Classement thématique série 1848–1945:
XII. MOUVEMENTS RÉVOLUTIONNAIRES ET CONTRE-RÉVOLUTIONNAIRES
Également: Informations et transmission de lettres au sujet de liens entre des Suisses et Hitler. Divergences au sein du «Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz». Annexe de 14.8.1924
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 351
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E27#1000/721#4737* | |
Old classification | CH-BAR E 27(-)1000/721 815 | |
Dossier title | Anschuldigungen von Dr. Paul Kubick, Bern, gegen Oberstlt E. Bircher, Aarau, betr. Unterstützung der Vorbereitungen des Hitlerputsches in München und des Anschlusses von Tirol an Deutschland (1924–1925) | |
File reference archive | 04.A.1.b.5.b.3.b |
dodis.ch/44993
CONSEIL FÉDÉRAL
Proposition du Chef du Département de Justice et Police, H. Hâberlin1
Proposition du Chef du Département de Justice et Police, H. Hâberlin1
Der Bundesanwaltschaft sind von Dr. PaulKubick, Journalist in Bern, mündlich und schriftlich Mitteilungen zugegangen2, welche die Behauptung aufstellen, dass Oberstleutnant Eugen Bircher in Aarau sich an der Vorbereitung des Hitlerputsches in München beteiligt und auch mit österreichischen Kreisen, welche den Anschluss des Tirol an Deutschland durch bewaffneten Aufstand inszenieren wollten, Verbindungen unterhalten habe. Dr. Kubick stellte direkt das Begehren, es sei die Frage der Opportunität der Einleitung eines Untersuchungs- eventuell Strafverfahrens gegen Bircher und Mitbeteiligte dem Bundesrate zu unterbreiten und zwar wegen Begehens einer völkerrechtswidrigen Handlung nach Art. 41 B.Str.
Die Anschuldigung gegen Dr. Bircher ist zurückzuführen auf schriftliche Mitteilungen an Dr. Kubick seitens des frühem Sekretäres des Volksbundes für die Unabhängigkeit der Schweiz, Redaktor Hans Zopfi in Zürich. Die Briefe des Dr. Zopfi richten ihre Spitze mindestens ebensosehr gegen Dr. HansOehler, den Schriftleiter der schweizerischen Monatshefte für Politik und Kultur, dessen Mitarbeiter Hektor Ammann in Aarau und gegen Dr. Edgar Schmid, Advokat in Zürich. Zopfi erwähnt auch Besprechungen, die er mit Ingenieur Burkhard, dem Chef der technischen Nothilfe in Aarau, über die Bestätigung von «Bircher & Cons.» gehabt habe, worin zugestanden worden sei, dass auch leitende Kreise der vaterländischen Vereinigung mit Besorgnis deren Gebaren in gewissen Zeiten verfolgt hätten.
Nach Art. 4 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1851 tritt bei politischen Vergehen die Strafverfolgung nur in Folge einer vorläufigen Entscheidung des Bundesrates ein. Ist sie beim Untersuchungsrichter anhängig gemacht, kann sie durch die Vollziehungsbehörde allein nicht mehr aufgehalten werden (Art. 5 1. c.). Die Vorprüfung ist dem Bundesrat zweifellos nicht sowohl aus juristischen als aus politischen Gründen zugewiesen worden. Die Feststellung, ob genügende Unterlagen für eine Verfolgung, die Wahrscheinlichkeit eines Schuldbeweises, vorhanden seien, hätte man füglich den Untersuchungsorganen selbst überlassen. Immerhin spielt auch diese Frage beim Entscheide des Bundesrates eine Rolle, indem auch die Opportunität &iner Strafverfolgung von der Überlegung beeinflusst werden mag, ob man nicht ohne Not eine mit politischen Strafprozessen häufig verbundene inner- oder ausserpolitische Aufregung und Leidenschaft hervorrufe. Diese Frage ist gerade im vorliegenden Falle sicherlich am Platze. Die in den Mitteilungen Zopfi’s erwähnten Persönlichkeiten stehen auch in der innerschweizerischen Politik auf einem bestimmten Platze. Sie sind hier zum Teil gegen den Bundesrat und speziell gegen das Politische Departement und dessen Leiter in schroffen, nicht selten leidenschaftlichen Gegensatz getreten. Es ist vielleicht auch nicht ganz ein Zufall, dass der Anzeiger Zopfi, der frühere Volksbundsekretär, sich – fast ein volles Jahr nach den bayrisch-österreichischen Bestrebungen, aber kurz nach der Diskussion Motta/Oehler – an den ihm parteipolitisch kaum nahe stehenden konservativen Journalisten Kubick wendet mit seinen Aufschlüssen, um sein Gewissen zu entlasten. Wenn wir diese Punkte hervorheben, die dafür sprechen, dass wir mit einer gewissen Animosität zu rechnen haben, so entbindet der dadurch wachgerufene Zweifel an der Objektivität des Vorgehens natürlich nicht von der sorgfältigsten Prüfung der Unterlagen und der rechtlichen Seite.
