Lingua: tedesco
5.2.1924 (martedì)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 5.2.1924
Verbale segreto del Consiglio federale (PVCF-S)
Intervention italienne à la suite de propos polémiques et injurieux à l’encontre de Mussolini dans le journal socialiste tessinois Libera Stampa. La procédure à suivre en cas de poursuites contre le journal. Dissuader l’Italie d’engager un procès public qui ne manquerait pas d’évoquer toute la politique fasciste. Décision d’intervenir directement auprès du journal pour le dissuader d’entretenir une polémique qui nuit aux bonnes relations italo-suisses; menaces d’expulsion de rédacteurs italiens.
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Pubblicato in

Antoine Fleury, Gabriel Imboden (ed.)

Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 8, doc. 316

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Bern 1988

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Collocazione

dodis.ch/44958
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 5 février 19241

Beziehungen zu Italien

Mündlich

Der Vorsteher des politischen Departementes führt folgendes aus:

Seitdem in Italien der Fascismus zur Herrschaft gelangt ist, hat der Zerfall der sozialistischen Partei begonnen und sie verliert Zusehens an Bedeutung. In ihrem Kampf ums Dasein ist ihr nun in der «Libéra Stampa», der Zeitung der sozialistischen Partei des Kantons Tessin, eine Helferin erstanden. Um ihren Einfluss zu stärken, soll die Zeitung beabsichtigen, ihr Format zu vergrössern und als Redaktor für die auswärtige Politik einen frühem sozialistischen Abgeordneten aus Italien einzustellen. Die Unterstützung, die die Zeitung der italienischen sozialistischen Partei gewährt, tritt in letzter Zeit in überaus heftigen Angriffen auf den italienischen Ministerpräsidenten in Erscheinung. Namentlich dessen Rede zur Einleitung des bevorstehenden Wahlkampfes um die Sitze in der italienischen Abgeordnetenkammer, welche Rede allerdings einzelne sehr scharfe, in der Form wenig glückliche Stellen enthielt, hat der Libera Stampa Anlass gegeben, in Leitartikeln den italienischen Ministerpräsidenten mit einer Flut von Schimpfworten zu übergiessen und auf ihn gröblichste Schmähworte, wie z. B. Räuber, anzuwenden. Das hat den italienischen Generalkonsul in Lugano bewogen2, die Aufmerksamkeit der tessinischen Regierung auf die masslose Sprache, die die Libera Stampa führt, zu lenken und er tat dies mit einem Schreiben, worin er beifügte, er unternehme diesen Schritt auf besondere Weisung des italienischen Ministerpräsidenten hin. Der Präsident des tessinischen Staatsrates antwortete ihm3, die Regierung bedaure die unangemessene Haltung der Libera Stampa und der sozialistische Regierungsrat Canevascini werde bei der Zeitung Schritte tun, um sie zu grösserer Mässigung anzuhalten. Gleichzeitig gab der Präsident des Staatsrates dem Vorsteher des politischen Departementes einlässlich Kenntnis von den eben geschilderten Vorgängen.4 Auch der italienische Gesandte in Bern kennt und verfolgt die Vorgänge. Mit ihm haben die Vorsteher des politischen und des Justiz- und Polizeidepartementes die Sachlage besprochen.

