Vertraulich Wien, 3. Februar 1922
Vor einigen Tagen, bevor mir Ihr vertrauliches Schreiben vom 28. Januar2, das ich erst heute erhielt, zugekommen war, besuchte mich Herr von Baldass, der hiesige liechtensteinische Geschäftsträger; es handelte sich um die Einreisebewilligung für einen der liechtensteinischen Prinzen.
Im Laufe des Gespräches wurde auch die Frage des Zollanschlusses des Fürstentums an die Schweiz gestreift. Da ich keine eigenen direkten Informationen besass, verlegte ich mich aufs Fragen. Die mir von Herrn von Baldass erteilten summarischen Informationen stimmten im allgemeinen mit den Beschlüssen des Bundesrates3 überein; dabei verwies er aber auf einen Artikel im «Journal de Genève» vom 27. Januar, der von einer Einschränkung der Souveränitätsrechte des Fürsten sprach; er zeigte sich durch diesen Kommentar etwas pikiert und erklärte, einer Beschränkung der Souveränitätsrechte würden der Fürst und die Landesregierung und auch das Land selbst niemals zustimmen; die in Aussicht genommenen vertraglichen Bestimmungen bedeuteten auch keineswegs eine solche Beschränkung, da die darin enthaltenen Vorschriften kraft Anordnung nicht der schweizerischen, sondern der liechtensteinischen Regierung zur Anwendung kämen. Ich erwähne diese Auslassungen des Herrn von Baldass nur deshalb, weil in Ihrem Exposé über die bundesrätliche Beratung ebenfalls von einer «beträchtlichen Beschränkung der Souveränitätsrechte des Fürstentums» die Rede ist; es wäre angesichts der zu Tage tretenden Empfindlichkeit vielleicht ratsam den Ausdruck «Beschränkung der Souveränitätsrechte», auch der Presse gegenüber, nur in sehr vorsichtiger Weise zu gebrauchen, wenn auch de facto, der geplante Zollanschluss, wenigstens für die Giltigkeitsdauer des Vertrages, eine solche Beschränkung mit sich bringen würde.
Ich hoffe sehr, Sie werden es entschuldigen, dass ich mir erlaube, Sie auf diese liechtensteinische Empfindlichkeit aufmerksam zu machen. Es darf dabei nicht ausser Acht gelassen werden, dass früher ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis Liechtensteins wie es jetzt gegenüber der Schweiz geplant und durch den Postund Telegraphenvertrag schon eingetreten ist4 gegenüber Österreich bestand, was gewissen Sukzessionsstaaten, so namentlich der Tschecho-Slowakei Anlass geboten hat zu trachten, die Souveränität des Fürsten zu beanstanden und aus ihm einen Vasallen Österreichs zu machen. Da der grösste Teil der Güter des Fürsten in der Tschecho-Slowakei liegt, hat er ein bedeutendes Interesse an der Aufrechterhaltung der Tatsache – mag man es auch eine Fiktion nennen –, dass er ein absolut souveräner ausländischer Fürst ist und nicht mit der gleichen Rücksichtslosigkeit behandelt werden darf wie der erste beste österreichische Grossgrundbesitzer. Für uns mag die Erhaltung der Privatgüter des Fürsten gleichgiltig sein, nicht aber (ganz abgesehen vom Fürsten selbst) für das Land Liechtenstein, welches bekanntlich von seinem Fürsten in grossem Massstabe finanzielle Unterstützung erhalten hat. Fallen die böhmischen Güter dem tschechoslowakischen Staate zur Beute, so ist auch Johann II nicht mehr im Stande, seinen Untertanen mit Geldzuschüssen unter die Arme zu greifen.