Classement thématique série 1848–1945:
XIV. LA QUESTION DE L'ÉMIGRATION
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 284
volume linkBern 1988
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2175#1000/132#200* | |
Dossier title | Kanada-Aktion mit der Gesellschaft für Innenkolonisation / 2.Teil: Unterstützung der Auswanderer zur Ermöglichung der Auswanderung (1923–1924) | |
File reference archive | 18/1f |
dodis.ch/44926
Die Frage der Förderung der Auswanderung beschäftigt nach wie vor die Öffentlichkeit in hohem Grade, und ich halte es deshalb für meine Pflicht, Ihnen über diese Angelegenheit zu Ihrer Orientierung einen kurzen Bericht zu erstatten.
Als die Arbeitslosigkeit in der Schweiz besorgniserregende Dimensionen annahm, sah sich der Bundesrat veranlasst, die Frage zu prüfen, ob nicht durch die Förderung der Auswanderung die Lage gebessert werden könnte. Diese Prüfung war umso notwendiger, als in der Presse und in öffentlichen Versammlungen häufig die unsinnigsten Projekte zur Verwirklichung empfohlen wurden. In weiten Kreisen unseres Volkes hielt man dafür, dass die Gründung einer Schweizerkolonie die schlimmen Verhältnisse in der Heimat günstig beeinflussen könnte. Meine Stellungnahme zu dieser Voraussetzung, wie sie im Geschäftsbericht von 1921 bekannt gegeben wurde, fand bei vielen Fachmännern in Übersee eine günstige Aufnahme. Mit der Erwerbung eines Landstückes und der Anlage einer Kolonie allein hätte jedoch der Arbeitslosigkeit nicht mit Erfolg begegnet werden können; dies konnte nur durch Placierung sehr vieler Arbeitsloser im Auslande geschehen. Das Volkswirtschaftsdepartement wünschte, dass an die Förderung der Abund Auswanderung herangetreten werde, und ich verfasste im April 1922 ein diesbezügliches Gutachten2, in dem ich zum Schlüsse kam, dass in jedem fremden Lande mit Hilfe unserer Vertreter Vertrauensmänner ausfindig gemacht werden sollten, die sich über die Arbeits- und Siedlungsverhältnisse in ihrem Wohnstaate zu erkundigen und Berichte hierüber anher zu senden hätten. Diese Berichte, insbesondere diejenigen über die Gründung von Kolonien, wären von einem Auswanderungskommissär zu ordnen und einer Kommission von Fachmännern zu unterbreiten; über die weitern Massnahmen könnte dann durch die Bundesbehörden Beschluss gefasst werden. Die Tätigkeit des Auswanderungskommissärs wäre naturgemäss der Aufsicht des Auswanderungsamtes zu unterstellen, um eine richtige Zusammenarbeit mit ihm zu ermöglichen. Infolge der vielen nötig werdenden Besprechungen zog sich die Angelegenheit in die Länge. Am 7. Juli 1922 hat der Bundesrat dem Vorschlag, es sei für die Dauer der Krise eine Auswanderungskommission zu ernennen und eine Zentralstelle zu kreieren, zugestimmt. Über die Wahl der Mitglieder der Kommission entstanden Meinungsverschiedenheiten, und die Akten blieben lange liegen, meines Wissens beim Volkswirtschaftsdepartement. Mit meinem Berichte vom 2. Oktober 1922 unterbreitete ich Ihnen Vorschläge betreffend die Ernennung von Vertrauensmännern in überseeischen Staaten. Am 20. Oktober erklärte sich der Bundesrat damit einverstanden, dass nun die in Rede stehende Auswanderungskommission ernannt und die in Vorschlag gebrachte Zentralstelle kreiert werde. Bereits waren verschiedene Massnahmen zur Ausführung des Bundesratsbeschlusses getroffen worden, als sich die Geschäftsstelle der schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft (der Kürze halber möchte ich hernach nur das Wort «Geschäftsstelle» gebrauchen) bereit erklärte, die Funktionen der Zentralstelle zu übernehmen. Mit Beschluss des Bundesrates vom 1. Dezember 1922 wurde das politische Departement ermächtigt, der Geschäftsstelle die Funktionen einer Zentralstelle für das kolonisatorische Auswanderungswesen im Sinne des dargestellten Arbeitsprogrammes versuchsweise zu übertragen. Das aufgestellte Arbeitsprogramm lautete wie folgt:
«1. Erkundigungen nach Siedlungsmöglichkeiten in europäischen und aussereuropäischen Staaten sowie schriftliche und mündliche Auskunfterteilung hierüber.