Wir haben uns – dem oben entwickelten Gedankengange folgend – zuerst die Frage gestellt: Hat eine Strafverfolgung Aussicht auf ein positives Resultat? Dabei gingen wir von der einmal angenommenen Voraussetzung aus, es sei alles richtig, was dem Oberstleutnant Bircher und den Leuten um ihn vorgeworfen wird: dass er persönliche Beziehungen mit Hitler und anschlusslustigen Kaiserjägern unterhalten, diese selbst oder ihre Unterhändler empfangen und beherbergt habe, dass er Geldunterstützungen (Fr. 100 000.–?) für sie gesammelt und ihnen zur Verfügung gestellt habe. Wir haben umso eher diesen freilich heute nur hypothetischen Ausgangspunkt akzeptiert als wohl nicht zu leugnen ist, dass die – sagen wir geniale – Veranlagung Dr. Birchers ihn leicht über das normale Durchschnittsdenken –, Empfinden und Handeln hinauszuführen vermag und ihm wohl auch die Absteckung des völkerrechtlich Erlaubten und Gebotenen erschwert. Es ist das der Eindruck aller von uns Befragten, welche Dr. Bircher etwas näher kennen. Die Bundesanwaltschaft äussert nun aber die grössten Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Art. 41 B. Str. auch bei den von uns konzedierten Annahmen, indem bisher angenommen worden sei, dass blosse Vorbereitungen hochverräterischer Unternehmungen gegen ein anderes Land nicht unter den Straftatbestand fallen. Die Bundesanwaltschaft stützt sich dabei auf frühere Untersuchungen, z. B. auf ein von ihr erstattetes Gutachten i. S. Schöller (Valise diplomatique) vom 4. Februar 1918, den Beschluss des Bundesrates in Sachen Andrei vom 4. Mai 1918, und die Ausführungen von Prof. Schön in seiner Untersuchung über «die völkerrechtliche Haftung der Staaten aus unerlaubten Handlungen» von 1917 und nicht zuletzt auf das Nichteinschreiten des Bundesrates wegen der habsburgischen Umtriebe in der Schweiz.3 Die Quintessenz der Ausführungen der Bundesanwaltschaft in ihrem früheren Gutachten i. S. Schöller ging dahin, dass der Begriff der «ändern völkerrechtswidrigen Handlung» einschränkend zu fassen sei und darunter nur ein friedenstörender oder friedengefährdender Angriff auf die Existenz und die Ehre des fremden Staates verstanden werden könne. Der Bundesanwalt verwies damals darauf, dass wir mit einer weitergehenden Auslegung weit über all das hinausgehen würden, was andere Staaten zum Schutze des Völkerrechts auf strafrechtlichem Gebiete vorkehren. Tatsächlich hat sich wohl auch der Hitlerputsch selbst nicht gegen die Existenz oder Ehre eines Staates gerichtet4, und in den Tirolerbestrebungen ist es sicherlich nicht über blosse Vorbereitungshandlungen hinausgegangen.
Wir stehen also vor dem juristischen Ergebnis, dass eine eingeleitete Strafverfolgung auf Grund von Art. 41 B.Str. mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Freisprechung, wenn nicht schon zu einer Niederschlagung durch Untersuchungsrichter und Bundesanwalt, eventuell durch die Anklagekammer führen würde. Dabei ist noch zu beachten, dass im Falle der Überweisung der schwere Apparat der Bundesassisen in Bewegung gesetzt werden müsste. Und das angesichts eines Tatbestandes, der im eventuell beteiligten Nachbarlande längst liquidiert, mit relativ geringen Strafen und mit Freisprechungen erledigt ist, und vielleicht auch noch Amnestie- und Begnadigungserlassen ruft. Das Interesse des Fremdstaates an einem schweizerischen Strafverfahren ist also kaum vorhanden; er würde uns kaum dankbar sein für eine neue Beunruhigung, die als Reflexwirkung dort ausbrechen könnte.
