Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS BILATERALES ET LA VIE DES ETATS
II.17. Liechtenstein
II.17.1. L’accord douanier
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 29
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1504#76* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1504 5 | |
Dossier title | Zollvertrag mit Liechtenstein. Chemise III. Allgemeine Korrespondenz. siehe: B.14.2.Liecht.2.(27) B.14.2.Liecht.5 (1927) B.14.2.Liecht.2 (1926) (1920–1923) | |
File reference archive | B.14.24.P.4.3 |
dodis.ch/44671
Mit Ihrem Schreiben vom 4.ds. Mts.2 legen Sie mir die Frage vor, ob die Schweiz ihre Zoll- & Handelsverträge mit dritten Staaten nur nach Einholung der Zustimmung dieser auf Liechtenstein ausdehnen könne.
In der völkerrechtlichen Doktrin ist, soweit ich sehe, das Ihrer Frage zu Grunde liegende Rechtsproblem nicht erörtert worden; es ist dies auch begreiflich, da die Fälle, aus denen sich eine Übung zu entwickeln hätte, sehr selten sind und auch nicht immer Aufschluss darüber geben, was von den Parteien als Völkerrecht anerkannt wird. Die vertragliche Ordnung, wie sie in den deutschen Handelsverträgen besteht (Einbeziehung der zollgeeinten Gebiete), oder wie sie durch das Schweiz.-franz. Abkommen über Tunis getroffen wurde, kann ebensowohl den Zweck haben, bestehendes Recht zu konstatieren als eine Streitfrage zu erledigen. Der Fall Luxemburg-DeutschesReich kann kaum in Betracht kommen, da Luxemburg schon seit 1842 zum deutschen Zollverein gehörte.
Unter diesen Umständen kann die Frage nur nach allgemeinen Rechts-Grundsätzen beurteilt werden. Dabei ist von dem hier hauptsächlich in Betracht kommenden Prinzip der sog. beweglichen Vertragsgrenzen auszugehen. Demnach ist der räumliche Geltungsbereich der Staatsverträge bestimmt durch das jeweilige Staatsgebiet der Kontrahenten; solange die Staatspersönlichkeit der Kontrahenten die gleiche bleibt, ist der territoriale Umfang dieser unerheblich.
Dieser Grundsatz gilt tatsächlich für den häufigsten und wichtigsten Fall der Gebietsänderungen, nämlich für eigentliche Staatensuccessionen, wo Gebiet – sei es durch Vertrag, sei es durch Eroberung – von einem Staat auf einen ändern übergeht, oder aber ein Staat in einem ändern aufgeht. Eine Ausnahme ist nur da gemacht worden, wo durch eine Gebietsverschiebung eine wesentliche Veränderung eintritt (Annexion des Congostaates durch Belgien). Diese Voraussetzung trifft jedenfalls bei Liechtenstein nicht zu.
Kann nun das Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen auf andere, ähnliche Vorgänge ausgedehnt werden, in denen keine Gebietsabtretung erfolgt, sondern ein Staat sich freiwillig mit einem ändern verbindet, um seine Zollhoheit diesem abzutreten, ohne jedoch als Person des internationalen Rechtes zu verschwinden? Wenn eine Gebietsabtretung unter zwei Staaten von dritten Staaten in ihrer Wirkung auf Handels- & Zollverträge nicht als res inter alios acta behandelt werden darf, sondern als vollendete Tatsache hinzunehmen ist, so ist nicht einzusehen, weshalb es bei Verträgen, die nicht nur einen Teil, sondern das ganze Gebiet und nicht die ganze Staatsgewalt, sondern einen Teil dieser umfassen, anders sein sollte.
Wenn zwei Staaten einen Handels- & Zollvertrag mit einander schliessen, so spielt dabei der territoriale Umfang keine wesentliche Rolle, sondern der Abschluss erfolgt zwischen zwei Trägern einheitlicher Zollordnungen. Freiheiten, Beschränkungen und Belastungen von Ein-, Durch & Ausfuhr bilden den Vertragsinhalt, nicht aber irgendwelche ziffermässig bestimmten Leistungen. Es ist denkbar, dass durch eine territoriale Erweiterung eines Staates dessen Exportfähigkeit für den Gegenkontrahenten wesentlich verändert würde und dass der letztere deshalb, in Analogie zu den Grundsätzen des Civilrechtes, u. U. ein Kündigungs- bzw. Rücktrittsrecht aus «wichtigen Gründen» geltend machen könnten. Die räumliche Ausdehnung des eigenen Zollgebietes kann aber nicht als eine vertragswidrige Handlung gelten und sie bedarf deshalb nicht der vorgängigen Zustimmung der ändern Vertragsparteien.