2. Feststellung im Einzelfalle, ob Auswanderungslustigen durch die Innenkolonisation zu einer Existenz verholfen werden könnte, und wenn dies nicht der Fall sein sollte, Beratung über geeignete europäische und aussereuropäische Siedlungsgebiete.
3. Stellenvermittlung nach aussereuropäischen Ländern (die Stellenvermittlung nach europäischen Ländern bleibt Aufgabe des eidg. Arbeitsamtes).
4. Prüfung und Gründung von Siedlungsunternehmen, diesbezüglicher Verkehr mit Landbesitzern, Vorschläge an die Bundesbehörde in bezug auf Subventionierung von Kolonisationsprojekten und Unterhandlungen mit Banken, Gesellschaften und Privaten betr. Beteiligung an solchen Projekten (jedes Siedlungsunternehmen wird als rechtlich und finanziell selbständig organisiert) Auswahl geeigneter Kolonisten unter den Auswanderungslustigen, Placierung der Ausgewählten und Beobachtung ihres Fortkommens am Reiseziel.
5. Vorbereitung der Auswanderungslustigen, die Ansiedler werden wollen, auf ihre künftige Tätigkeit durch Beschäftigung bei der Innenkolonisation oder auf Landgütern.
Die Vorschläge betr. Annahme und Ausführung eines Kolonisationsprojektes werden von der oberwähnten Geschäftsstelle dem Auswanderungsamt Übermacht und dem polit. Depart, von letzterem mit einem Gutachten unterbreitet; die praktische Durchführung der von den Bundesbehörden gutgeheissenen Kolonisationsunternehmungen ist wieder Aufgabe der in Rede stehenden Geschäftsstelle. Zur Durchführung ihrer Obliegenheiten wird die Geschäftsstelle ermächtigt, mit den diplomatischen und konsularischen Vertretern der Eidgenossenschaft direkt zu verkehren, doch bleibt die Erteilung eigentlicher Aufträge an diese Organe dem polit. Departement Vorbehalten.»
Die Geschäftsstelle trat nun in Tätigkeit. Das Auswanderungsamt übergab ihr ein reiches Aktenmaterial und machte sie bekannt mit seinen Vorbereitungen in bezug auf das Kolonisationswesen, seinem Informationsdienst und erklärte sich zu jeder Mithülfe bereit, wünschte aber, um ein Zusammenarbeiten zu ermöglichen, über die Massnahmen der Geschäftsstelle auf dem Laufenden erhalten zu werden.
Hinsichtlich der Placierung von Schweizern nach Frankreich wurde zwischen dem eidg. Arbeitsamt und der Geschäftsstelle in dem Sinne eine Einigung erzielt, dass sich letztere auf die Vermittlung landwirtschaftlicher Stellen sowie Gutspachten und Gutskäufe zu beschränken habe. In bezug auf Siedlungsmöglichkeit in Albanien liegt ein Bericht vor, aus dem sich ergibt, dass von einer Auswanderung dorthin im eigentlichen Sinne des Wortes nicht gesprochen werden könne, es dürfte sich nur darum handeln, durch Gesellschaften dort Werke ausführen zu lassen gegen Erteilung von Konzessionen, z. B. Ausbeutung von Wäldern, wobei es Schweizern möglich wäre, Beschäftigung zu erhalten. Das Hauptaugenmerk richtete die Geschäftsstelle auf Canada, weil dort zur Aufnahme schweizerischer Einwanderer bereits von uns Unterhandlungen stattgefunden hatten. Wie Ihnen bekannt ist, unterhält Canada in Winnipeg ein staatliches Stellenvermittlungsbureau, das über vakante Stellen ein Register führt und Arbeitsuchenden zu Beschäftigung verhilft. Wir waren nun der Ansicht, unser Generalkonsulat in Montreal hätte einen Vertrauensmann, der mit den Orts- und Lebensverhältnissen des Landes vertraut war, ermächtigen sollen, mit diesem Stellenvermittlungsbureau und auch direkt mit Arbeitgebern (namentlich den grossen Bahngesellschaften) in Verbindung zu treten, um arbeitswilligen Landsleuten zu Beschäftigung zu verhelfen, sowie zu Farmpachten und Erwerb von Landlosen. Die Geschäftsstelle bestand aber darauf, einen Delegierten nach Canada zu senden. Dieser stellte in Winnipeg fest, wie viele mit landwirtschaftlichen Arbeiten vertraute Personen auf Farmen in Zentral-Canada placiert werden können. Seinen Weisungen gemäss wurden dann von Zeit zu Zeit Gruppen gesammelt und nach Winnipeg befördert. Trotz der sorgfältigen Auswahl der Bewerber um Stellen in Canada kam es vor, dass ungeeignete Personen angenommen wurden, die sich auf der Reise und in Canada keineswegs so