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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 8, doc. 143
volume linkBern 1988
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2001B#1000/1503#1360* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2001(B)1000/1503 49 | |
Titolo dossier | Kaiser Karl I. und sein Gefolge; Dokumente I, II, III und IV (1918–1922) | |
Riferimento archivio | B.44.142.2 |
dodis.ch/44785
Anlässlich eines Besuches mit seiner Gemahlin bei meiner Frau sagte mir Bundeskanzler Schober, er habe sich Sektionschef Schager (der übrigens seit längerer Zeit nicht mehr aktiver Sektionschef ist) kommen lassen und habe ihm, ohne ihm von unserm kürzlichen Gespräch etwas zu sagen, doch erwähnt, es wäre möglich, dass ich durch Schagers Missbrauch unseres Vertrauens ebenso verstimmt sei wie der Bundesrat durch das Vorgehen König Karls. Schober frug mich, offenbar im Einverständnis mit Schager, ob ich letzteren nicht empfangen wolle. In der Meinung, dass durch eine solche Unterredung doch interessante Informationen erhältlich sein könnten, sagte ich zu, erklärte aber dem Bundeskanzler, dass ich Herrn Schager gegenüber meine Meinung über sein Verhalten nicht verhehlen würde.2
Gestern nun liess Schager durch seinen Sekretär um Audienz bitten und heute morgen kam er zu mir.
Der Vertrauensmann des Ex-Kaisers bat mich nun um Verzeihung für die Enttäuschung die er meiner Regierung und mir verursacht habe; er sei immer gegen eine überstürzte Heimkehr des Monarchen gewesen und habe stets seinen ganzen Einfluss in diesem Sinne, früher in Prangins und jetzt in Hertenstein, zur Geltung gebracht. Als ihm aber im Oktober von Seiten der führenden, bis dahin zurückhaltenden Führern der ungarischen Legitimisten wie z. B. dem sonst so klugen und einsichtigen Dr. Gratz der bestimmte Auftrag erteilt [worden sei], ihren König zurückzurufen, und [sie ihm] ein entschiedenes Gelingen in Aussicht gestellt hätten, da sei bei ihm ein Gewissenskonflikt entstanden, bei welchem schliesslich die Pflicht gegen seinen Souverän die Oberhand gewann. Ich bemerkte nun Dr. Schager, dass dieses Raisonnement vielleicht zur Beruhigung seines eigenen Gewissens genügen möchte, dass wir uns aber nicht auf den gleichen Standpunkt wie er stellen könnten, dass daher die gegen ihn getroffenen Massregeln als vollauf berechtigt erscheinen müssten und dass er somit die Folgen seines Verhaltens zu tragen haben werde. Für meine Regierung, für mich und für Bundeskanzler Schober sei es (z. B. auch im Hinblick auf die Interpellation Grimm, die sehr wohl einen Nachklang in Wien haben könne) im übrigen sehr unangenehm, dass unser Vertrauen missbraucht wurde.
Schager sah dies wohl ein und bemerkte, dass, wenn die Arbeiterzeitung bis jetzt nicht näher auf die Sache eingegangen sei, sie wahrscheinlich nur warte bis ihre Gesinnungsfreunde in der Schweiz mit ihren Kommentaren ausrücken, um selbst eine Attake zu reiten. Obschon das ganze Unternehmen mit Österreich direkt nichts zu tun hatte und es sich nur um eine Restauration in Ungarn handelte, sei es doch nicht ausgeschlossen, dass die hiesige Regierung gezwungen werde, gegen ihn, Schager, auf Grund des ziemlich elastischen Hochverratsparagraphen vorzugehen; er müsse sich daher darauf gefasst machen, eventuell verhaftet zu werden und zum mindesten eine längere Untersuchungshaft durchmachen zu müssen.
Was die Vorbereitung und den Hergang der Ausreise Karls aus der Schweiz betrifft, gab mir der Sektionschef a. D. noch folgende Einzelheiten bekannt:
Der Ex-Kaiser war schon lange, eigentlich schon gleich nach dem ersten Putsche, ungeduldig einen neuen Versuch, seinen Tron wieder zu gewinnen, zu unternehmen. Ich verweise auf die beiliegenden detaillierten Ausführungen im Pester Lloyd und namentlich auf das mit Dr. Gratz aufgenommene Protokoll, das in Beziehung auf die Vorgeschichte des Putsches nach Aussage Schagers ziemlich genaue und richtige Angaben enthält. Ich muss leider, im Hinblick auf diese Ausführungen, den Satz in meinem Berichte vom 21. November3 revozieren, wonach «Karl noch bona fide war, als er Ihnen Anfangs Oktober erklären liess, er betrachte sich noch als durch sein früheres Versprechen gebunden».
