Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS BILATERALES ET LA VIE DES ETATS
II.22. Russie
II.22.1. La question de la reprise des relations commerciales et des intérêts suisses
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 8, doc. 367
volume linkBern 1988
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001C#1000/1542#2* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(C)1000/1542 1 | |
Titolo dossier | Pourparlers de 1924 (1923–1924) | |
Riferimento archivio | B.15.0 • Componente aggiuntiva: Russland |
dodis.ch/45009
Die Fortsetzung der Besprechungen mit den russischen Vertretern hat am 1. ds. Mts. bei Herrn Geheimrat Hauschild stattgefunden. Die Verhandlungen dauerten bis nachts 11/4 Uhr. Von russischer Seite waren anwesend der russische Botschafter Krestinskiund in Abwesenheit des noch in Moskau weilenden Botschaftsrates Brodowski, der Legationssekretär Stange. Ich war begleitet von Herrn Legationssekretär Dr. Jenny. Herr Geheimrat Hauschild zeigte lebhaftes Interesse an dem von ihm übernommenen Mandat und gab sich grosse Mühe, die bestehenden Gegensätze überbrücken zu helfen.
Krestinski erklärte einleitend, von seiner Regierung hinsichtlich des Ergebnisses der letzten Besprechung2 Bericht und Weisungen erhalten zu haben. Seine Regierung stehe nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die einfachste und glatteste Lösung die Anerkennung de jure sei, die es erlauben würde, durch einen allgemeinen Strich unter die Vergangenheit implicite auch den Fall Worowski zu erledigen. Dies sei aber nicht möglich bei einem etappenweisen Vorgehen, da die erste Etappe, die Aufhebung des Boykotts, für sich allein nur behandelt werden könne, wenn dabei der Anlass, der zum Boykott geführt habe, eben der Fall Worowski, in einer für Russland befriedigenden Weise beigelegt werde. Wenn aber die schweizerische Regierung darauf bestehe, zur Zeit die Anerkennung nicht zu diskutieren, so sei schliesslich die russische Regierung bereit, vorerst über die Aufhebung des Boykotts zu verhandeln, aber eben nur unter dem erwähnten Vorbehalt, die Einbeziehung des Falles Worowski. Krestinski erneuerte auch den Eventualvorschlag, die Anerkennung, wenn auch noch nicht jetzt auszusprechen, so doch für einen gewissen Termin zuzusichern, was ich ebenfalls ablehnte. Zu meiner Äusserung, dass in erster Linie durch eine Aufhebung des Boykotts eine Atmosphäre der Beruhigung geschaffen werden solle, bemerkte Krestinski, die Schwierigkeit liege eben darin, dass für die Schweiz Hemmungen erst hinsichtlich der zweiten Etappe, der Anerkennung, bestehen, während für die Russen die Schwierigkeiten gleich bei der ersten Etappe, d. h. bei der Aufhebung des Boykotts, beginnen, bei der zweiten Etappe dagegen nicht vorhanden sein werden. Er kam denn auch jedes Mal, wenn unüberwindliche Meinungsverschiedenheiten zutage traten, auf die Anerkennung als einfachste Lösung zurück und ich glaube, er suchte, wenigstens zu Anfang, für die etappenweise Behandlung die Schwierigkeiten zu unterstreichen, um mich doch noch für die Anerkennung als radikale Erledigungsart zu gewinnen. Es war für mich naheliegend und verlockend, dabei zu fragen, wie sich Russland für den Fall der Anerkennung die Befriedigung der geschädigten Schweizer vorstelle. Ich begnügte mich aber mit einer bezüglichen Andeutung, um darüber nicht ganz geschwiegen zu haben, unterliess es aber, diesen Punkt zu unterstreichen, um nicht jetzt schon auch auf diese Schwierigkeit der Anerkennung hinzuweisen und damit das Interesse der Russen an der ersten Etappe noch mehr zu vermindern.