Zweifelhaft scheint die Zulässigkeit dieser Schlussfolgerung nur in dem Falle, wo ein Staat, der eine Zolleinigung eingehen will, in einem Vertragsverhältnis zu einem Staate steht, der ebenfalls einen Zollvertrag mit dem Staate hat, mit dem die Zolleinigung erfolgen soll. Die Zolleinigung bildete dann die Möglichkeit für einen Staat im Verhältnis zu einem dritten Staat zwischen seinem eigenen und einem fremden Zollvertrage gewissermassen zu optieren. Muss sich ein Staat gefallen lassen, dass durch einen Vertrag unter Dritten seine eigene Vertragsverhältnisse zu einem dieser Staaten verändert werden? Da aber feststeht, dass er die Folgen einer völligen Verschmelzung bezw. des Eintritts eines bisher souveränen Staates in einen die Zollhoheit besitzenden Bundesstaat hinnehmen muss, so ist es eigentlich nur logisch, dass die Wirkung einer nur partiellen Aufgabe der staatlichen Selbständigkeit – soweit solche Rechtsgeschäfte bona fide erfolgen – auch nicht abgelehnt werden kann.
Im Falle Liechtenstein sprechen alle Argumente für die Zulässigkeit der Einverleibung in das schweizerische Zollgebiet: die geographische Lage; das gegenwärtige wirtschaftliche Angewiesensein auf die Schweiz; die Unfähigkeit Liechtensteins, ein eigenes Zollgebiet zu bilden; die Auflösung des bisherigen österreichisch-ungarischen Zollverbandes.
Die ganze Frage kann wohl nur Interesse haben in Bezug auf unsere Nachbarstaaten. Mit dem Deutschen Reich ist die Frage vertraglich in unserem Sinne geregelt; gegenüber Frankreich kann auf die französische Praxis verwiesen werden. Was Italien anbelangt, so ist es jedenfalls sicher, dass Italien seine Verträge stillschweigend auf San Marino ausgedehnt hat und wahrscheinlich auch auf seine Occupationsgebiete im Dodekanes.
Wie die Beziehungen zwischen Liechtenstein und Österreich liegen, ist mir nicht bekannt. Ich nehme aber an, dass keine vertragliche Bindung zwischen diesen beiden Staaten mehr existiert und dass Liechtenstein gegenüber Österreich frei ist.
Endlich ist zu bemerken, dass es wichtig wäre, in dem Abkommen mit Liechtenstein eine Klausel aufzunehmen, die unsere Bewegungsfreiheit für den allerdings unwahrscheinlichen Fall sicherte, in dem ein Staat die Ausdehnung unserer Verträge auf Liechtenstein bestreiten würde und wir unseren Standpunkt nicht erfolgreich vertreten könnten, bezw. Gegenmassregeln ausgesetzt wären. Diese Klausel müsste natürlich möglichst unverfänglich redigiert sein, z. B. so, dass die Schweiz ihre aus bestehenden Verträgen resultierenden Verpflichtungen vorbehält.
Ich komme deshalb zum Schluss, dass wir auf Grund des Abkommens mit Liechtenstein ohne weiteres unsere Zollverträge (d.h. überhaupt unsere Staatsverträge, soweit sie die in der Übereinkunft mit Liechtenstein vereinheitlichten Materien ordnen) auf das zollgeeinte Gebiet ausdehnen und es darauf ankommen lassen können, ob einer unserer Gegenkontrahenten Einsprache erhebt. Durch Einholung der Zustimmung würden wir ohne Not unsere günstige Rechtsstellung aufgeben; eine blosse Notifikation dagegen ist entweder ungenügend oder überflüssig und kann lediglich zu Erörterungen führen.
Die Frage endlich, ob wir mit Rücksicht auf denkbare Zolleinungen unter ändern Staaten ein Interesse daran hätten die These von der Unwirksamkeit solche Zolleinungen auf Verträge dritter Staaten zu vertreten, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich glaube aber, dass sie wegen des gegenwärtigen prekären Charakters der meisten Handelsverträge zu verneinen sein wird.