und wohl auch bei ihm persönlich ausgelöst hat. Er äusserte sich denn auch über die Möglichkeit einer Verständigung wenn auch nicht gerade pessimistisch, so doch skeptisch. Nicht gerade pessimistisch deshalb, weil er immerhin erwähnte, für den Fall von Deutschlands Beitritt zum Völkerbund einen sehr geeigneten Vertreter in dessen Rat ins Auge gefasst und die Absicht zu haben, einer Vollversammlung vielleicht persönlich beizuwohnen. Im übrigen verhehlte er seine ernsten Bedenken gegen die Briand’sche Lösung nicht. Schwer tragbar sei für Deutschland die Duldung des Durchmarschrechts, unannehmbar die Bindung der Ostgrenzen und die französische Garantie der Schiedsverträge mit Polen und der Tschechoslowakei. Hinsichtlich dieser SchiedsVerträge sodann lehnt er den offenbar gemachten Hinweis auf das neue schweizerische System der restlosen Schiedsgerichtsbarkeit als für Deutschland nicht brauchbar ab. In der Tat würde ja der Zwang, auch Streitigkeiten über Fragen, die die Unabhängigkeit, die Unversehrtheit des Gebiets oder andere höchste Lebensinteressen eines Landes betreffen, dem Schiedsgericht zu unterbreiten, Deutschland in die Unmöglichkeit versetzen, seine Interessen hinsichtlich der Grenzregulierung im Osten in der ihm gutscheinenden Weise zu wahren. Als völlig unannehmbar bezeichnet Stresemann den Anspruch von Frankreich, als Garant der Schiedsverträge nach seinem alleinigen Ermessen und unmittelbar eingreifen zu können. Weniger Sorge macht ihm die Entwaffnungsnote. Er ist überzeugt, dass diese Frage, wenn eine Verständigung über den Sicherheitspakt erfolgen könnte, leicht geregelt würde, wobei er allerdings viele Entwaffnungsbegehren zum Teil als ungerechtfertigt, zum Teil als kleinlich, ja lächerlich bezeichnet. Was die Zerstörung von Maschinen betrifft, so führt er die bezüglichen Forderungen auf den englischen industriellen Konkurrenzneid zurück. Alles in allem wolle aber die Deutsche Regierung entgegenkommen. Zum Ausspruch eines Mitgliedes der Militärkommission, dass diese sich mit der Erfüllung von 90% ihrer Postulate begnügen könnte, meinte Stresemann, er sei bereit, mit 40% zu akkordieren. Im übrigen fasst Stresemann heute noch, und das Kabinett hat ihm in seiner gestrigen Sitzung zugestimmt, die Abhaltung einer Konferenz zur Besprechung des ganzen Fragenkomplexes ins Auge, die aber seines Erachtens kaum vor September stattfinden könnte. Er hofft, so sagte er im Gespräche mit mir, dass die Schwierigkeiten Frankreichs in Marokko noch lange andauern und es dann zugänglicher machen. Auch wünscht er, dass Briand Aussenminister bleibt, mit dem als praktischem Realpolitiker leichter zu verhandeln sei als mit dem Schönredner Herriot2
. Wieweit die vermehrten Schwierigkeiten der Handelsvertragsunterhandlungen in Paris auf Instruktionen der Deutschen Regierung zwecks Ausübung eines Drukkes zurückzuführen sind, bleibe dahingestellt. Im übrigen besteht kein Zweifel, dass Russland eifrig bemüht ist, Deutschland vom Abschluss des geplanten Sicherheitspaktes abzuhalten. Vom Leitartikel «L’Allemagne et les Soviets» vom 21. ds. im «Temps» vom 22. ds., der sich damit eingehend beschäftigt, sagte mir Stresemann, der Verfasser habe offenbar tief in die Karten gucken können, womit er die dort gegebene Darstellung zum mindesten nicht abstreitet. Bekanntlich hat das «Echo de Paris» sogar gemeldet, die Russische Regierung habe Deutschland das formelle Angebot eines deutsch-russischen Garantievertrages unterbreitet als Preis für Deutschlands Verzicht auf einen Pakt mit Frankreich. Diese Meldung ist in der deutschen Presse als auf freier Erfindung beruhend offiziös dementiert worden. Ich erinnerte mich dabei aber einer Äusserung, die Stresemann letzte Woche mir gegenüber tat. Bei der Erwähnung der Möglichkeit, dass Frankreich in die Lage kommen könnte, Polen gegen Russland zu unterstützen, sagte er: «Frankreich ist Polens Verbündeter; aber ich könnte gleich mit zwei mir gemachten Bündnisanträgen aufwarten.»