Als endlich in die Frage der Aufhebung des Boykotts eingetreten wurde, wiederholte Krestinski seine frühem Ausführungen: Die Aufhebung der schweizerischen Visumsperre bedeute für Russland kein Aequivalent für die Aufhebung des russischen Boykotts. Denn einmal plage diese Sperre die Sowjetrussen nicht besonders und sodann bedeute sie ja nur eine sekundäre schweizerische Reaktion auf die primäre russische Aktion. Die letztere lediglich gegen Wegfall der ersteren rückgängig zu machen, würde eine glatte russische Kapitulation, die Anerkennung bedeuten, dass der Boykott ungerechtfertigt gewesen sei. Ich versuchte denn auch, Krestinski zu überzeugen, dass letzteres allerdings zutreffe und dass es nur eine Pficht sei, ein begangenes Unrecht freiwillig wieder gutzumachen, ohne dafür noch Kompensationen zu verlangen. Aber umsonst. Krestinski zog die alten Register: Worowski hatte das diplomatische Visum der schweizerischen Gesandtschaft in Rom; er war damit vom Bund als offizieller russischer Regierungsvertreter anerkannt; die schweizerische Regierung hatte die Pflicht, ihn zu beschützen, umsomehr als man wusste, dass er bedroht war3; sie unterliess dies und ermöglichte so den Mord; alsdann verletzte sie die Pflicht der internationalen Höflichkeit, der russischen Regierung das Beileid auszusprechen; im fernem liess sie die Aburteilung des Mörders durch ein kantonales Gericht zu, dessen russenfeindliche Voreingenommenheit zu erwarten war; nach dem Freispruch duldete sie die Verherrlichung des Mordes und des Mörders durch einen Teil der Schweizer Presse; der Boykott war deshalb ein gerechtfertigtes Gebot der russischen Selbstachtung; soll er aufgehoben werden, so muss die schweizerische Regierung zum mindesten nachträglich ihr Beileid aussprechen und der Waise Worowski eine Rente zusichern. Ich widerlegte die einzelnen Klagepunkte und erklärte im übrigen, mich an einer Diskussion, die von russischer Seite auf Grund der These von der Schuld des Bundesrates geführt werden wolle, nicht länger beteiligen zu können. Dies hatte zur Folge, dass nach langem Hin und Her Krestinski auf die Forderung der Rente verzichtete und sich im übrigen mit einer farblosen Beileidsbezeugung, die in keiner Weise als Schuldbekenntnis ausgelegt werden solle, begnügen wollte. Dagegen lehnte er mein Begehren, wie ich es Ihrer Instruktion gemäss stellte: einfache, wenn auch formlose, nur tatsächliche Aufhebung des Boykotts, rundweg ab. Auf diesem toten Punkt angelangt, stellte ich die Forderung, dass, wenn wider Erwarten der Bundesrat sich zu einer nachträglichen Kondolenz entschliessen sollte, die russische Regierung ihre unerhörte, gegen den Bundesrat erhobene Anschuldigung der Beihilfe am Morde unter Entschuldigung zurückziehen müsse. Hauschild fand dieses Ansinnen für berechtigt und suchte auf dessen Annahme hinzuwirken. Krestinski konnte sich aber zu einer positiven Erklärung nicht entschliessen, dagegen wollte er endlich in die Form einwilligen, dass die russische Regierung einen mit der Beileidserklärung verbundenen bezüglichen erneuten Protest der schweizerischen Regierung nicht nur unwidersprochen lassen, sondern sogar mit der Aufhebung des Boykotts beantworten würde. Dabei wurde angesichts meiner Weigerung, Worowski als russischen Regierungsvertreter in Lausanne anzuerkennen, der Ausweg gefunden, auf seine damalige offizielle Stellung in Italien Bezug zu nehmen. Hauschild schlug schliesslich, nach wiederholten getrennten Besprechungen mit den Russen und mit uns, die Abgabe einer gegenseitigen Erklärung ungefähr folgenden Inhalts, Redaktion Vorbehalten, vor:
«1. Der Bundesrat hält den Protest gegen die von der russischen Regierung anlässlich der Ermordung Worowskis erhobenen Anschuldigungen aufrecht, steht aber nicht an, der russischen Regierung für den auf schweizerischem Boden erfolgten Tod ihres Vertreters in Italien sein Beileid auszusprechen.
2. Die russische Regierung nimmt von diesen Erklärungen Kenntnis und hebt ihren gegenüber der Schweiz verhängten Boykott, da ein Grund für ihn nicht vorliegt, auf.»
(Die Fassung «da kein Grund mehr vorliegt» habe ich abgelehnt.)