Die gegen den italienischen Ministerpräsidenten gerichteten Artikel der Libera Stampa fallen unter Art. 42 des Bundesstrafrechtes der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 4. Hornung 18535, wonach die öffentliche Beschimpfung einer fremden Regierung mit Geldbusse bis auf Fr. 2000.– bestraft wird, womit in schweren Fällen Gefängnis bis zu 6 Monaten verbunden werden kann. Zur Anwendung dieser Vorschrift ist jedoch nötig, dass die betreffende fremde Regierung ein Begehren stellt. Die Durchführung eines Strafverfahrens auf Grund der eben angeführten Gesetzesbestimmung würde nun aber dem Beklagten Gelegenheit geben, in öffentlicher Gerichtsverhandlung die ganze fascistische Politik in einer Weise zu erörtern, die dieser Erörterung weit grössere Bedeutung gäbe als dem schliesslichen Urteil zukäme, so dass auch vom Standpunkt der italienischen Regierung aus zweckmässiger erscheint, auf eine Antragstellung im Sinne von Art. 42 des Bundesstrafrechtes zu verzichten. Dies ist denn auch dem italienischen Gesandten zur Erwägung gegeben worden. Als weitere Massnahme gegenüber der Libera Stampa käme die administrative Ausweisung der in ihrer Redaktion beschäftigten Ausländer in Betracht. Der italienische Gesandte schien auch gewillt, in dieser Richtung vorstellig zu werden; es wurde ihm aber bedeutet, hievon abzusehen, da die Anwendung des Art. 70 der Bundesverfassung aussliesslich eine Frage der internen Rechtsordnung sei.

Dennoch sollte der Bundesrat in der Angelegenheit der Libera Stampa etwas vorkehren, da die Haltung dieser Zeitung geeignet ist, die für die Schweiz so wertvollen guten Beziehungen zu Italien empfindlich zu stören, die aufrecht und ungetrübt zu erhalten der italienische Ministerpräsident aufrichtig bestrebt ist, wie sich auch aus einem jüngsten Bericht des Gesandten in Rom unzweifelhaft ergibt. Der Vorsteher des politischen Departements stellt daher den Antrag, den Präsidenten des tessinischen Staatsrates zu ersuchen, er wolle den leitenden Redaktor der Libera Stampa kommen lassen, ihn im Auftrag des Bundesrates auf die Gefahren der heftigen Polemik der Zeitung aufmerksam machen und ihm die Erwartung aussprechen, dass sich die Haltung der Zeitung mässigen werde. Ob hiermit gleichzeitig die Androhung der Ausweisung der ausländischen Mitarbeiter in der Schriftleitung der Libera Stampa verbunden werden soll, mag zweifelhaft erscheinen.

Der Rat stimmt dem vom Vorsteher des politischen Departementes geplanten Vorgehen zu, hält es aber für richtig, gleich auch die erwähnte Ausweisungsandrohung mit der Vermahnung an den leitenden Redaktor der Libera Stampa zu verbinden, da es nicht angängig erscheine, mit der Ausweisung, wenn sie sich als nötig erweisen sollte, längere Zeit zuzuwarten.

Auf Grund der Beratung wird der Vorsteher des politischen Departementes beauftragt, mit dem Präsidenten des tessinischen Staatsrates im eben umschriebenen Sinne in Verbindung zu treten.6

1
E 1005 2/2. Etait absent: E. Schulthess.
2
Pour une copie de la lettre du Consul général Acton, datée du 30 janvier 1924, cf. E 2001 (B) 5/18.
3
Pour une copie de la réponse du Conseil d’Etat datée du premier février 1924, cf. E 2001 (B) 5/18.
4
Non reproduit, cf. E 2001 (B) 5/18.
5
RO, 1851-1853, Tome III, tome III, pp. 347-348.
6
Extrait du procès-verbal du 8 février 1924, relatif à la suite de cette affaire: [...] in einem privaten Brief an den Vorsteher des politischen Departementes stellt Regierungspräsident Canevascini fest, dass an den gegen den italienischen Ministerpräsidenten gerichteten Artikeln der Libera Stampa kein Ausländer beteiligt sei und weist daraufhin, dass auch gegen die sozialistische Partei in der tessinischen Presse oft masslose Angriffe gerichtet werden[...] . Der Vorsteher des politischen Departementes gedenkt, dem italienischen Gesandten nun auch davon Kenntnis zu geben, dass der Präsident des tessinischen Staatsrates dem Schreiben des Bundesrates durch energische Vermahnung der Schriftleitung der Libera Stampa Folge gegeben hat. Damit dürfte der Zwischenfall als erledigt zu betrachten sein (E 1005 2/2).