Ist aber eine Sühne nötig aus dem Bedürfnis heraus, dass im Interesse unseres Staates derjenige bestraft wird, der eine Friedensstörung oder eine Friedensgefährdung herbeigeführt hat? Dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Falle der weitaus wichtigere. Aber gerade hier setzt nun die Erwägung ein, dass einem allfälligen Sühnebedürfnis nur durch eine Verurteilung und nicht durch eine blosse Strafverfolgung mit negativem Ausgang Genüge getan würde. Der Bundesrat würde auf der einen Seite den Vorwurf hören, er habe in leichtfertiger Weise den ganzen Apparat in Bewegung gesetzt, dessen Untauglichkeit er hätte kennen sollen; auf der ändern Seite würde ihm sicherlich vorgeworfen, er sei eben nicht mit der nötigen Energie eingeschritten.
Wir haben uns die Frage vorgelegt, ob dem bundesrätlichen Entscheide vorausgehend noch Einvernahmen, die den Charakter einer polizeilichen Voruntersuchung hätten, stattfinden sollten. Wir halten das aber gerade deshalb für unnötig, weil wir die Denunziation als im wesentlichen glaubwürdig betrachten. Wenn wir uns aber trotz der Bestätigung der Anzeige durch die Einvernahmen nicht zum Einschreiten entschliessen würde, so hätte diese Aktenergänzung nur den Nachteil, weiteres Aufsehen und Leidenschaften, die man gerade nicht wecken wollte, erweckt zu haben. Wir würden deshalb sogar gerne dem Bundesrate überhaupt den formellen Entscheid erspart haben. Dies erscheint aber nicht möglich. Einmal liegt ein direktes Begehren von Dr. Kubick nach einem solchen Entscheide vor, dem auch ein Rechtsanspruch enspricht. Sodann ist es auch notwendig, dass der Bundesrat auf jede spätere Anfrage, warum er wegen der ihm doch bekannt gewordenen Beschuldigungen gegen Bircher & Cons, nicht vorgegangen sei, klipp und klar Auskunft erteilen kann, aus welchen durchschlagenden Gründen er das nicht getan habe. Dass eine solche Anfrage früher oder später möglich ist, muss bejaht werden. Wir haben keine Gewähr dafür, dass ein so pikanter Gesprächstoff, der zurzeit einer Reihe von Journalisten bekannt ist, über den man sich auch im bayrischen Landtag, wenn auch in verblühmter Form schon unterhalten hat, über den auch der deutsche Gesandte gesprächsweise Andeutungen gemacht haben soll, nicht aufgewärmt werde, wenn schon es im wohlverstandenen Landesinteresse besser unterbliebe.
Neben dem negativen Entscheide des Bundesrates, den wir beantragen, ist deshalb unseres Erachtens auch ein positiver notwendig. Wenn auch die Handlungsweise Birchers und seiner Gefolgen heute nicht strafbar wäre, so wäre sie doch – die Richtigkeit der Beschuldigungen immer vorausgesetzt – zweifellos sehr unerwünscht und namentlich für einen aktiven Offizier unzulässig. Es würde mit Recht nicht verstanden, wenn der Bundesrat einfach mit Stillschweigen darüber hinweg ginge und nichts zur Verhinderung von Wiederholungen täte. Wir vertreten deshalb die Ansicht, dass durch Vermittlung des Militärdepartements dem Oberstleutnant Bircher diese Auffassung des Bundesrates in unzweideutiger Weise eröffnet und er in aller Form verwarnt werde. Damit würde ihm korrekterweise übrigens auch die Möglichkeit geboten, allfällige Unrichtigkeiten in den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu bestreiten und zu widerlegen; das schuldet man ihm auch. Über die exakte Form, in welcher die Verwarnung zu erfolgen hätte, möchten wir keine Vorschläge machen, sondern hier der zu beauftragenden Stelle schon deshalb möglichst freie Hand lassen, weil sehr leicht die Beruhigung, die wir mit unserm ganzen Vorschläge im übrigen sichern wollen, durch ein der Mentalität Birchers nicht angepasstes Vorgehen in Frage gestellt werden könnte. Inwieweit die übrigen von Zopfi genannten Personen direkt – oder indirekt über Bircher – verwarnt werden sollen und ob dies überhaupt zu geschehen hat, möchten wir Ihrer Beratung anheimstellen.
Wir stellen den Antrag:
1. Von der Einleitung einer Strafuntersuchung gegen Oberstleutnant Bircher und Mitbeteiligte ist zurzeit Umgang zu nehmen.
2. Oberstleutnant Bircher ist durch Vermittlung des eidg. Militärdepartements einzuvernehmen und gegebenenfalls zu verwarnen.5
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