Krestinski erhob zwar Bedenken gegen diesen Vorschlag, erklärte sich aber doch bereit, ihn Moskau unterbreiten zu wollen. Er wünschte dabei zu wissen, wie ich mich dazu stelle, da er annehme, seine Regierung werde sich zustimmend oder ablehnend verhalten, je nachdem er melden könne, ich beantrage Ihnen Annahme oder Verwerfung des Vorschlages. Ich erklärte, mich nicht äussern zu können, da meine Instruktion dahin gehe, lediglich die nackte Aufhebung des Boykotts zu verlangen und ich an der Besprechung, die zum Vorschläge Hauschilds führte, nur teilgenommen habe, um die Verhandlungen nicht von vornherein als gescheitert erklären zu müssen, sondern zu sehen, was dabei herauskomme. Ich versprach aber, Instruktionen einzuholen.
Die Sache liegt nun so:
1. Die russische Regierung würde nach wie vor am liebsten die Lösung auf dem Wege der Anerkennung finden. Ich habe dies als zur Zeit undiskutierbar erklärt. Die russische Regierung ist faute de mieux bereit, die Aufhebung des Boykotts auch ohne gleichzeitige Anerkennung vorzunehmen, wenn damit die Ursache des Boykotts, der Fall Worowski, ebenfalls erledigt wird.
2. Hiefür glaubt sie, bezw. Krestinski, das Minimum darin erblicken zu müssen, dass der Bundesrat nachträglich sein Beileid ausdrückt, wobei er gleichzeitig seinen Protest gegen die russischen Anschuldigungen erneuern mag, auf den die russische Regierung nicht antworten, wohl aber den Boykott aufheben wird.
3. Auf eine nackte Aufhebung des Boykotts will Krestinski unter keinen Umständen eintreten. Ich weiss nicht, ob ihm mehr am Ausdruck des Beileids, oder mehr daran gelegen ist, dass durch die Beileidserklärung an die russische Regierung diese de facto anerkannt wird. Jedenfalls war seine Erklärung zu meinem Begehren so formell und definitiv, dass ein Zurückkommen von meiner Seite aussichtslos erscheint und mir nicht zugemutet werden kann. Sollten Sie von der Forderung nicht abgehen können, so müsste ich bitten, mich von Ihrem Aufträge, nur auf dieser Basis zu verhandeln, zu entbinden und jemand anders zu betrauen. Sollten Sie die Forderung zwar aufrecht erhalten, aber gestützt auf meinen Bericht feststellen, dass sie zur Zeit unerfüllbar ist, so schlage ich vor, mich zu ermächtigen, Hauschild unter Verdankung seiner guten Dienste zu bitten, Krestinski zu eröffnen, dass wir auf eine weitere Verhandlung verzichten und die vorbehaltlose Aufhebung des Boykotts erwarten, mit der Andeutung, dass wir sonst in der Zukunft in der Handhabung der Visumsperre differenzieren werden.
4. Sollten Sie aber der Ansicht sein, der Vermittlungsvorschlag Hauschild bilde eine geeignete Plattform für eine weitere Verhandlung, so bitte ich um neue Instruktionen. Meines Erachtens holen wir mit der vorgeschlagenen Erklärung, die einmal unser Beileid doch wesentlich abschwächt und bei der durch die Aufhebung des Boykotts unser Protest tatsächlich als begründet anerkannt wird, mehr heraus als wir selbst geben. Dabei wäre allerdings eine noch schärfere Formulierung zu verlangen, z. B. in der Form, dass der Protest zum Hauptinhalt von Ziff. 1 gemacht würde, etwa in der Fassung:
«1. Indem der Bundesrat zwar der russischen Regierung sein Beileid für den auf Schweizerboden erfolgten Tod ihres Regierungsvertreters in Italien, Worowski, ausspricht, protestiert er erneut gegen die schweren, von der russischen Regierung gegen ihn im Hinblick auf die Ermordung Worowskis erhobenen Anschuldigungen.»
Damit würde unser Protest und die Aufhebung des Boykotts in engere Verbindung gebracht werden als nach dem Vorschlag Hauschilds.4
- 1
- Lettre: E 2001 (C) 12/1. Beziehungen zu Russland. Note en marge de G. Motta: Die Angelegenheit wird in der Sitzung von Montag behandelt werden. Cf. no 371.↩
- 2
- Il s’agit de la rencontre du 6 novembre 1924, cf. rapport de Rüfenacht du 7 novembre 1924, non reproduit, cf. E 2001 (C) 12/1.Pour les premiers pourparlers, cf. no 357.↩
- 3
- Cf. no272.↩
- 4
- Cf. nos 372, 373.↩
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