Schager erklärt nun, er habe selbst geglaubt, ein neuer Restaurationsversuch sei auf bessere Zeiten verschoben, als er in der ersten Hälfte Oktober von Gratz aufgefordert wurde, zur Regelung von «finanziellen» Angelegenheiten nach Budapest zu kommen. Da in der Tat Geldangelegenheiten pendent waren (zum Beispiel Verkauf von Tokayerwein aus den Hofkellereien) und die finanzielle Lage in Hertenstein eine derartige war, dass eine Hilfe von Seiten Ungarns angestrebt werden musste, fuhr Schager ahnungslos4 nach Ungarn. Dort erklärte ihm aber Gratz sogleich, es handle sich um ganz anderes; Schager müsse in die Schweiz fahren und dem König ein Schreiben überbringen, worin er aufgefordert werde, sofort in sein Land zurückzukehren. Als Grund für seine Sinnesänderung gab Gratz hauptsächlich den Umstand an, dass die Legitimisten zur Überzeugung gekommen seien, Horthy spiele ein für sie gefährliches Spiel, stütze sich immer mehr auf die wenig habsburgfreundlichen kleinen Landwirte und könnte ein Regime festigen, das sogar zur Republik führen könnte. Ausserdem habe die bevorstehende Demobilisierung des Bataillons Ostenburg die Legitimisten geängstigt. Nachdem dann in der Nacht noch eine Konferenz mit Gratz, Beniczky und Rakovszky stattgefunden (AlbertApponyi & Julius Andrassy dagegen waren nicht eingeweiht), habe Schager den Auftrag übernommen und sei mit dem Schreiben nach Hertenstein abgefahren, wo er am 14. Oktober ankam. Von diesem Moment an seien die Vorbereitungen zum Wegfluge getroffen worden. Schager kann bestimmt sagen, dass ausser dem Kaiser und der Kaiserin, Werkmann auch eingeweiht war5; schon am 16. Oktober arbeitete er ein Communiqué für die Presse aus; wahrscheinlich war auch Steiner au fait; ob die Erzherzogin Marie Thérèse etwas wusste, konnte mir Schager nicht sagen; seine Mutter, die Erzherzogin Maria Josepha, weihte Karl am Abend vor der Abfahrt ein; dann war Borovicsényi ein Hauptmitwisser und Betreiber der Fahrt. Nichts ahnte dagegen Erzherzog Max, den der Kaiser schon deshalb nicht einweihte, weil er wusste, dass er ihm sehr entschieden abraten würde; Karl konsultierte beinahe nie Leute, von denen er eine andere Meinung als die eigene gewärtigen zu müssen glaubte. Ebensowenig hatten eine Ahnung Schonta und Ledochowski; letzterer fuhr bis Dübendorf mit in der Meinung, das Kaiserpaar mache anlässlich des lOten Hochzeitstages eine Vergnügungsfahrt; erst als der Aeroplan in den Lüften schwebte teilte Schager den wahren Bestimmungsort an Ledochowski6 mit; dieser war durch diese Eröffnung höchst betroffen. Die Ergebnisse der Untersuchung der Bundesanwaltschaft stimmen im grossen und ganzen mit den Schilderungen Schagers überein; beizufügen ist: der Umstieg des Kaiserpaars von einem Automobil ins andere erfolgte in einem Wäldchen in der Nähe von Küssnacht; die Telegramme an Werkmann und Fischer von Anker wurden nicht von Schager selbst aufgegeben, sondern von Ledochowski im Aufträge Schagers; sie fuhren beide von Dübendorf über Uster und Rapperswil, wo Ledochowski sich von Schager trennte; letzterer fuhr allein im Auto über Buchs nach Wien weiter.
Im Protokoll über die Aussagen des Dr. Gratz wird Ihnen auffallen, dass dieser keinerlei Teilnahme an der Vorbereitung der Ausreise zugiebt, ebensowenig Beniczky. Schager erklärt dies folgendermassen: bekanntlich ist der karlistische Truppenführer Oberst Lehar nach Bayern entkommen; wahrscheinlich wurde er von den ändern Teilnehmern zur Flucht veranlasst und es wurde vielleicht zugleich abgemacht, dass er, wenn er glücklich entkomme, die ganze Verantwortung auf sich nehmen solle.
Richtig soll sein, dass den ganzen Sommer über mit Horthy verhandelt wurde, um ihn zu einer entschiedenem legitimistischen Stellungnahme zu veranlassen; ebensorichtig, dass Horthy7 einen Brief an den König schrieb, der aber nicht als genügend angesehen wurde. Richtig sei ferner, dass Rumänien durch die Königin Elisabeth dem Ex-Kaiser beruhigende Zusicherungen über seine Stellungnahme zukommen liess. Schager hat den Brief des Vertrauensmannes der Königin selbst gelesen. Endlich sei zu erwähnen, dass die Arbeiterschaft und das Judentum einer Restauration nicht abhold gewesen wären, weil ihnen vor allem Horthy und sein sogen, weisser Terror sowie seine Helfershelfer Gömbös, Hejas, Pronay und ihre Banden verhasst seien und gefährlich erscheinen.
Im Hinblick auf die Interpellation Grimm8 mögen obige Informationen für Sie noch von einigem Interesse sein; im übrigen hoffe ich, dass die Geschichte des Karlsputsches nunmehr aus Abschied und Traktanden gestrichen werden kann.
- 1
- Lettre: E 2001 (B) 3/49. Paraphe: TS.↩
- 2
- Dans son enquête sur les préparatifs de la fuite du Roi Charles et de la Reine Zita, le Ministère public fédéral a relevé le rôle décisif joué par Albin Schager pour organiser le départ du couple royal de Hertenstein à l'aéroport de Dübendorf. Cf. Rapport du Ministère public fédéral au Département fédéral de Justice et Police du 25 novembre 1921 (E 2001 (B) 3/49).↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Point d’interrogation en marge et au-dessus de ce mot.↩
- 5
- Note marginale: also hat er ganz unverfroren gelogen.↩
- 6
- Point d’interrogation et note marginale: das stimmt mit den eigenen Aussagen Ledochowski’s nicht überein.↩
- 7
- Rajout en marge: Pester Lloyd.↩
- 8
- Dans son interpellation du 13 décembre 1921, le Conseiller national Grimm demande au Conseil fédéral des renseignements sur les circonstances qui ont permis à l’ex-roi Charles de Habsbourg d’accomplir son second et dernier voyage en Hongrie. Résumé des délibérations de l’Assemblée fédérale. Session ordinaire d’hiver, 5–23 décembre 1921, p. 19. Le 21 mars 1922, Grimm retirait son interpellation.↩
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