aufführten, dass sie den Bestrebungen der Behörden Ehre machten. Mehrere dieser unterstützten Auswanderer kamen zurück, andere nahmen die ihnen zugewiesenen Stellen nicht an und suchten anderswo Beschäftigung und wieder andere haben sich laut eingelaufenen Berichten bereits in die Vereinigten Staaten eingeschmuggelt. Leider entstanden zwischen dem Delegierten der Geschäftsstelle, Herrn Beck, und der Canadian Pacific Bahngesellschaft Differenzen, ebenso zwischen unserm Generalkonsul in Montreal und Herrn Beck. Herr Beck wollte die ganze Placierung in Canada selbst in den Händen behalten und verfocht die Idee, jeder durch ihn placierte Schweizer müsse ein Jahr lang zu einem Monatslohn von 25 Dollars auf einer Farm arbeiten, alsdann werde sich ergeben, ob ihm zu einem Heimwesen verholfen werden könne. Die C. P. R. wollte auf diese Bedingung nicht eingehen und verlangte für Arbeitgeber und Arbeitnehmer grössere Freiheit. Die Idee Becks ist beachtenswert und man war hierorts allgemein der Ansicht, dass es für einen Schweizer besser sei, wenn er im Sommer zu einem kleinern Lohn als landesüblich arbeiten müsse und den Winter über dafür auf der Farm bleiben könne. Die Abmachungen Becks in dieser Hinsicht erregten mein Erstaunen, und es ergab sich anlässlich seines Besuches auf meinem Bureau, dass diesbezüglich keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen worden sind, dass nicht nur jeder Farmknecht davon laufen kann, wenn er einmal seinen Lohn erhalten hat, sondern dass auch jeder Farmer die engagierten Schweizer jederzeit entlassen kann, wenn er sie bezahlt hat und sie nicht mehr braucht. Es ist deshalb zu befürchten, dass manche der placierten Schweizer im Spätherbst oder Winter entlassen werden, nachdem sie den Sommer über um einen zu kleinen Lohn verdingt worden waren. Die letzte Gruppe der für Canada gewonnenen Schweizer soll demnächst abreisen und weitere Transporte dieses Jahr nicht mehr zur Ausführung gelangen. Die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften beginnt nun, der vorgeschrittenen Jahreszeit wegen, in Canada nachzulassen. Vom Auswanderungsamt und den Auswanderungsagenturen wurden der Geschäftsstelle auswanderungsentschlossene, aber unbemittelte Landsleute zugewiesen und hauptsächlich der materiellen Unterstützung wegen gelang es ihr, zwischen 500 und 600 Personen nach Canada zu befördern, und die Herren Bernhard und Beck befinden sich zurzeit auf der Reise nach diesem Lande, um die eingeleitete Aktion an Ort und Stelle zu prüfen.
Da die Geschäftsstelle mit der Förderung der Auswanderung vorläufig nur bis Ende dieses Jahres betraut ist, so stelle ich mir die Fragen: Hat sie die ihr übertragenen Aufgaben erfüllt, ist durch ihre Tätigkeit die Krise in der Schweiz gemildert worden, und lassen sich die Aufwendungen für die Geschäftsstelle mit ihren bisherigen Erfolgen rechtfertigen. Ich muss diese Fragen verneinen. Das eidgen. Arbeitsamt seinerseits hat die Verabfolgung von Unterstützungen an Arbeitsentschlossene, die Ansiedler werden möchten, eingestellt und dadurch die Förderung der Auswanderung beeinträchtigt. Noch nicht über ein einziges Siedlungsprojekt (wenn man von Albanien absieht) hat uns die Geschäftsstelle bisher Bericht erstattet. Ausser der Stellenvermittlung landwirtschaftlicher Arbeiter nach Frankreich beschränkte sich die ganze Stellenvermittlung auf Canada und dort insbesondere auf die Zentralprovinzen. Es ist uns nichts davon bekannt, dass Auswanderungsentschlossene durch die Geschäftsstelle über aussereuropäische Siedlungsgebiete beraten worden wären. Von Unterhandlungen mit Landbesitzern, mit Banken, Gesellschaften und Privaten zwecks Placierung von arbeitslosen Schweizern und Anlage von Siedlungen haben wir noch keine Nachricht erhalten. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Hunderte von unbemittelten und arbeitslosen Landsleuten durch die Geschäftsstelle in Ost- und Westcanada, längere Zeit auch in den Vereinigten Staaten, ganz besonders aber in Brasilien, Argentinien und Australien hätten Arbeit und vielleicht eine Existenz finden können. Der ganze Apparat ist meiner Ansicht nach viel zu schwerfällig und kostspielig. Ich erhebe keine Anschuldigung gegen die Geschäftsstelle und anerkenne voll und ganz die grosse Arbeit von Herrn Dr. Bernhard und ebenso die Bemühungen des Herrn Beck; auch persönlich schätze ich diese beiden Herren hoch und hätte keinen Grund, sie nicht mehr meines vollen Vertrauens zu würdigen, aber die ganze Angelegenheit ist so ernst und von solcher Tragweite, dass mit rücksichtsloser Offenheit auf die Sachlage, wie sie ist, hingewiesen werden muss. Wenn in der bisherigen Weise fortgearbeitet wird, und mit der Unterstützung der Auswanderung die Geschäftsstelle, die Innerpolitische Abteilung, das Arbeitsamt, die Finanzkontrolle, das Auswanderungsamt usw. zu tun haben, und die Geschäftsstelle ihre Aufgaben zu einseitig auffasst, befürchte ich ein Fiasko; ein solches muss aber unter allen Umständen und um jeden Preis dem Bundesrat erspart werden. Nach reiflicher Überlegung aller einschlägigen Fragen gelangte ich zur Ansicht, dass die ganze Angelegenheit auf Anfang des nächsten Jahres neu geordnet werden muss. Eine Ausscheidung der Kompetenzen und eine klare Zuweisung von Aufgaben an die Geschäftsstelle und Verwaltungsabteilungen halte ich für unaufschiebbar. Glücklicherweise ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz bedeutend zurückgegangen und eine Förderung der Auswanderung, wie sie anfänglich geplant war, kaum mehr nötig. Immerhin ist die Zahl der Arbeitslosen noch gross, sie wird vielleicht auf den Winter noch grösser, so dass mit der materiellen Unterstützung erwerbsloser Auswanderungsentschlossener noch einige Zeit wird fortgefahren werden müssen und auf die Mithülfe der Geschäftsstelle kann noch kaum verzichtet werden. Ich finde jedoch, letztere sollte sich auf die eigentliche ihr vom Bundesrat zugewiesene Arbeit, nämlich die kolonisatorische Auswanderung, beschränken. Die Grosszahl unserer Arbeitslosen sind Industriearbeiter, Handwerker und Techniker. Es handelt sich also darum, diesen im Auslande zu Beschäftigung zu verhelfen, wenn sie in der Heimat keine finden können. Hiezu ist aber das eidg. Arbeitsamt weit befähigter als die Geschäftsstelle, denn ihm ist bekannt, wo Arbeitskräfte gesucht werden und was für welche, und es kann mit den seiner Aufsicht unterstellten kantonalen Arbeitsämtern viel leichter Beschäftigungslose dahin dirigieren, wo Arbeit vorhanden ist, auch stehen ihm die nötigen Mittel zu einer allfälligen Unterstützung zur Verfügung. Da das ganze Auswanderungswesen der Aufsicht des Auswanderungsamtes unterstellt ist, so müsste es von den Placierungen des Arbeitsamtes genau unterrichtet sein, schon wegen seines Informationsdienstes, um mit ihm Hand in Hand arbeiten zu können. Meine Vorschläge gehen also dahin, die Geschäftsstelle habe sich von Neujahr an nur noch mit der Prüfung von Siedlungsmöglichkeiten in europäischen und aussereuropäischen Staaten zu befassen, über Kolonisationsprojekte, die nach ihrer Ansicht zur Ausführung gelangen könnten, dem Auswanderungsamt zuhanden des politischen Departements Bericht zu erstatten, Leute, die Kolonisten werden wollen, zu Beschäftigung auf Kolonien oder zum Erwerb eines Landloses zu verhelfen (wobei von der Absendung von Kommissaren von Europa aus abzusehen u. die Mithilfe unserer Vertreter u. Hafenkommissäre in Aussicht zu nehmen wäre) und Güterpachten und Güterkäufe in europäischen Ländern zu vermitteln, sowie spätere Kolonisten durch Beschäftigung bei der Innenkolonisation auf ihre künftigen Arbeiten vorzubereiten. Die Stellenvermittlung nach dem gesamten Auslande sei dem eidg. Arbeitsamt zu übertragen, solange diese infolge der Krise nötig ist. Das Auswanderungsamt habe sich mit der ihm durch Gesetz und Verordnung zugewiesenen Aufgaben zu befassen, aber infolge seiner Stellung als Aufsichtsorgan über das Auswanderungswesen sei ihm die Berechtigung einzuräumen, über die kolonisatorische Tätigkeit der Geschäftsstelle und die Stellenvermittlung des eidg. Arbeitsamts sich jederzeit informieren zu lassen.
Tags