Language: German
21.3.1923 (Wednesday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 23.1.1923
Secret minutes of the Federal Council (PVCF-S)
A propos de l’opportunité de saisir la SdN de la question de l’occupation de la Ruhr; attitude des autres pays neutres et des Etats de l’Entente. Peu de résultats à escompter d’une démarche helvétique. Décision de ne rien entreprendre.
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Printed in

Antoine Fleury, Gabriel Imboden (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 252

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Bern 1988

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dodis.ch/44894
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 23 janvier 19231

Intervention beim Völkerbund wegen der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich

Mündlich

Der Vorsteher des politischen Departementes erstattet dem Rat Bericht über die Frage der Intervention der Schweiz beim Völkerbund wegen der Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und der daraus sich ergebenden Folgen. Die Delegation für auswärtige Angelegenheiten hat gestern zu der Frage Stellung genommen.

Es liegen drei Eingaben an den Bundesrat vor, die sich mit der internationalen Lage befassen:

1. die bekannte Eingabe der sozialdemokratischen Partei2;

2. eine Eingabe der christlich-sozialen Organisationen3, die gegen die Vergewaltigung Deutschlands protestiert und den Wunsch ausspricht, der Bundesrat wolle dieser Angelegenheit seine Aufmerksamkeit schenken und zur Wahrung des Friedens tun, was er könne;

3. eine Eingabe der Schweiz. Vereinigung für den Völkerbund4, die den Bundesrat anruft, dass er den Völkerbundrat darin bestärke, sich die Resolution XVI der letzten Völkerbundsversammlung zu eigen zu machen und damit die drohende Kriegsgefahr zu beseitigen (Vgl. BBl. 1923, I. 48).

Die Lage ist nun folgende:

Nach den beim Generalsekretariat des Völkerbundes eingezogenen Erkundigungen tritt der Völkerbundsrat am 29. Januar nächsthin in Paris zu einer Tagung zusammen. Italien und England hätten Genf als Ort der Tagung vorgezogen, scheinen nun aber dem Drängen Frankreichs nachgegeben zu haben, das die Tagung in Paris haben wollte, u.a. auch, weil sein Gesundheitszustand Herrn Bourgeois nicht zu reisen gestatte. Das Generalsekretariat hat von sich aus nichts unternommen, um in der Tagung des Völkerbundsrates die Frage der Ruhrbesetzung zur Sprache zu bringen; es ist aber der Meinung, es sei unmöglich, dass der Rat jetzt zusammentrete, ohne sich in irgendeiner Form mit jener und den damit zusammenhängenden Fragen zu befassen.

Über die mutmassliche Stellungnahme der übrigen neutralen Staaten zu einer Intervention beim Völkerbund in dieser Sache ist folgendes zu sagen:

Spanien. Etwas Bestimmtes war nicht zu erfahren, doch ist anzunehmen, dass es nicht gewillt ist, etwas zu tun. Dänemark dürfte schon mit Rücksicht auf den ihm zugefallenen Landgewinn nicht geneigt sein, eine solche Intervention zu unterstützen. Über TVorwegenwarbisjetzt nichts zu erfahren. Holland: Der Minister van Karnebeek äusserte sich dem Schweiz. Gesandten gegenüber, er halte eine Intervention des Völkerbundes nicht für möglich, wenn England, Italien und Amerika nichts auszurichten vermögen, wie könne man da glauben, der Völkerbund werde etwas erreichen? Wenn er (V. Karnebeek) seine Auffassung ändern sollte, so würde er dies mit in erster Linie die Schweiz wissen lassen. Schweden: In einer ersten Sitzung war der parlamentarische Ausschuss für Auswärtiges zu dem Schluss gelangt, das schwedische Parlament solle einen Appell an Amerika richten, wobei der Ausschuss von der Meinung ausging, der Völkerbund würde, wenn er interveniere, etwas Unrichtiges tun. In einer zweiten Sitzung beschloss der Ausschuss aber, von einem Appell an Amerika abzusehen; dagegen sollte Branting ermächtigt werden, eine Intervention im Völkerbund zu versuchen, nachdem er sich vergewissert habe, dass England, Frankreich und Deutschland damit einverstanden wären. Es besteht also keine Aussicht, dass Schweden zusammen mit der Schweiz beim Völkerbund intervenieren würde.

Staaten der Entente.

Frankreich würde es sicher sehr übel nehmen, wenn ein Neutraler sich in diese Angelegenheit einmischen wollte. Der Botschafter äusserte: «une intervention d’un neutre serait une chose très grave». Das Gleiche gilt von Belgien. Bezeichnend für die Stimmung ist ein Artikel in der Action française, worin ausgeführt wird, wenn man den Frieden gefährden wolle, dann müsse man nur den Widerstand Deutschlands versteifen und man müsse Herrn Branting sagen, dass er sich ruhig verhalten solle.

In England würde zwar der Schritt eines Neutralen kaum wie in Frankreich als etwas Unfreundliches angesehen, aber er würde sicherlich auch dort keine grosse Freude erwecken. Über Italien fehlen zuverlässige Angaben; es würde vermutlich eine Intervention des Völkerbundes nicht ungern sehen und jedenfalls einen dahinzielenden Schritt eines Neutralen nicht unfreundlich aufnehmen.