Scheint Stresemann wohl ebenso aus Ehrgeiz wie aus der Überzeugung von der politischen Notwendigkeit entschlossen zu sein, seinen Paktvorschlag trotz der französischen Antwort vorläufig weiter zu verfolgen, so soll er doch, wie mir der Bayerische Gesandte in Berlin sagte, schon Wasser in seinen Wein gegossen haben. Die Stellungnahme dieses deutschen Diplomaten zur französischen Antwortnote ist übrigens kategorisch ablehnend. Er erklärt, sich dabei mit weiten Kreisen in Übereinstimmung zu wissen und behauptet, dass sich heute im Reichstag keine 30 Stimmen für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund finden würden3. Was Briand aus dem wohlgemeinten deutschen Vorschläge gemacht habe, sei eine Totgeburt. Auf der französischen Basis sei eine weitere Verhandlung überhaupt ausgeschlossen und sollte gar nicht erst versucht werden. Was biete denn der französische Vorschlag Deutschland? Vielleicht eine baldige Räumung der Kölner Zone. Aber diese müsse ohnehin einmal kommen, da Deutschland, soweit es hierzu verpflichtet sei, die Abrüstung fortsetzen und den Beweis für seine ihm vertraglich auferlegte Entwaffnung erbringen werde. Eine kleine Beschleunigung der Räumung aber sei das dafür zu tragende Opfer nicht wert. Denn im übrigen lege der Pakt nach dem französischen System Deutschland nur neue Fesseln an und bringe dieses zudem mit Russland in Konflikt, ohne ihm auf der anderen Seite irgend welche Erleichterungen oder anderweitige Vorteile zu bieten. Gegenüber dieser schroffen, ablehnenden Haltung deutscher Kreise legt allerdings Professor Stein, der Mitarbeiter im Ullstein-Verlag, einen starken Optimismus an den Tag. Aus Gesprächen in Paris mit massgebenden Politikern und Journalisten will er die Überzeugung eines festen Willens zur Verständigung Frankreichs mit Deutschland geschöpft haben. Dabei würde die Unterschrift Hindenburgs unter einem Pakt diesen besonders wertvoll machen. Die Deutsche Regierung sei jetzt auch freier, nachdem der schädliche Druck des Stinnes-Konzerns gewichen sei. «Stresemann wird es schaffen», meint Stein. Über die wirkliche Stimmung in Frankreich wird Ihnen mein Kollege in Paris berichtet haben. Ist ein aufrichtiger Verständigungswillen dort tatsächlich vorhanden, so wird er sich in einer weitgehenden Abschwächung des Briand’schen Programms äussern müssen, ansonst vorab am Zustandekommen einer Konferenz zu zweifeln, sicher aber eine Verständigung ausgeschlossen ist, wobei erst noch Stresemann und vielleicht das ganze Kabinett Luther zu Fall kommen könnten.[...]4
- 1
- E 2300 Berlin, Archiv-Nr. 26.↩
- 3
- Am 16.12.1925 berichtete Rüfenacht dem Vorsteher des Politischen Departementes: [...] Den Eintritt in den Völkerbund wird die Deutsche Regierung, wie mir Stresemann sagt, u.a. davon abhängig machen, dass die deutsche Sprache als eine der offiziellen Sprachen anerkannt wird.!... / (E 2300Berlin, Archiv-Nr. 26).Motta bemerkte dazu: unmöglich!↩
- 4
- Der Bericht streift in der Folge die Wirren in China, die Frage des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich und die Person Hindenburgs. Im weitern behandelt der Bericht die innenpolitische Situation Deutschlands im Zusammenhang mit der Zolltarifvorlage sowie die preussische Regierungsbildung. - Bemerkung Mottas am Briefkopf: sehr lesenswert!↩
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