Unter diesen Umständen ist folgendes festzustellen: Entweder behandelt der Völkerbundsrat in seiner nächsten Tagung die Angelegenheit und dann ist eine Intervention beim Völkerbund weiter nicht nötig, oder der Rat tritt auf die Angelegenheit nicht ein, und dann muss diese Haltung auf Hindernisse von so grosser Bedeutung zurückgeführt werden, dass auch eine Intervention der Schweiz sie nicht zu beseitigen vermöchte. Dazu kommt für den Bundesrat die Überlegung, dass das Schweizervolk in dieser Angelegenheit nicht einig ist. Weite Kreise der Ostschweiz wünschen eine Manifestation des Bundesrates, um gewissermassen unser Gewissen zu salvieren; doch gibt es auch dort eine grosse Zahl von Leuten, die sich über die Tragweite und die allfälligen Folgen eines solchen Schrittes richtig Rechenschaft geben, wie ein in der Thurgauer Zeitung erschienener vortrefflicher Artikel beweist. Trotz einstimmiger Verurteilung der Ruhrbesetzung ist also die deutsche Schweiz in der Frage der Intervention beim Völkerbund geteilter Meinung. Die welsche Schweiz ist offenbar geschlossen der Meinung, dass der Bundesrat in dieser Sache keinen Schritt tun solle. In der italienischen Schweiz würde ein Schritt des Bundesrates nicht ohne weiteres als unerwünscht betrachtet.

Endlich ist noch daraufhinzuweisen, dass unter den gegenwärtig obwaltenden Umständen ein Schritt des Bundesrates offenbar keine Aussicht auf Erfolg hätte; einen Schritt aber zu tun, der nichts nützt oder gar, was hier auch im Bereich der Möglichkeit liegt, schadet, wäre unsinnig.

Auch die Fraktionspräsidenten des Nationalrates, vor denen der Vorsteher des politischen Departementes gestern die Sachlage darlegte – Herr Gräber fehlte und Herr Walther musste vorzeitig weg –, kamen zur Überzeugung, dass der Bundesrat besser jetzt nicht interveniere, wobei allerdings grosse Besorgnisse wegen unserer gefährdeten Lage geäussert wurden und betont wurde, der Völkerbund werde, wenn er jetzt nichts tue, in der Schweiz starke Einbusse an Ansehen und Vertrauen erleiden.5

Der Vorsteher des politischen Departementes ist daher der Meinung, der Bundesrat solle zurzeit keine Intervention beim Völkerbund einleiten, könne die Beschlussfassung hierüber aber bis zur nächsten Sitzung verschieben. Für die Zukunft müsse er sich seine Stellungnahme Vorbehalten, da jederzeit Umstände eintreten können, die eine Intervention als aussichtsreich erscheinen lassen.

Aus der Beratung ergibt sich, dass der Rat grundsätzlich die Auffassung des Vorstehers des politischen Departementes teilt. Es wird hervorgehoben, dass in der welschen Presse die ganze Sache lediglich als ein Streit zwischen Frankreich und Deutschland aufgefasst und die ungeheure Gefahr des Vorgehens Frankreichs für unsere wirtschaftliche und politische Existenz nirgends gewürdigt werde, während die deutschschweizerische Presse diese Seite der Angelegenheit ganz richtig erkannt habe. Betont wird auch, dass der Völkerbund, selbst wenn er wollte, nichts erreichen würde, da er auf dem Grundsatz der Einstimmigkeit der Beschlüsse beruht. Allein deshalb dürfe man den Stab nicht über ihn brechen und die Schweiz dürfe dies um so weniger tun, als sie ja gar nicht im Völkerbund sein könnte, wenn nicht das Einstimmigkeitsprinzip darin herrschte. Gewiss lasse sich nicht verkennen, dass wir gegenwärtig in grosser Gefahr schweben, doch sei von dieser Erkenntnis noch ein grosser Schritt bis zu dem Entschluss zu intervenieren, auch wenn die Intervention die Gefahr noch steigern könnte. Einen solchen Schritt aber zu unternehmen, lediglich um das Gewissen zu entlasten, könne eine Regierung nicht verantworten.

Auf Grund der Beratung wird beschlossen:

Unter den gegenwärtigen Umständen sieht sich der Bundesrat zur Zeit nicht veranlasst, beim Völkerbund wegen der Besetzung des Ruhrgebietes durch Frankreich zu intervenieren; er behält sich aber für die Zunknft alle weitern Entschliessungen vor.

1
E 1005 2/2.
2
Lettre de pétition du 11 janvier 1923, non reproduite cf. E 2001 (B) 8/23.
3
Lettre de pétition du 16 janvier 1923, non reproduite. Ibid.
4
Lettre de pétition du 22 janvier 1923, non reproduite. Ibid.
5
A la suite d’une interpellation du Conseiller national Grimm, du 7 février 1923, sur l’attitude de la Suisse dans la question de la Ruhr, Motta exposa le 9 février les vues du Conseil fédéral, cf. Bulletin sténographique des séances du Conseil national, Session ordinaire d’hiver 29 janvier– 9 février 1923, pp. 159–164.